Die Frage, wie forsch, elegant oder humpelnd sich das ballonförmige rosa Monster über den Boden der animierten Tierarztpraxis bewegen wird, ist nicht geklärt. Auch, ob man seine Krallen über die Fliesen kratzen hören wird, hat Amira Park noch nicht entschieden. "Wir testen aus und bearbeiten nach", sagt die 19-Jährige, die im Regieraum am Mischpult sitzt und die Aufgaben der Tonmeisterin übernommen hat. "Machen wir es einmal auf Holz", lautet ihre nächste Anweisung ins Mikrofon des Headsets.

"Okay", vermeldet Kollege Jan Hofbauer im Aufnahmeraum und zieht sich ein Paar hochhackiger Schuhe über die Hände, um sie im Laufschritt über einen abgegrenzten Untergrund aus Holzspänen zu führen. "So kann man den Druck besser dosieren als mit den Füßen", sagt Markus Maurer, Lehrer für Sounddesign und Grafik, der den Arbeitsprozess beobachtet. Den Satz "Das ist übrigens Unterricht" wird sein Vorgesetzter Werner Pramel, Leiter der Abteilung Design an der HTL Spengergasse in Wien-Margareten, an diesem Vormittag nicht nur einmal sagen.

Werner Pramel, Leiter der Abteilung Design, und sein Schulleiter Gerhard Hager sind es gewohnt zu erklären, was man an ihrer Schule, der "HTBLVA Wien 5 Spengergasse" in Wien-Margarethen, eigentlich lernt. Unter anderem Gamedesign, aber auch Biomedizintechnik. Und verschiedenes anderes. - © Nina Strasser
Werner Pramel, Leiter der Abteilung Design, und sein Schulleiter Gerhard Hager sind es gewohnt zu erklären, was man an ihrer Schule, der "HTBLVA Wien 5 Spengergasse" in Wien-Margarethen, eigentlich lernt. Unter anderem Gamedesign, aber auch Biomedizintechnik. Und verschiedenes anderes. - © Nina Strasser

VR und AR in der Matura

Gamedesign heißt der neueste Ausbildungszweig an der HTLBVA Spengergasse, in dessen Designabteilung außerdem nach selbst entwickelten Lehrplänen Animation, Interior- und Surfacedesign unterrichtet werden. "All das ist einzigartig in Österreich", sagt Pramel, "das gibt es an keiner anderen Schule." Der Grund für den hohen Innovationsgehalt im Ausbildungsangebot der Spengergasse: Als eine von vier technischen Schulen in Wien ist die Zentallehranstalt direkt dem Bildungsministerium unterstellt. "Wir sind Spielwiese des Ministeriums", sagt Pramel. "Wir probieren Dinge aus."

Um Spiele zu designen, braucht man eine Geschichte. Storyboard im Ausbildungszweig Gamesdesign an der HTBLVA Spengergasse. Die Schule in Wien-Margarethen wurde im 18. Jahrhundert von Maria Theresia gegründet. - © Nina Strasser
Um Spiele zu designen, braucht man eine Geschichte. Storyboard im Ausbildungszweig Gamesdesign an der HTBLVA Spengergasse. Die Schule in Wien-Margarethen wurde im 18. Jahrhundert von Maria Theresia gegründet. - © Nina Strasser

Der Lehrgang Gamedesign gliedert sich in die Bereiche Gamification, also die Grundlagen der spielerischen Vermittlung von Inhalten, und die tatsächliche Entwicklung von Spielen unter Anwendung von Hochtechnologien wie Virtual Reality (VR) und Augmented Reality (AR). Die Fächer des Pflichtstundenplans sind: Medienprojekte, -produktion, -technologie, -gestaltung, -theorie und -wirtschaft; außerdem: Deutsch, Englisch, Mathematik, Geografie, Wirtschaft und Sport. Dass Schülerin Park am Ende dieses fünften Schuljahres neben dem anerkannten Ausbildungsabschluss auch eine Matura wird vorweisen können, beruhige, erzählt sie, vor allem ihre Großmutter. "Ihr zu erklären, was ich hier mache, ist schwierig", sagt Park, bevor sie am Mischpult einen künstlichen Mikrowellensound abspielt.

