Ob eine Sars-CoV-2-Welle lediglich 3 oder gleich 50 Prozent der Bevölkerung erfasst, kann laut einer neuen Analyse von Forschern des Institute of Science and Technology Austria (IST) in Klosterneuburg von kleinen Unterschieden im Umgang mit der Pandemie abhängen. Als besonders kritisch identifizierten sie die Kapazitäten bei der Kontaktnachverfolgung und beim Testen. Werden diese nur knapp überschritten, droht ein superexponentieller Infektionsanstieg.

Der Strömungsphysiker Björn Hof hat mit seinem Team im Zuge der Corona-Pandemie seinen Fokus auf die Ausbreitung der Infektionen verlagert. Die Methoden zur Beschreibung der verschiedenen Phänomene in seinem eigentlichen Fachgebiet entpuppten sich dabei als erstaunlich ähnlich. Die Erkenntnisse dieser Arbeit stellt das Team um Hof, Burak Budanur und den Erstautor Davide Scarselli nun im Fachblatt "Nature Communications" vor.

Das Team erkannt, dass die Zunahme der Stärke der Gegenmaßnahmen (soziale Distanzierung) nicht immer mit der gleichen Reduktion an Fallzahlen einherging, wenn man die bekanntlich knappen Ressourcen bei den Testungen und der Kontaktverfolgung miteinberechnete. So zeigte sich, dass das Infektionsgeschehen an einen Umschlagpunkt gelangt, von dem ausgehend die Zahlen rasch fast gegen null gehen, wenn das Contact Tracing nicht überlastet wird und Kontaktpersonen von Infizierten ausreichend getestet werden konnten. Unter diesen Annahmen erkrankten immer rund drei Prozent der hypothetischen Bevölkerung.

Früheres Reagieren nötig

Kam das Infektionsgeschehen in den Simulationen aber an einen Punkt, wo die Kontaktnachverfolgung auch nur leicht überfordert war, schnellten die Zahlen hinauf. Zur Überraschung der Forscher taten sie das immer in die Richtung, dass um die 50 Prozent der Menschen infiziert waren. Genau das gemeinsame Überschreiten der Kapazitäten bei den Maßnahmen zunächst nur um wenige Fälle brachte das Fass sozusagen zum Überlaufen. Dann setzte ein superexponentieller Anstieg der Infektionen ein, bei dem sich die Verdoppelungsraten der Fallzahlen immer weiter beschleunigen.

Genau das passierte im Herbst: Wie die meisten Nationen habe auch Österreich nicht frühzeitig auf die zweite Welle reagiert. Nachdem letzten September nicht mehr alle Kontaktpersonen nachverfolgt werden konnten, war es abzusehen, dass die Fallzahlen bald überproportional ansteigen würden. "Die meisten europäischen Länder reagieren erst, wenn die Kapazitäten der Intensivmedizin bedroht sind", sagte Hof: Eigentlich müssten Entscheidungsträger jedoch "auf ihre Kontaktverfolgungsteams achten und abriegeln, bevor dieser Schutzschild zusammenbricht". (apa)