Es ist heraußen, endlich: Joe Biden, Kandidat der Demokratischen Partei für die US-Präsidentschaftswahl am 3. November, gab am Dienstag nachmittag die Wahl für seine Stellvertretung bekannt. Als Vize wird ihm die Senatorin Kamala Devi Harris dienen. Die 55-jährige vertritt seit 2017 den größten Bundesstaat Kalifornien im Oberhaus und lebt mit ihrem Ehemann, einem bekannten Anwalt namens Douglas Emhoff und zwei Stiefkindern auf der West Side von Los Angeles. Harris' Ernennung zum "Running Mate" Bidens stellt gleich in mehrerer Hinsicht eine historische Angelegenheit dar.
Die im nordkalifornischen Oakland geborene Juristin ist die erste farbige Kandidatin für den Posten und die erste mit Wurzeln in der Karibik – ihr Vater Donald, ein renommierter Wirtschaftsprofssor, stammt aus Jamaika – und in Südasien; ihre 2009 verstorbene Mutter, die Krebsforscherin Shyamalan Gopalan, wurde in Indien geboren. Weniger augenfällig, aber um nichts weniger epochal: Die gelernte Juristin ist die erste Absolventin eines sogenannten HBCU, die es auf die höchste Ebene der US-amerikanischen Politik geschafft hat. Das Kürzel steht für Historical Black Colleges und Universities. Nämliche umfassen rund hundert Institutionen für höhere Bildung, die in den USA schon vor dem Civil Rights Act von 1964 existierten – letzterer setzte der Apartheidpolitik im Süden formal ein Ende – und werden bis heute mit überwältigender Mehrheit von Kindern afroamerikanischer Familien besucht. In den Achtzigerjahren studierte Harris, nachdem sie zuvor einige Jahre im kanadischen Montreal gelebt hatte, wo ihr Vater nach der Trennung der Eltern unterrichtete, Volkswirtschaft und Politikwissenschaft an der Howard University in Washington D.C.
Bei Demokraten nicht unumstritten
Eine laut früheren Interviews "extrem wichtige und bis heute prägende Zeit", in der sie zum ersten Mal eine Politkarriere erwog. Nach dem Abschluss setzte Harris ihre akademische Karriere an der University of California, Hastings, in San Francisco fort, wo sie den Doctor juris erlangte und 1990 als Anwältin zugelassen wurde. Ihre politische Karriere startete sie unter der Patronage eines der damals mächtigsten Demokraten Kaliforniens: Willie Brown, langjähriger Sprecher der Partei im Bundesstaatsparlament (1980-1995) und nachmaliger Bürgermeister von San Francisco (1996-2004). Mit dem 31 Jahre älteren Brown war Harris in den Neunzigerjahren auch privat liiert.
Neben einer steilen Karriere als Staatsanwältin in das an San Francisco angrenzende Alameda County, das auch ihre Geburtsstadt Oakland umfasst, sammelte sie als Mitarbeiterin zahlreicher öffentlicher Kommissionen erste politische und legislative Erfahrung. Erstmals über die Bay Area hinaus Schlagzeilen machte Harris 2003, als sie das Rennen um den Posten als Bezirksstaatsanwältin für San Francisco knapp aber doch für sich entscheiden konnte. In diesem Job, den sie bis 2011 inne hatte, traf sie Entscheidungen, die ihr teilweise bis heute nachhängen, nicht zuletzt im linken Flügel der Partei. Während ihrer erfolglosen Kandidatur um die Nominierung zur Präsidentschaftskandidatin hatten ihr allen voran die Anhänger von Bernie Sanders vorgeworfen, in dieser Zeit mit einer Law&Order-Politik, die unter anderem empfindliche Strafen für die Eltern von Schulschwänzern vorsah, gezielt Minderheiten benachteiligt zu haben. Eine Attacke, auf die Harris scharf reagierte – und gewissermaßen umzudrehen versuchte, indem sie im Rahmen der öffentlichen Fernsehdebatten während der Vorwahlen ausgerechnet Joe Biden Rassismus vorwarf, weil der in den Siebzigerjahren als Jung-Senator von Delaware gemeinsame Sache mit erklärten Segregationisten gemacht hatte, um das sogenannte "Bussing" zu erschweren: Eine damals übliche Maßnahme, die dazu führen sollte, dass die auch nach der gesetzlichen Aufhebung der Rassentrennung immer noch massive, informelle Aufteilung der Schulbezirke in Weiß und Schwarz aufbrechen sollte. So sehr sich das Biden-Camp seinerzeit über diesen Angriff echauffierte, so sehr betont man jetzt, dass alles vergeben und vergessen sei.
