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Geht es auch ohne Bürgermeister?

Von Christian Rösner

Politik
Viele Personen, viele Ideen: Diskussion mit Zuna-Kratky, Blümel, Moderatorin, Giesswein und Horx-Strathern.
© photonews.at/G. Schneider

Was eine zukunftsfitte Stadt ausmacht, wurde bei einer Veranstaltung des ÖVP-nahen Stadtforums diskutiert.


Wien. Sechs Faktoren sind es, die künftig darüber entscheiden werden, ob sich eine Stadt positiv entwickelt oder nicht, erklärte die Trendforscherin Oona Horx-Strathern bei einer Podiumsdiskussion, die vom ÖVP-nahen Stadtforum und der Stadtakademie organisiert wurden. Die Faktoren lauten: Smart Government City, Creative City, Human City, Knowledge City, Nature City und Health City. Etwa als innovatives Beispiel zum Faktor Health City brachte die Forscherin ein Projekt in Stockholm, wo U-Bahn-Treppen in Klaviertasten umfunktioniert wurden - mit dem gesundheitsfördernden Effekt, dass die Passanten kaum noch die daneben befindliche Rolltreppe nutzten.

Unter dem Titel "Von der anspruchslosen Stadt zur Stadt mit Anspruch" wurde bei einer anschließenden Podiumsdiskussion u.a. mit Wiens ÖVP-Chef Gernot Blümel, der Direktorin des Technischen Museums, Gabriele Zuna-Kratky und dem Mitbegründer von Digital City Wien Martin Giesswein auch darüber diskutiert, wie wichtig die Rolle des Bürgermeisters in einer Stadt ist. Laut Giesswein ist es nämlich das Potenzial der Menschen in der Stadt dafür ausschlaggebend, wie sich eine Stadt entwickelt und nicht der Bürgermeister, der sie regiert. Vor allem die Talente einer Stadt bzw. die dort ausgebildeten Menschen hätten bei Standortentscheidungen von Unternehmen eine große Bedeutung, meinte Giesswein. Horx-Strathern sieht den Bürgermeister wiederum vielmehr in der Rolle des Dirigenten, dessen zukunftsweisende Aufgabe es ist, die sechs genannten Faktoren zu orchestrieren. Der Bürgermeister im herkömmlichen Sinn hätte damit ausgedient.

Bürgermeister als Karotte

Im Zusammenhang mit dem Faktor Smart Government City brachte die Forscherin ein weiteres originelles Beispiel aus Bogota. Dort wollte nämlich der Bürgermeister die Kriminalitätsrate senken, indem er sich im Fernsehen als Karotte verkleidete, um täglich ab 24 Uhr die "Karottenstunde" einzuläuten: In dieser Stunde wurden die Männer dazu aufgerufen, auf Alkohol zu verzichten und nach Hause zu gehen, um ein Glas Karottensaft zu trinken. Tatsächlich sei die Kriminalitätsrate merkbar zurückgegangen, so die Forscherin. Nachsatz: "Ich weiß, das wäre hier in Wien nur schwer vorstellbar." Aber für sie zählt auch das Global Parliament of Majors, das sich 2016 erstmals zum Erfahrungsaustausch getroffen hat, zum Faktor Smart Government.

Im Zusammenhang mit Nature und Health City nannte Horx Strathern Maßnahmen, die in Wien wohl mehr den Grünen als der ÖVP zuzuschreiben sind: Verdrängung des Individualverkehrs aus der Stadt und das Etablieren einer "Bike-Happiness" nach Amsterdamer Vorbild.

Suche nach Gemeinschaft

Horx-Strathern präsentierte weiters anhand einer "Megatrend-Map" Trends wie etwa "Silver-Society" (Alterung der Gesellschaft), "Individualisierung" oder "Konnektivität", die bereits jetzt massive Auswirkungen auf verschiedene Lebensbereiche und das Zusammenleben der Menschen in den Städten haben. So hätten sich etwa "Co-working", "Co-living", "Co-housing", Co-Gardening oder "Co-mobility" zu einem Gegenentwurf gegenüber der Individualisierung in den Städten entwickelt, wo Individuen wieder nach Gemeinschaft suchen, um der digitalen Isolation zu entkommen.

Damit werde in Zukunft die Nachfrage nach Wohnraum nicht mehr vordergründig von der Quadratmeterzahl bestimmt, sondern von der Qualität der "shared spaces, die man in der Gemeinschaft teilen kann, meinte die Forscherin, die diese Aussage noch mit einem Zitat der Agentur K-Hole zu unterstreichen versuchte: "Früher wurden Menschen in Gemeinschaften geboren und mussten ihre Individualität finden. Heute werden Menschen als Individuen geboren und müssen ihre Gemeinschaft finden." Auch hier brachte sie ein Wohnprojekt als Beispiel, wo jede Person nur 11 Quadratmeter eigene Wohnfläche besitzt, dafür aber der Gemeinschaft 10.000 Quadratmeter shared Space in Form von Küchen, Kino, Spa, Gym und Bibliothek zur Verfügung stehen.

Mehrere Stadtkerne

Auch Wien brauche Wohnkonzepte für die Zukunft, meinte Blümel. Schließlich habe die Stadt einen jährlichen Zuzug von rund 30.000 Menschen, wofür intelligente Wohnideen notwendig seien. Zwar habe man in den Innergürtelbezirken infrastrukturtechnisch sehr gute Voraussetzungen, in Donaustadt oder Floridsdorf gebe es allerdings Handlungsbedarf. Als Lösungsvorschläge nannte Blümel u.a. die Entwicklung mehrerer Stadtkerne mit Märkten und Nahversorgern und das Eindämmen der Regulierungswut der Stadtverwaltung. So müsse es etwa wieder attraktiver werden, leerstehende Geschäftslokale mit Leben zu füllen. Und laut Blümel wäre es im Sinne der Betriebsansiedelung weiters sinnvoll, wenn auch Straßen in Stadterweiterungsgebiete gebaut würden und nicht nur eine U-Bahn - Stichwort Seestadt und Stadtstraße.