In einem Punkt waren sich dann sogar die Grünen und die Freiheitlichen einig. Von einer "historischen Debatte" sprach FPÖ-Chef Herbert Kickl, einen "außergewöhnlichen Tagesordnungspunkt" sah Grünen-Klubobfrau Sigrid Maurer. Das war es aber auch mit der blau-grünen Einigkeit rund um das Covid-19-Impfpflichtgesetz, das am Donnerstag im Nationalrat beschlossen wurde. Bei der Abstimmung votierten 137 Mandatare für die Covid-Impfpflicht und nur 33 dagegen. Die Koalition stimmte geschlossen zu, bei SPÖ und Neos gab es vereinzelte Nein-Stimmen.
Die Fronten verliefen in der Debatte wie gewohnt: Während neben Türkis-Grün auch SPÖ und Neos den Gesetzesbeschluss mittrugen, lehnte die FPÖ die Maßnahme ab. Auffallend war, dass von der ÖVP keine hochrangigen Fürsprecher aus der Regierung auftraten - wie der Kanzler oder die Verfassungsministerin. Mit Wortbeiträgen meldeten sich nur drei Nationalratsabgeordnete von der ÖVP, jedoch nicht einmal Klubchef August Wöginger. So blieb es auf Regierungsseite den Grünen überlassen, die Einführung der Impfpflicht zu verteidigen. Sie schickten vier Redner, die SPÖ sogar acht.
"Die Impfpflicht wird uns bei den nächsten Wellen im Kampf gegen neue Virus-Varianten helfen", sagte Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne). Man setze damit vorausschauend einen Schritt. "Die Impfung rettet nachweislich Leben." Auch spreche alle Evidenz dafür, dass alle in Österreich erhältlichen Präparate sicher sind, so Mückstein. Während seiner Ansprache hielten Abgeordnete der FPÖ einen Zettel hoch: "Nein zum Impfabo", steht darauf.
"Schämen Sie sich!", meinte Grünen-Klubobfrau Sigrid Maurer wiederum in Richtung Kickl. Die Covid-19-Impfstoffe seien mittlerweile milliardenfach verimpft worden, es gebe ausreichend Studien dazu: "Wir wissen, dass sie sicher sind, und wir wissen, dass sie wirken", sagte Maurer. "Die Impfung ist auch ein Siegeszug der Wissenschaft gegen die Leugnung von Fakten und Empirie."
"Ich bin fassungslos"
Kickl hatte zuvor eine Brandrede gegen die Impfpflicht gehalten. "Ich bin entsetzt, ich bin fassungslos, ich bin erschüttert, und ich bin schockiert", sagte der FPÖ-Chef. Er gehe davon aus, dass es in Österreich Millionen Menschen gebe, die genauso wie er empfinden. Die Einführung des Impfzwangs sei nichts anderes "als ein Anschlag auf die Freiheit der Österreicher, ein Attentat auf die Menschenwürde", meinte der freiheitliche Klubobmann.
Dieser "Akt der Entrechtung" führe dazu, "dass mit einem Schlag Millionen Menschen downgegradet werden, wie man auf Neudeutsch sagen würde". Kickl ortete einen "Gesundheitskommunismus": "Dass zur Bekämpfung eines chinesischen Virus ein chinesisches Gesellschaftsmodell eingeführt wird, ist ein Treppenwitz der Geschichte." Doch werde man die Impfpflicht vor Gericht und vor den Gerichten zu Fall bringen, kündigte Kickl an. "Sie werden als Ja-Sager von heute ihrer gerechten Strafe von morgen nicht entkommen." Kickl versprach, er werde sich auch weiterhin nicht impfen lassen.
Als Kickl Neos-Parteichefin Beate-Meinl Reisinger für deren Zustimmung zur Impfpflicht kritisierte, schlug diese die Hände vor dem Gesicht zusammen. Neben Türkis-Grün tragen SPÖ und Neos das Impfpflichtgesetz mit, auch wenn im Vorfeld der Abstimmung mit vereinzelten Abweichlern gerechnet wurde.