Zielstrebig an die Spitze
Auf Harris' Tätigkeit in San Francisco folgte 2010 eine erfolgreiche Bewerbung um den Posten des Generalanwalts für den gesamten Bundesstaat Kalifornien mit seinen rund 40 Millionen Einwohnern. Im Rückblick gesehen war es ab diesem Zeitpunkt nur mehr eine Frage der Zeit, bis sie auch die letzten Spitzen im Partei-Establishment der an der Westküste absolut regierenden Demokraten – Republikaner zählen in Kalifornien als aussterbende Spezies – soweit von ihren Qualitäten überzeugen würde, dass die sie für höhere Weihen in der Hauptstadt vorschlagen. Ein aus heutiger Sicht ebenfalls nicht zu vernachlässigender Faktor waren die Freundschaften im Rest des Landes, die Harris damals schloss. Allen voran die mit Beau Biden. Als der älteste Sohn Joe Bidens, der damals den gleichen Job wie sie für den den Bundesstaat Delaware ausfüllte, 2015 an einem inoperablen Gehirntumor verstarb, standen Harris und ihre Familie in der ersten Reihe der Trauergäste.
Nachdem sie sich als Attorney General unter anderem als Kämpferin für Konsumenten- und Umweltschutz einen Namen gemacht hatte, kandidierte sie 2016 für den Sitz der langjährigen Senatorin Barbara Boxer und setzte sich entsprechend locker durch. Als frisch gebackene Senatorin setzte Harris dank ihres politischen Gespürs und ihrem Faible für legislative Details schnell jene Art von Duftmarken, die ihr politisches Profil und ihre landesweite Bekanntheit massiv erhöhten. Erst als sie 2019 ihre Bereitschaft bekannt gab, gegen Donald Trump antreten zu wollen, setzte es die erste Niederlage.
Die von ihrer jüngeren Schwester Maya gemanagte Primary-Kampagne erwies sich trotz formal guter Voraussetzungen – in Kalifornien sitzen viele der reichsten Gönner der Demokraten – schnell als Rohrkrepierer. Was nichts daran ändert, dass sie im Jahr 2020 als gebildete, schwarze Frau für Trump und seine Republikaner de facto den leibhaftigen Gottseibeiuns darstellt.
Donald J. Trump (@realDonaldTrump) August 11, 2020
Auch Trump bald am Rand der Tränen?
Im Rahmen einer noch am Tag der Bekanntgabe ihrer Ernennung einberufenen Pressekonferenz fiel Präsident Donald Trump dementsprechend nur ein, dass ihn ihre Wahl angeblich "überrascht, weil sie in den Primaries so schlecht abgeschnitten hat", und "dass sie sehr böse zu Kavanaugh war". Den erzkonservativen Richter Bret Kavanaugh, von Trump 2018 erfolgreich für den Obersten Gerichtshof vorgeschlagen, hatte Harris im Rahmen seines Nominierungsprozesses buchstäblich an den Rand der Tränen gebracht, indem sie unter anderem seine Alkoholexzesse und sexuellen Ausschweifungen als Student thematisierte. Die Hoffnung, das Kamala Harris die Chancen erhöht, dass es seinem Herrl im Weißen Haus am 3. November ebenso gehen wird, lebt.