"Das Tonstudio war der letzte Baustein, der uns noch gefehlt hat", sagt Parks Lehrer Maurer. "Nun können wir vor Ort ein komplettes Videospiel produzieren, also auch selbst das Sounddesign entwickeln. Audio-Feedback ist ja ein ganz wichtiger Faktor für den Spieler." In einem Lehrsaal im Stockwerk darunter nimmt sich eine 25-köpfige dritte Klasse des Animationszweiges derweil der Bewegtbildebene an. "Wir planen und produzieren Informationsvideos zu vorgegebenen Tonspuren mit einem Standard-2D-Programm", sagt Lehrer Reinhard Feichtinger über 25 Laptops hinweg, hinter denen gemurmelt, gestöhnt und vereinzelt gelacht wird. "Gerade befinden wir uns in der Konzeptphase. Die SchülerInnen haben ein Storyboard entwickelt, das wir nun individuell besprechen." Der Unterricht an der Spengergasse folgt Projektplänen: Für den Abschluss des Informationsvideos zu einer der Farben Gelb, Blau, Rot oder Grün steht ein halbes Schuljahr zur Verfügung.

Neue Didaktik

"Ein großer Vorteil unseres Spielwiesenstatus ist, dass wir neueste didaktische Methoden anwenden können", sagt Schulleiter Gerhard Hager. "Wir arbeiten also projektbezogenen und individualisiert." An der zweitgrößten Wiener Schule mit 2300 SchülerInnen und 260 Lehrkräften könne das nur mithilfe von fächerübergreifenden Formaten und Zusatzangeboten gelingen. "Es geht uns darum, auf die jeweiligen Bedürfnisse der SchülerInnen persönlich einzugehen", sagt Hager. "Dazu haben wir Lernwerkstätten, Freifächer, die die SchülerInnen mitgestalten können, den Medienverleih und das Innovationslabor, in dem neue Ideen sofort umgesetzt werden können. Schülerinnen, Schüler und Schule brauchen Freiheiten."

Auf die inzwischen 261-jährige Geschichte der Spengergasse verweisen im Büro des Schulleiters ein Kronleuchter und das gewaltige Porträt der Schulgründerin Maria Theresia. 1758 richtete die Monarchin die k.k. Commercial-Zeichnungsakademie ein, in der sich zu Beginn sechs Schüler und ein Direktor der Seidenmanufaktur nach französischem Vorbild widmen und somit der Abhängigkeit von kostspieligen Importen entgegenwirken sollten.

"Programmierschmiede"

Die Nähe der Schule zur Wirtschaft hat die Jahrhunderte überdauert: "Wir sind auch dazu da, den Firmen zuzuarbeiten, also Menschen auszubilden, die in der freien Wirtschaft bestehen können", sagt Hager. "Die Schule ist inzwischen bekannt als erfolgreichste Programmierschmiede Wiens. Im kommenden Schuljahr werden wir den IT-Ausbildungszweig statt wie bisher mit fünf sogar mit sechs Parallelklassen beginnen." Die Absolventen könnten im Normalfall nach dem Schulabschluss mit einem Einstiegsbruttogehalt von 2500 Euro rechnen. "Ja", sagt Hager, nachdem er kurz darüber nachgedacht hat, "so viel verdienen auch meine Junglehrerinnen und Junglehrer."
37 Interessenten meldeten sich für den letzten Firmeninformationstag an der Spengergasse an und warben in den beiden großen Turnsälen um das Interesse der Schülerschaft.

"Wir haben eine Abteilung für Wirtschaftsingenieurwesen und eine für Biomedizintechnik", sagt Hager. "Bei uns unterrichten Fachkräfte, die direkt aus der Praxis kommen. Das macht unsere Absolventen und Absolventinnen zu begehrten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern." Die stetige Expansion der technischen Bereiche, die der privatwirtschaftlichen Nachfrage folgt, führt bei Hager zu dringender werdenden Raumsorgen. Nicht betroffen davon seien immerhin die abendlichen Kollegs für Berufstätige. Ab dem kommenden Schuljahr steigt in diese Schiene auch das Gamedesign ein.

Ein weiteres Highlight, sagt Hager plötzlich, habe er fast vergessen: Die Diplomprojekte der Schüler und Schülerinnen, die den Abschluss ihrer Ausbildungen bedeuteten und die, natürlich, in enger Zusammenarbeit mit Firmen entstünden, zeitigten "die coolsten Ergebnisse". Imagefilme, Möbel-, Kleidungs-, Accessoire-Design und einen mobilen Kleiderschrank versammelt das Design-Jahrbuch 2014. "In der Wirtschaftsingenieurabteilung", sagt Hager, "entwickeln vier Schülerinnen gerade einen neuen Auspuff für Ferrari."

Auch das von Amira Park und ihren vier Kollegen und Kolleginnen gemeinsam entwickelte Videospiel, das eine Tierarztpraxis von Monstern bevölkern lässt, hat bereits zwei Abnehmer gefunden: Im Virtual-Reality-Café Vrei in Wien/Neubau und im VR Adventures in der Shopping City Süd wird es noch in diesem Jahr spielbar sein. Ob Park ihrer Großmutter einen Besuch zumuten kann, wird sich zeigen.