Jetzt flirtet er auch noch offen mit der Verschiebung der Wahl. Donald Trump hat derzeit die wohl schlechtesten Umfragewerte, die ein amtierender Präsident kurz vor der Wahl jemals hatte. Er scheint in Bundesstaaten hinten zu liegen, in denen er 2016 noch brilliert hatte. Kein Wunder: Die US-Wirtschaft liegt am Boden. Die Proteste gegen Polizeigewalt nehmen nicht ab, auch wenn Trump den US-Grenzschutz in die Städte geschickt hat, um genau diese Demonstrationen zu unterdrücken. Und: Inzwischen stirbt jede Minute ein US-Amerikaner an dem Coronavirus.
Dass Trump dem Wahltag am 3. November mit mulmigen Gefühlen entgegen sah, war klar. Schon lange ging die Angst um, dass Trump alles versuchen würde, um diese Wahl zu verschieben. Personen aus dem Weißen Haus haben schon lange so eine Idee immer wieder unters Volk gebracht. Trumps Schwiegersohn Jared Kushner wollte eine Wahlverschiebung zumindest nicht ausschließen Und Trump selbst hat stetig darauf hingearbeitet, dass die Briefwahl diskreditiert wird. Und das ist zu Corona-Zeiten keine Kleinigkeit.
"Wahl wäre eine große Peinlichkeit"
Am Donnerstag passierte dann tatsächlich das schwer fassbare in einem Land, dass sich als die "größte Demokratie der Welt" rühmt. Der US-Präsident selbst will offenbar eigenhändig seine Amtszeit verlängern. Trump twitterte: "Mit der Briefwahl wird 2020 die UNGENAUESTE und BETRÜGERISCHTE Wahl der Geschichte sein. Sie wird eine große Peinlichkeit für die USA darstellen. Verschieben wir die Wahl, bis die Menschen richtig, sicher und wohlbehalten wählen können???"
With Universal Mail-In Voting (not Absentee Voting, which is good), 2020 will be the most INACCURATE & FRAUDULENT Election in history. It will be a great embarrassment to the USA. Delay the Election until people can properly, securely and safely vote???
Donald J. Trump (@realDonaldTrump) July 30, 2020
Nicht nur Verfassungsrechtlern bleibt da die Spucke weg. Denn die USA wählen schon immer alle vier Jahre ihren Präsidenten, sogar zu Zeiten des Bürgerkriegs. Das ist in der Verfassung so geregelt. Mehr noch: Der 20. Verfassungszusatz besagt, dass die Periode des US-Präsidenten und seines Vizes am 20. Jänner des folgenden Jahres zur Mittagszeit endet. Egal, ob es einen präsidenziellen Nachfolger gibt oder nicht. Sollten keine Wahlen abgehalten worden sein, weil bisher ungeahnte Ereignisse eingetreten sind, ist Trump formal auch dann seinen Job los.
Und um den Wahltermin am 3. November zu ändern, müsste das Gesetz geändert werden. Dazu bräuchte es die Zustimmung nicht nur des republikanischen Senats sondern auch des demokratisch dominierten Repräsentantenhauses. Und es ist nicht davon auszugehen, dass die Demokraten ihre Zustimmung zu so etwas geben.
Trumps Wahlkampfsprecher war sich der Entgleisung offenbar bewusst: Der relativierte gleich: "Man wird doch noch fragen dürfen". Doch die Tatsache allein, dass Trump nun mit dem Gedanken an eine Wahlverschiebung spielt, lässt Übles ahnen. Einerseits werden seine Kernwähler noch mehr motiviert, für ihn auf die Straße zu gehen. Der Spalt zwischen den Lagern wird immer größer, das Wahlergebnis vom November wird noch mehr in Zweifel gezogen werden. Trump hatte ja schon im Vorfeld gesagt: Er sei ein schlechter Verlierer, und deutet an, die Wahl jedenfalls anzufechten. Es ist der "größten Demokratie der Welt" nicht würdig.
Die Demokraten mutmaßen bereits seit Wochen, dass Trump angesichts der drohenden Niederlage tief in die Trickkiste greifen könnte. Gerechnet wird mit allem, bis zu einer Leugnung der Niederlage.
Trump bereite den Boden vor "um sagen zu können: 'Die Wahl wurde gestohlen, es gab Betrug, wir ziehen vor Gericht, wir rufen die Leute auf die Straße'", sagte der auf Wahlen spezialisierte Anwalt Mark Brewer, der demokratische Freiwillige ausbildet.
"Der Typ ist zu allem fähig"
"Der Typ ist zu allem fähig, deswegen müssen auf alles vorbereitet sein." Wie aus Gesprächen der Nachrichtenagentur Reuters mit zahlreichen Parteivertretern hervorging, bereiten die Demokraten sich besonders auf Streit über Briefwahlen, Stimmenauszählungen und die Möglichkeit vor, dass Trumps Anhänger versuchen könnten, Wähler an den Urnen einzuschüchtern.
Der demokratische Präsidentschaftskandidat Joe Biden hat es als seine größte Angst bezeichnet, dass Trump versuchen könnte, die Wahl zu manipulieren oder sich weigern könnte, eine Niederlage anzuerkennen. Im Umfeld des Wahlkampfteams des Ex-Vizepräsidenten hieß es, dass sich Bidens Mannschaft auch auf ein "Alptraumszenario" vorbereite, wonach Trump zwar in der Wahlnacht die Stimmenauszählung in umkämpften Bundesstaaten anführen, sich aber bei einer letztendlichen Niederlage nach Auszählung der Briefwahl beschweren könnte, dass ihm der Sieg gestohlen worden sei.