Dass die Omikron-Variante des Coronavirus mit etwas milderen Krankheitsverläufen einhergeht, nährten in den letzten Wochen die Hoffnung, die Pandemie könnte sich langsam, endlich, einem Ende nähern. Doch die neue Omikron-Untervariante BA.2 bereitet der Medizin Sorgen. Der Subtyp soll sich 1,5-mal schneller als das Original, BA.1, verbreiten. Das berichtet die dänische Gesundheitsbehörde SSI. Zwar gebe es keine Beweise, dass eine Infektion mit BA.2 schwerer verlaufe als mit BA.1, es sei aber nur eine Frage der Zeit, bis sich der neue Subtyp in Europa durchsetzt, sagte der dänische Gesundheitsminister Magnus Heunicke laut der Nachrichtenagentur "Reuters" vor Journalisten: In Dänemark habe BA.2 bereits BA.1 verdrängt.

Auch in Österreich wird der neue Omikron-Subtyp bereits immer öfter in Kläranlagenproben gefunden. Das Abwasserüberwachungssystem lässt Rückschlüsse auf die Varianten- und Untervariantenzusammensetzung zu. Noch scheine sich BA.2 nicht großflächig auszubreiten, sagte der Virologe Andreas Bergthaler am Freitag zur Austria Presse Agentur.

18 Mutationen am Spike

Mit Blick auf die hohen Infektionszahlen und glücklicherweise noch niedrigen Spitalszahlen gelte es aber, "weiter vorsichtig" zu sein. Am Freitag meldete die Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (Ages) 38.631 Neuinfektionen und 19 Tote innerhalb von 24 Stunden. Aktuelle Daten der Ages würden außerdem auf einen Omikron-Anteil von 97 Prozent bei den Neuinfektionen in der dritten Kalenderwoche hinweisen, sagte Bergthaler.

Diese Woche wurde das Ende des Lockdown für Ungeimpfte beschlossen und eine Abschaffung der 2G-Regel gefordert. Angesichts dessen, dass mittlerweile tatsächlich jeder jemanden zu kennen scheint, der Covid-19 hat oder hatte, wirken Maßnahmen-Lockerungen aber wie ein Spiel mit dem Feuer.

"BA.2 teilt sich viele Mutationen mit der ersten Omikron-Version BA.1. Jedoch unterscheidet sich der neue Subtyp in 18 Mutationen am Spike-Protein von seinem Vorgänger", erklärt der Wiener Molekularbiologe Ulrich Elling, und: "Außerdem besitzt er mehr Mutationen in der Rezeptor-Bindedomäne, wo die allermeisten neutralisierenden Antikörper gegen das Virus andocken." Das wiederum lasse erwarten, dass BA.2 den Immunschutz durch Impfung oder Genesung noch erfolgreicher umgeht als Omikron-Subtyp Nummer eins.

Immer mehr neue Subtypen

Der Vergleich lässt die mit schweren Verläufen einhergehende Delta-Variante, die im Sommer 2021 das Infektionsgeschehen dominiert hatte, fast gemächlich erschienen. Delta hatte nur acht Mutationen am Spike-Protein, mit dem Sars-CoV-2 sich Zugang zu unseren Körperzellen verschafft.

Ob das besonders ansteckende Geschwister von Omikron auch in Gesellschaften dominant werden kann, die eine BA.1-Welle bereits hinter sich haben, bleibt abzuwarten. "Noch ist nicht klar, ob BA.2 bloß infektiöser ist und deswegen seinen Vorgänger verdrängt, oder ob die neue Variante sich auch dort ausbreitet, wo BA.1 schon war", sagt Elling.

Laut dem Gruppenleiter am Wiener Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften könnte der derzeitigen ersten Omikron-Welle im Spätwinter oder Frühjahr eine zweite folgen. "Eine gewisse Welle wird definitiv noch kommen, Omikron wird eine Doppelwelle darstellen. Wie hoch sie wird, bleibt abzuwarten, aber ich halte BA.2 für einen Parameter, der die Welle breiter machen wird", sagt Elling zur "Wiener Zeitung". Der saisonale Effekt, wonach Coronaviren bei Wärme weniger virulent sind, könne die Lage im Frühjahr abmildern.

