Um die rasante Ausbreitung der Omikron-Variante des Coronavirus zu bremsen, werden in Deutschland nach den Weihnachtsfeiertagen die Corona-Regeln wieder verschärft. Einen umfassenden Lockdown mit der Schließung von Restaurants und Geschäften, wie ihn viele Experten fordern, wird es zwar vorerst nicht geben, das private und öffentliche Leben wird aber stark eingeschränkt. Das haben Bund und Länder bei ihrem jüngsten Krisentreffen am Dienstagabend gemeinsam beschlossen.

Über Weihnachten lässt man der Bevölkerung noch Freiraum, spätestens ab 28. Dezember gilt dann aber generell eine Obergrenze von zehn Personen für Privattreffen - ausgenommen davon sind Kinder bis zum 14. Lebensjahr. Außerdem werden Clubs und Diskotheken geschlossen, und bei Fußballspielen und anderen Großveranstaltungen im Sport- und Kulturbereich wird es wieder leere Ränge geben. 

"Corona macht keine Weihnachtspause", warnte Kanzler Olaf Scholz (SPD) bei der Vorstellung der Maßnahmen, auf die er sich mit den Ministerpräsidenten der Länder geeinigt hat. Man habe zwar die vierte Corona-Welle derzeit gut im Griff. Die besonders ansteckende Omikron-Variante, die den Impfschutz unterlaufen könne, führe aber zu einer fünften Welle, auf die man sich jetzt vorbereiten müssen. "Wir können und dürfen nicht die Augen verschließen vor dieser nächsten Welle", sagte er. Ziel der neuen Maßnahmen ist es, die zwischenmenschlichen Kontakte massiv zurückzufahren - vor allem mit Blick auf Silvester. "Es ist derzeit nicht mehr die Zeit für Partys und gesellige Abende in großer Runde", so Scholz, der auch feststellte: "Wir alle sind mürbe, wir sind der Pandemie müde."

Kanzler Scholz gibt 80 Prozent Impfquote als "Zwischenziel" aus

Neben den neuen Beschränkungen soll die Impfkampagne weiter vorangetrieben werden - auch während der Weihnachtstage und zwischen den Feiertagen. Bis Ende Jänner werden 30 Millionen weitere Auffrischungsimpfungen angestrebt. Mindestens 32,6 Prozent der Gesamtbevölkerung haben bereits einen sogenannten Booster bekommen. Mindestens 70,4 Prozent sind bisher zweifach geimpft oder haben die Einmal-Impfung von Johnson & Johnson erhalten. Scholz strebt als "Zwischenziel" eine Impfquote von 80 Prozent an. "Und wenn wir das erreicht haben, müssen wir das nächste Ziel in den Blick nehmen", sagte er. Und: "Ich halte eine Impfpflicht, die dann irgendwann gilt und umgesetzt werden kann, für erforderlich."

"Auch ein harter Lockdown muss diskutiert werden"

Vielen Experten gehen die neuen Maßnahmen freilich nicht weit genug, sie fordern bereits wieder einen Lockdown. Immunologen sind überzeugt, dass nur damit die Überlastung des Gesundheitssystems verhindert werden könne. Und selbst Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) meinte am Dienstagabend, dass ein harter Lockdown auch nach den jüngsten Beschlüssen noch nicht vom Tisch sei: "Was wir heute beschlossen haben, zeigt schnell Wirkung. Aber ich schließe nicht aus, dass auch ein harter Lockdown diskutiert werden muss, sollten die Fallzahlen sich so entwickeln."

Auch der Grünen-Gesundheitspolitiker Janosch Dahmen meinte, Deutschland werde um einen Lockdown Anfang Jänner nicht herumkommen: "Wir müssen mit unseren Maßnahmen vor die Omikron-Welle kommen. Unser heutiges Handeln bestimmt die morgige Pandemie-Lage." Es sei absehbar, "dass die Omikron-Variante schnell zu einem großen Problem für unser Land wird", sei Omikron doch schneller übertragbar und könne selbst Genesene und auch Zweifachgeimpfte noch infizieren. Er rechne mit einer deutlich steigenden Omikron-Inzidenz und einer noch stärkeren Belastung des Gesundheitswesens. Außerdem seien "zahlreiche krankheitsbedingte Personalausfälle in Bereichen kritischer Infrastruktur wie Gesundheitswesen, Polizei, Feuerwehr oder Lebensmittelhandel ohne Gegenmaßnahmen wahrscheinlich."

Eine Überlastung des Gesundheitssystems könne nur durch einen bundesweiten Lockdown für alle verhindert werden, sagte der Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie, Carsten Watzl, der Zeitung "Augsburger Zeitung". Denn auch die Booster-Impfungen biete bei Omikron weniger Schutz. Der Drittstich schütze bei Omikron nur zu 75 Prozent vor einer Ansteckung, bei Delta hingegen bei weit über 90 Prozent.

Angesichts der drohenden fünften Welle haben  auch in Deutschland Behörden und Unternehmen der kritischen Infrastruktur damit begonnen, ihre Notfallpläne zu reaktivieren. "Wir stellen sicher, dass genügend Verstärkungskräfte aus anderen Bereichen zur Verfügung bereitstehen für unser Lagezentrum", teilte eine Sprecherin des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) in Bonn mit.

"Omikron bringt neue Dimension"

In der Bund-Länder-Schaltung gab es unterdessen Kritik an der Kommunikation des Robert-Koch-Instituts (RKI). Die Behörde hatte kurz vor den Beratungen wegen der Omikron-Gefahr sofortige maximale Kontaktbeschränkungen gefordert. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sagte Teilnehmern zufolge in der Schaltung, es gebe keine wissenschaftliche Zensur, die Veröffentlichung sei aber "nicht abgestimmt" gewesen. Das dürfe nicht passieren.

Zuvor hatte es in einer am Sonntag veröffentlichten Stellungnahme des neuen Corona-Expertenrats geheißen, es bestehe "Handlungsbedarf" bereits für die kommenden Tage. Die Omikron-Variante bringe eine "neue Dimension" in das Pandemiegeschehen. Omikron zeichne sich durch eine stark gesteigerte Übertragbarkeit und ein Unterlaufen eines bestehenden Immunschutzes aus. "Wirksame bundesweit abgestimmte Gegenmaßnahmen zur Kontrolle des Infektionsgeschehens sind vorzubereiten, insbesondere gut geplante und gut kommunizierte Kontaktbeschränkungen", hieß es in der Stellungnahme.

"Sollte sich die Ausbreitung der Omikron-Variante in Deutschland so fortsetzen, wäre ein relevanter Teil der Bevölkerung zeitgleich erkrankt und/oder in Quarantäne", so der Expertenrat. "Dadurch wäre das Gesundheitssystem und die gesamte kritische Infrastruktur unseres Landes extrem belastet."

Montagfrüh meldete das RKI eine leicht gestiegene Sieben-Tage-Inzidenz von 316. Am Vortag hatte der Wert noch bei 315,4 gelegen, vor einer Woche bei 402,9. Wie das RKI unter Berufung auf Daten der Gesundheitsämter weiter mitteilte, wurden binnen 24 Stunden 16.086 Neuinfektionen verzeichnet. Die Gesamtzahl der Corona-Todesfälle in Deutschland stieg um 119 auf 108.352. Seit Pandemiebeginn haben die Gesundheitsämter in Deutschland ingesamt 6,809.622 Fälle gemeldet. (apa/dpa/reuters)