Die massiven Versäumnisse der Bundesregierung hätten ihren Teil zur geringen Impfquote beigetragen, sagte Meinl-Reisinger. Ihre Fraktion habe monatelang Vorschläge für positive Anreize zur Impfung vorgelegt, sei aber nicht gehört worden. Anteil an der geringen Quote habe aber auch die Agitation der FPÖ gegen die Impfung, so die Neos-Chefin, die Richtung Kickl zeigte. "Impfen ist der richtige Weg", betonte sie.
Nicht alle Neos und Grüne stimmten zu
Die Neos stimmten der Impfpflicht aber nicht geschlossen zu. Pikant ist, dass mit Pandemiesprecher Gerald Loacker und Gesundheitssprecherin Fiona Fiedler gleich beide zuständige Bereichssprecher Nein sagten. Loacker argumentierte damit, dass die Pflicht für Omikron zu spät komme und Experten davon ausgingen, dass Corona nachher mit der Grippe vergleichbar sei. Auch werde Vertrauen in die Politik verspielt und die Gesellschaft gespalten. Belustigt zeigte er sich darüber, dass gleichzeitig noch Gutscheine an jene unter das Volk gebracht werden, die sich impfen lassen: "Sie schütten eine Milliarde aus an Leute, die sich an ein Gesetz halten."
Auch bei den Grünen gab es einigermaßen überraschend eine Abweichlerin. Die grüne Abgeordnete Ewa Ernst-Dziedzic blieb der Sitzung fern, weil sie der Vorlage nicht zustimmen will.
Für SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner ist in der Pandemiebekämpfung in Österreich "in den letzten zwei Jahren vieles falsch gelaufen". Die Impfquote sei weiterhin viel zu niedrig, künftige Lockdowns könnten so nicht verhindert werden. Die Impfpflicht sei daher notwendig, um die Lücke zu schließen. Denn nur dann gebe es "Chance auf ein Leben, wie wir es vor Corona gekannt haben", so Rendi-Wagner. "Wir Sozialdemokraten übernehmen Verantwortung. Verantwortung für den Schutz des Lebens, Verantwortung für den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung."
Lotterie und Gemeindebonus
Begleitet wird die Impfpflicht von einem Anreiz- und Belohnungspaket. Das kündigten Nehammer, Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) und Rendi-Wagner am Donnerstag gemeinsam an. Bei einer Impflotterie soll jeder zehnte Geimpfte einen Gutschein in Höhe von 500 Euro gewinnen. Das gilt für all jene, die bereits geimpft sind, als auch für jene, die sich impfen lassen. Für jede Teilimpfung gibt es eine Gewinnmöglichkeit: Wer dreimal geimpft ist, kann auch dreimal gewinnen.
Die Lotterie soll am 15. März starten, parallel zum Inkrafttreten der Kontrollen der Impfpflicht. Die Gutscheine sollen bei österreichischen Betrieben einlösbar sein - beispielsweise in der Gastronomie, im Handel und in Hotels.
Weiters vorgesehen ist ein finanzielles Anreizsystem für die Gemeinden. Erfüllt eine Gemeinde eine bestimmte Impfquote, soll sie Geld erhalten. Als Beispiel nannte Nehammer eine durchschnittliche Gemeinde mit 3.000 Einwohnern, die bei einer Impfquote von 80 Prozent 30.000 Euro bekommen würde, bei 85 Prozent 60.000 Euro und bei 90 Prozent 120.000 Euro. Für die Maßnahmen sind bis zu 1,4 Milliarden Euro vorgesehen. Davon können bis zu eine Milliarde Euro auf die Lotterie und bis zu 400 Millionen Euro für die Gemeinden entfallen.
Steuerreform beschlossen
Ebenfalls beschlossen wurde am Donnerstag im Nationalrat die ökosoziale Steuerreform. Mit 1. Juli wird damit in Österreich eine CO2-Bepreisung eingeführt. Als Ausgleich dafür gibt es einen regionalen Klimabonus, der je nach Region zwischen 100 und 200 Euro beträgt. Weiters beinhaltet das Steuerpaket auch eine Senkung der Körperschafts- und Einkommenssteuer. (dab)