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Smartes Wagenvolk

Von Adisa Begovic

Das Ökodorf neben der Seestadt experimentiert mit neuen Wohn- und Lebensformen.


Wien. Über die Felder der im Nordosten Wiens liegenden Seestadt fegt ein eisiger Wind. Direkt neben der Satellitenstadt, über einen Schotterweg erstreckt sich eine Ansammlung von Lehm- und Holzhäusern, Containern, Kuppelzelten und Jurten. Zwischen ihnen ein Gemeinschaftsgarten.

Das sogenannte Ökodorf wirkt fast wie eine Gegenveranstaltung zu der mit modernen Bauten gefüllten Seestadt. Auf dem Areal befinden sich zwei Container, die mit Seilen verbunden sind. Zwischen ihnen baumeln bunte Regenschirme herab und auch eine selbstgebaute Schaukel.

"Hier wird immer gearbeitet, egal zu welcher Jahreszeit", erzählt Michael Zimmermann, Hauptverantwortlicher für den Gemeinschaftsgarten. Voller Stolz präsentiert er sein Reich, das er gerade winterfest macht. Denn im Frühjahr möchte er seine Anbaufläche ausweiten. Waren heuer Petersilie, Zitronenmelisse und Tomaten die Früchte seiner Arbeit, wird er sein Sortiment künftig aufstocken. "Mit Gemüseanbau hatte ich nichts am Hut. Ich bin Trainer und hab’ das Wissen über Gärtnerei im Selbststudium erlernt", sagt Zimmermann, der sich die Hände vor Kälte reibt.

Er verkörpert damit den Geist der Transition Base: selbst anpacken, selbst (an-)bauen. "Wir wollen die Menschen dazu bewegen, dass sie selbst ausprobieren", erzählt der 41-jährige David Marek. Er ist Obmann des Vereins United Creations, der hinter der Transition Base steht.

Alternatives Wohnen

Doch in der Transition Base geht es nicht ausschließlich um den Anbau von Gemüse. Die Zwischennutzungsfläche im 22. Bezirk dient auch zum Forschen und Bauen. Dazu werden meistens ökologische oder recycelte Rohstoffe verwendet, um innovative Bauwerke zu schaffen. "Unsere Forschungsgebiete sind ökologische Bauweisen, nachhaltige Energieträger, Permakultur und Gemeinschaftsbildungsprozesse", so Marek, vom Beruf Psychologe und Coach. Er ist überzeugt, dass man für die eigenen vier Wände nicht unbedingt einen riesigen Kredit aufnehmen muss.

Die Bauten hier sollen seine These beweisen. Einige Meter vom Gemeinschaftsgarten entfernt befindet sich eine Holzkonstruktion, die an einen Zugwaggon erinnert. Es handelt sich dabei um einen alten Zirkuswagen, wie die Besitzerin Martina Höss erklärt. Gemeinsam mit ihrem Freund hat sie den Wagen innerhalb von drei Wochen zu einem mobilen Zuhause aus Massivholz umgebaut. Der Innenraum, der vor kurzem mit Holzöl gestrichen wurde, soll für kreative Zwecke genutzt werden. Dass der Zirkuswagen zum Wohnen dienen könnte, kann sich Martina Höss durchaus vorstellen.

Wie flexibel die Wohnmodelle sein können, zeigt auch die Hausalternative von Maurus Mosetig. Am Feldrand zwischen dem Zirkuswagen und einigen Bäumen befindet sich ein Holzwürfel namens Q-Box. Frei nach dem Motto maximale Nutzbarkeit und minimaler Platzbedarf versucht der Bühnenbildner Mosetig, auch den Nachhaltigkeitsaspekt beim Bauen einzubeziehen. Der Raum und die Möbel sollten vielfach genutzt werden sowie auch die Materialien, die getrennt und wiederverwertet werden können.

Das Schmuckstück der Transition Base bildet ein Haus aus Lehm und Holz, in Form eines umgedrehten U, ausgestattet mit großen Fenstern, Holzböden und einem Ofen in der Mitte des Hauses. Dieser Prototyp soll die Vielfalt an Materialien aufzeigen, die zum Bauen genutzt werden können. Zwar gibt es zahlreiche Arten von Lehm, dennoch erfordert es Experten und Architekten, die sich mit Lehmbau auskennen. Beispielsweise macht Lehm alleine nicht den Vorteil beim Heizen aus. Im Falle des Kettenlinienhauses ist es die Kombination mit dem "CO2-positiven" Strohballen als Dämmstoff. Dieser lässt die Gesamtenergiebilanz und die Dämmung gut ausfallen und ermöglicht somit den reduzierten Heizaufwand.