Omikron BA.2 verbreitet sich seit Ende Dezember, wurde bisher in 40 Ländern registriert und hat sich laut SSI in Dänemark besonders schnell durchgesetzt. In einem Interview mit dem Online-Magazin "Business Insider" betonte die Leiterin des SSI-Forschungsteams, Camilla Holten Møller, dass die Daten der dänischen Gesundheitsbehörde auf groben Fallzahlen beruhten, die Land zu Land unterschiedlich ausfallen könnten.

"Es gibt momentan Anzeichen, dass Schweden und Norwegen eine ähnliche Entwicklung durchlaufen könnten. Indien und die Philippinen melden auch einen recht hohen Anstieg an Infektionen mit BA.2. Aber in Südafrika ist das überhaupt nicht der Fall", sagte Holten Møller. BA.2 breite sich in Dänemark am schnellsten unter Kindern aus, was sie voll geöffneten Schulen zuschreibt sowie der Tatsache, dass die Impfquote in dieser Altersgruppe in Dänemark am niedrigsten sei.

Dritter Stich wirkt immer noch

Erfreulicherweise ist laut dem britischen Gesundheitsministerium die Wirksamkeit der Corona-Impfstoffe gegen BA.2 nach dem dritten Stich mit jener gegen BA.1 vergleichbar und dann vorübergehend sogar stärker. Die Behörde registrierte in der Woche ab 3. Jänner im Vereinigten Königreich "einen Anstieg der Zahl der Sequenzen des Omikron-Subtyps BA.2" und analysierte die Wirksamkeit der Impfstoffe gegen symptomatische Erkrankungen nach einer BA.2-Infektion. Verglichen wurden die Daten mit symptomatischen Fällen mit Omikron BA.1., die zwischen 27. Dezember und 21. Januar getestet wurden. Zwei Wochen nach dem dritten Stich lag die Wirksamkeit bei 63 Prozent für BA.1 und bei 70 Prozent 58-79 Prozent für BA.2.

Sternenförmige Entwicklung

Corona werden wir dennoch nicht so schnell hinter uns lassen können, wie sich das mittlerweile alle wünschen. Denn nirgends steht geschrieben, dass nicht wieder neue Varianten entstehen, auf die die Menschheit mit innovativen Strategien reagieren muss.

"Sars-CoV-2 nimmt keine lineare Weiterentwicklung, sondern die Varianten haben sich sternförmig aus dem Original gebildet. Aus jedem Zacken des Sterns können neue Subversionen entstehen", sagt Ulrich Elling.

Noch im Herbst sei man davon ausgegangen, dass Delta sich so weit vom Ursprungsvirus entfernt habe, dass weitere Varianten auf Delta aufbauen würden. "Diese Annahme erwies sich bei Omikron, die neue und andere Mutationen hervorbrachte, als falsch. Omikrons Vorgänger liegt vor Alpha. Die Variante stammt aus einem Virus, das über ein Jahr nicht mehr gesehen wurde, und ist somit wie aus dem Nichts gekommen", erklärt der Molekularbiologe, der Sars-CoV-2-Varianten für Österreich sequenziert.

Für die Impfstoffentwicklung stellt diese Gemengelage eine enorme Herausforderung dar. Grundlegend vor einer Ansteckung können nur komplexe Vakzine schützen, die viele Varianten gleichzeitig abdecken. Dazu müsste man das Virus aber besser vorhersehen können. Es bleibt somit beim Katz-und-Maus-Spiel zwischen Virus und Mensch. Oder ein Medikament bietet den Ausweg.

Elling zufolge könnte das antivirale Arzneimittel Paxlovid des US-Konzerns Pfizer den "Game Changer" darstellen. Die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) hat diese Woche die bedingte Zulassung genehmigt. Das Mittel senkt laut seinen Herstellern bei Risikopatienten die Gefahr von Spitalseinweisungen oder Tod um fast 90 Prozent.