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"Wir bauen den größten Sondermüll der Baugeschichte"

Von Christian Rösner

Nur damit der Hausbau kurzfristig billig ist, werden Dämmplatten an die Fassaden geklebt, meint Dietmar Steiner.
© fotolia/Dagmara_K

Obwohl er sich sein Leben lang mit Architektur beschäftigt, spricht sich Dietmar Steiner gegen das Bauen aus – zumindest in seiner derzeitigen umweltschädigenden Form.


Wien. Wenn Dietmar Steiner (67) auf einer europäischen Landkarte überall dort ein Fähnchen stecken würde, wo ein Bau steht, bei dem er zumindest im Hintergrund mitwirkte, dann wäre das Feld ziemlich ausgefüllt. Im Interview mit der "Wiener Zeitung" spricht er nun darüber, dass man das Bauen stoppen sollte - zumindest in seiner derzeitigen Form, die vor allem auf Kosten der Umwelt geht.

"Wiener Zeitung": Wenn es gegen das Bauen geht, haben Sie viel zu sagen - dabei sind sie ja Architekt. Wie geht das zusammen?

Dietmar Steiner: Die hohen Standards von Technik und Komfort werden immer mehr zu einer Last. Tatsächlich sieht man, dass die Häuser immer massiver werden - vom Gebäudegrundriss bis hin zum Fensterrahmen. Dazu tragen laufend verschärfte Vorschriften ebenso wie die nicht mehr hinterfragten Konventionen der Immobilienbranche bei.

Was schlagen Sie vor?

Es geht um Reduktion des Aufwands, die Benutzung weniger, aber langlebiger Güter des täglichen Bedarfs, eine Vereinfachung des Bauens, und um die Vermeidung jedes Neubaus zugunsten der Nutzung des Bestandes.

Wie soll das funktionieren?

Dazu müsste sich die zeitgenössische Architektur radikal ändern. Sie müsste ihrem derzeit herrschenden bewusstlosen technologischen Modernismus abschwören. Sie müsste zurück zu traditionellen Baumethoden und Techniken, zu einer Kultur des Bauens der alten Meister.

Aus Lehm kann man aber keine Hochhäuser bauen - oder?

Also ich weiß bis heute nicht, warum man etwa auf der arabischen Halbinsel Hochhäuser baut. Die haben keine Bodenknappheit. Da ist Platz genug für traditionelles Bauen. Trotzdem entsteht dort ein Hochhaus nach dem anderen. Und für diesen Immobilien-Boom importiert man australischen Sand, um genug Beton mischen zu können. Anderes Extrembeispiel Singapur: Ein sehr kleiner Stadtstaat, der nicht akzeptieren will, dass seine Fläche limitiert ist, und deswegen Aufschüttungen im Meer macht und dafür illegal aus Kambodscha Sand mit Schmugglern holt. China hat die letzten drei Jahren mehr Zement verbraucht als die USA im ganzen 20. Jahrhundert. Viele wissen das gar nicht, aber Sand ist zu einem globalen Ressourcenproblem geworden. Das heißt: Man sollte nicht nur ressourcenschonend bauen, sondern sich auch den jeweiligen klimatischen Begebenheiten anpassen.

Es gibt doch genug Wüstensand?

Der ist für die Betonmischung zu glatt geschliffen. Es gibt aber bereits Versuche, Wüstensand mit Kunststoff anzureichern, damit man ihn verwenden kann. Anstatt ihn so zu verwenden, wie man ihn jahrtausendelang verwendet hatte, nämlich für den Lehmbau.

Noch einmal gefragt: Kann man aus Lehm Hochhäuser bauen?

Die Lehmhäuser im Jemen sind weltgeschichtlich berühmt. Die hatten halt noch keinen Lift und mussten über Leitern bis in den 7. Stock klettern.

Sieben Stöcke machen kein Hochhaus.

Aber es reicht. Hochhäuser, wie wir sie kennen, gibt es erst seit den Bodenspekulationen und der Erfindung des Lifts. Und natürlich gibt es eine männlich baukulturelle Sehnsucht nach hohen Gebäuden.

Frei nach dem Motto: Wer hat den größten?

Nicht nur. Es geht schon auch um städtische Verdichtung, um städtebauliche Kompositionen und die Frage, was geben sie an Urbanität der Stadt zurück.

Sie haben eingangs gesagt, dass auch die hohen Standards von Technik und Komfort immer mehr zu einer Last werden - was haben Sie damit gemeint?