Lehm bringt in diesem Fall insbesondere den baubiologischen Vorteil, dass er Raumfeuchtigkeit ausbalanciert und damit auch Wärme speichert. "Wir sitzen hier in einem beinahe Null-Euro-Haus. Unser Ziel ist es, so ökologisch wie möglich zu arbeiten", so Marek. Seine Vision ist die Errichtung eines Ökodorfes, gebaut aus recyceltem und ökologischem Material, betrieben durch erneuerbare Energien.

In der Stadt sollen auch ökologische Bau-, Wohn und Versorgungslösungen umgesetzt werden. Beispielsweise in Form von ökologisch orientierten Baugruppenprojekten mit Selbstbauanteil und urbanen Formen der gemeinschaftlichen Versorgung.

Die Ökogruppe setzt sich aus Menschen aus verschiedenen Berufen zusammen, jeder kann mitmachen und sein Wissen teilen. Denn ohne Professionalität könnte man die Entwicklung des Projekts nicht voranbringen. Marek selbst habe 2011 einen Green-Skills-Lehrgang (ein interdisziplinärer Kurs, wo Nachhaltigkeit und Management-Skills gelehrt werden) besucht, um sich unter anderem auch mit Themen wie Lehm- und Strohballenbau auf Forschungsebene auseinanderzusetzen.

Als Projektpartner setzt man unter anderem auf die Technische Universität und das Institut für Bodenkultur. Es stellt sich jedoch die Frage: Wozu das alles? Für die Menschen hinter der Transition Base ist die Antwort klar: Die Menschen brauchen Wohnraum, gleichzeitig steigen die Wohn- und Baupreise immens. Also wollen sie alternative Ideen liefern.

Der aktuelle Vertrag läuft noch bis 2020

Laut Statistik Austria wird Wien das stärkste Bevölkerungswachstum aller Bundesländer haben. In sechs Jahren soll die Bevölkerungszahl der Bundeshauptstadt die Zwei-Millionen-Marke überschreiten. "Das wird eine Herausforderung. Mit unseren Projekten versuchen wir, rurale Gebiete für Menschen attraktiver zu machen und sie zu ermutigen, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen", sagt Marek und zieht sein schwarzes Sakko zurecht. Nicht nur Landwirtschaft und Bauwesen sollen erforscht werden, die Transition Base soll als Plattform für Ausstellungen, Lehrgänge und zum Netzwerken dienen. Konzepte für Städte von Morgen sollen hier ausprobiert werden. Das Ganze hat die Form einer Zwischennutzung - der aktuelle Vertrag mit der Aspern Development AG läuft bis 2020.

Schlechter Ruf und Gerüchte

Die Vienna Transition Base hat mit Gerüchten und Falschinformationen zu kämpfen. In der Seestadt gelten sie als moderne Hippies. Eine Reportage für die ORF-Sendung "Am Schauplatz" ist auch auf das Projekt eingegangen, konnte jedoch kein besseres Licht darauf werfen. Im Gegenteil. Es wurde im Beitrag behauptet, dass ihnen von der Stadt Wien eine Nutzungsfläche von zwei Hektar gratis zur Verfügung gestellt worden sei. In Wahrheit sind es 7000 Quadratmeter die ihnen, in Form eines Leihvertrages von den Stadtentwicklern (Aspern Development AG), zur Verfügung gestellt werden.

"Im ORF-Beitrag über uns wurde fälschlicherweise gesagt, dass uns die Stadt Wien finanziert. Dem ist nicht so. Wir finanzieren uns durch Mitgliedsbeiträge, Crowdfundings, Projektpartnerbeiträge und Eigenkapital", sagt Marek. Manchmal müssen sie auch da Alternativen erproben. Ein Finanzierungsversuch über Crowdfunding starteten die Projektteilnehmer im Sommer. Der Fundingbetrag von 11.000 Euro floss die Winterküche, Baumsicherungsmaßnahmen und Installationen.

Vieles vom Baummaterial haben sie geschenkt bekommen, beispielsweise Holzpaletten für das Recyclinghaus, dessen Zweck noch unbekannt ist. Aber das Ziel ist bekannt. Die lokale Selbstversorgung und eine emanzipierte Lebensführung wollen die Projektteilnehmer durchsetzen. "Wir sind keine Hippies. Uns geht es darum, den Menschen zu zeigen, was sie alles selbst machen und schaffen können", sagt David Marek.

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