Wien. Die Jugend geht. Sie verlässt den ländlichen Raum und zieht in die Städte. Das ist nicht verwunderlich, wenn man die Entwicklung der Studienanfängerquote betrachtet. Inklusive der Fachhochschulen liegt sie bei rund 45 Prozent pro Jahrgang, noch um die Jahrtausendwende bei unter 30 Prozent. Und Unis und Fachhochschulen sind nun einmal in Zentralräumen angesiedelt.

Nach der Ausbildung folgen Job, Lebenspartner, oft Kinder, und es folgt eine zweite Migrationswelle, diesmal von der Stadt aufs Land. Allerdings, wie die Karte zeigt, zieht es die Menschen in die Peripherie der Zentralräume, rund um Wien, um Graz, um Innsbruck und um Linz, nicht aber in die randständigen Regionen. Das ist ein Problem.
Abwanderung gefährdet langfristig die Daseinsvorsorge in diesen Gemeinden. Die Schule kann nicht mehr erhalten werden, die Steuereinnahmen und Ertragsanteile sinken, in die Infrastruktur wird nicht investiert, Bankfilialen und Wirtshäuser schließen, Kassenstellen können nicht mehr nachbesetzt werden. Eine Folge ist eine pessimistischere Grundhaltung in der ländlichen Bevölkerung, die Abwanderungstendenzen weiter verstärkt.
Diese Entwicklungen zu bremsen, zu durchbrechen, vielleicht sogar umzukehren, ist zu einer bedeutsamen politischen Herausforderung geworden, nicht zuletzt deshalb wurde auch die Erarbeitung eines "Masterplans für den ländlichen Raum" in das Regierungsprogramm 2013 geschrieben. Das Problem: Es ist eine Querschnittmaterie, und eine solche hat es nie leicht.
Es dauerte einige Jahre, ehe Landwirtschaftsminister Andrä Rupprechter von der ÖVP dieses Vorhaben an sich zog und im Sommer schließlich einen umfassenden Masterplan vorstellte. Präsentiert hat ihn das Ministerium Ende Juli vor gut 1500 Bürgermeistern, Gemeinderäten und sonstige geladenen Gästen, die an der Erarbeitung auch beteiligt waren.
Natürlich war das damals bereits eine vorgezogene Wahlkampfveranstaltung. Es sprachen Alt-Landeshauptmann Erwin Pröll, die neue Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner, Gastgeber Rupprechter, und als Höhepunkt des Abends hätte auch Sebastian Kurz eine Rede halten sollen. Doch er erkrankte kurzfristig und wurde von Vizekanzler Wolfgang Brandstetter vertreten. Nicht überraschend floss der Masterplan großteils auch ins Wahlprogramm der ÖVP. Und ebenfalls nicht verwunderlich thematisiert die Volkspartei den ländlichen Raum am stärksten.
Keine ideologischen Gräben
Doch auch andere Parteien, die sich in der Vergangenheit mit Landflucht und ihrer Auswirkung auf die Daseinsvorsorge weniger auseinandergesetzt haben, haben sich diesmal der Thematik angenommen. Nicht unwesentlich: Etwa 3,5 Millionen Menschen wohnen in Gemeinden bis maximal 5000 Einwohnern.
Gänzlich konträre Ansätze und ideologische Gräben finden sich nicht, was die Problemlösung erleichtert. Allerdings: Die Herausforderungen sind so komplex, dass selbst bei gut funktionierender Umsetzung die Besserungen nur gering sein könnten. Niemand lässt sich zwingen, in der Heimatgemeinde zu bleiben. Also müssen die Rahmenbedingungen attraktiver werden, was in Zeiten enger Finanzmittel nicht leicht ist.
So sind alle Parteien für den Ausbau des öffentlichen Verkehrs, für die Sicherstellung der medizinischen Versorgung der Landbevölkerung (Hausärzte, Pflege), für die Aufwertung des Ehrenamtes. Im Detail finden sich natürlich Unterschiede. Die ÖVP will etwa ein "Ehrenamt-Gütesiegel" etablieren, das bei Bewerbungen für den öffentlichen Dienst berücksichtigt werden soll. Die SPÖ konzentriert sich bei diesem Thema auf Freistellungen mit Entgeltfortzahlungen und einer Berücksichtigung bei Bewerbungen für Unis und Fachhochschulen. Die Grünen sprechen sich für staatlich finanzierte Ausbildungsangebote für freiwillige Helfer aus.
Einige Vorschläge und Ideen werden zwar nur von einer Partei erhoben, was allerdings nicht bedeutet, dass sie von anderen automatisch abgelehnt werden müssen. Oft geht es auch nur um die Schwerpunktsetzung. Die ÖVP fordert etwa, dass nicht alle Bundesbehörden in Wien angesiedelt sein sollen, um hochwertige Arbeitsplätze in andere Bezirke zu bringen.
Die Neos wollen dezentrale Cluster (Betriebe und Bildung) schaffen und mehr FHs aus den Zentralräumen hinausbringen. Die SPÖ will mehr Geld in Infrastruktur investieren, die FPÖ einen Stopp bei der Schließung von Polizeidienststellen, und die Grünen sehen als Schlüssel gegen Abwanderung vor allem eine stärkere Partizipation von Frauen. Tatsächlich gibt es nur acht Prozent Bürgermeisterinnen, und auch in den Vereinen bekleiden vorrangig Männer die Führungspositionen.
Was sich in den Programmen der Parteien freilich auch findet, sind Forderungen, die bisher überregional diskutiert wurden und teilweise eben doch ideologisch gefärbt sind, die sich aber auf kommunaler Ebene auswirken würden. So fordert die SPÖ eine Erbschaftssteuer, um die Pflege zu finanzieren, die ÖVP lehnt diese mit dem Hinweis auf das Gasthaussterben ab. Die Grünen sehen durch ein grünes Steuermodell besonders Betriebe im ländlichen Raum als große Profiteure, und die Neos wollen Steuerhoheit für Gemeinden und Länder.
Dass ohnehin so gut wie jedes politische Thema im Kleinen, also auf kommunaler Ebene Auswirkungen hat, ist abseits von Wahlkämpfen nicht so vordringlich zu spüren - jüngst etwa beim Ausbau von Ganztagsbetreuung und Kindergärten. Hier zeigte sich, dass die konkrete Umsetzung in den Gemeinden nur bedingt mitgedacht wurde. Und die kleineren Probleme, die in ihrer Gesamtheit natürlich auch auf die Lebensqualität und Attraktivität des ländlichen Raumes wirken, scheitern in der Praxis dann oftmals an Kompetenzkonflikten und echtem Interesse der Parteien.