Ja, ich möchte in 50 Jahren kein Denkmalpfleger sein, der sich um den Erhalt der heutigen Bausubstanz kümmern muss. Denn es ist technisch eine enorme Herausforderung, mit den ausufernden Materialien und der Haustechnik, die heute eingesetzt werden, zu arbeiten, ja sie zu identifizieren.

Was heißt das konkret?

Wir sagen doch immer, dass jeder Bau nachhaltig sein muss. Diese Anforderung wird heute mit einem enormen Aufwand von Haustechnik und regelmäßigem Wartungsaufwand erfüllt - und das bezeichnet man dann auch noch als smart. Nachhaltig sind aber tatsächlich Bauten, die seit Jahrhunderten stehen. Wir brauchen keine Smart Houses, wir brauchen Stupid Houses.

Ziegelbauten sind doch wesentlich teurer als Stahlbetonhäuser, oder?

Zehn Zentimeter Betonscheiben mit 25 Zentimeter Dämmplatten drauf und darüber Putz ist billiger als eine 50 Zentimeter dicke Ziegelwand. Kurzfristig gesehen stimmt das, ja. Aber was mit der Dämmung in 20 Jahren ist und wie man dann diese Außenwände sanieren soll, weiß heute niemand. Die muss man komplett abreißen und entsorgen. Wir bauen heute in Österreich, Deutschland und der Schweiz den größten Sondermüll der Baugeschichte, nur damit die Häuser jetzt billig sind.

Aber wir haben in Wien sogar Hochhäuser, die mehr Energie erzeugen, als sie verbrauchen - ist das keine positive Entwicklung?

Der österreichische Architekt Dietmar Eberle hat es geschafft, aus Ziegel ein sechsgeschoßiges Bürogebäude in Lustenau zu errichten, das ganz ohne mechanische Heizung und Kühlung auskommt und trotzdem ständig Innenraumtemperaturen zwischen 22 und 26 Grad Celsius aufweist. Die Haustechnik besteht nur aus CO2-Sensoren, die Lüftungsklappen automatisch öffnen, wenn zu viel CO2-Gehalt in der Luft ist. Ich finde das energetisch wesentlich effizienter und nachhaltiger.

Warum baut man diese Gebäude nicht in Serie?

Weil man nur an die Errichtungskosten denkt, und keine langfristige Verantwortung übernehmen will.

Sie haben auch von der Vermeidung jedes Neubaus zugunsten der Nutzung des Bestandes gesprochen. Wie soll das bei einer wachsenden Stadt funktionieren?

Würde man theoretisch die Fläche des vorhandenen Leerstands nutzen, müsste Wien die nächsten drei Jahre keinen Neubau errichten. Das betrifft vor allem Industrie- , Gewerbe- und Bürobauten. Und alle nur eingeschoßigen Konsumbauten müssten verpflichtend überbaut werden.

So viel Leerstand gibt es?

Ich meine potenziell. Die ganze Immobilienwirtschaft ist auf Neubau fixiert. Das Problem ist, dass ab dem 20. Jahrhundert keine Gebäude für Mehrfachnutzung mehr gebaut wurden. Bei den Häusern bis zur Gründerzeit war das noch anders: Erdgeschoß und Obergeschoß wurden kommerziell genutzt und darüber kamen Büros, dann Wohnungen. Ab dem 20. Jahrhundert erfolgte die Funktionstrennung. Und das macht die Nachnutzung so schwer.

Haben Bürgerinitiativen recht, jeden Neubau verhindern zu wollen?

Natürlich muss es immer auch Neubau geben - wenn damit eine städtebauliche Leerstelle verbessert werden kann und die Öffentlichkeit durch einen städtebaulichen Vertrag davon profitiert. Wenn sich die Gegner nur darauf berufen, dass sich nichts ändern darf, dann ist es ein Machtkampf, und man will nur seine eigenen Privilegien sichern. Ich darf aus dem letzten Interview mit dem leider verstorbenen Musiker Wilfried Scheutz zitieren: "Aufbegehren finde ich großartig. Aber dass jetzt jeder ungebildete Trottel im Internet, aber auch in Fernsehsendungen und bei Leserzuschriften raunzt, ohne dass er sich vorher informiert hat, worum es überhaupt geht, ist eine Katastrophe. Das verhindert die Entwicklung des Staates und das Vorankommen der Menschheit (...)."

Dietmar Steiner hat das Architekturzentrum Wien aufgebaut, war in den 1990ern Chefredakteur von "domus" in Mailand, ein Leitmedium der Architekturpublizistik. Er war Präsident der Internationalen Konföderation der Architekturmuseen, im Steering Committee des Europäischen Preises für Architektur und vielen anderen internationalen Organisationen tätig sowie auch Architekturberater und Jurymitglied bei vielen Projekten in Europa.