Zumindest eines dürfte nach diesem denkwürdigen Abend klar sein: Die Strategie Donald Trumps und seiner Republikaner, seinen Gegner am 3. November als senilen Opa hinzustellen, der seine Sinne nicht mehr beieinander hat, dürfte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht aufgehen.

Am vierten und letzten Tag der Democratic Convention durfte Joe Biden endlich seine große Rede halten, im Rahmen derer er seine Nominierung zum Präsidentschaftskandidaten der Demokraten offiziell annahm. Sie geriet nicht nur zur Abrechnung mit dem Amtsinhaber und seinen Steigbügelhaltern im Kongress, sondern kehrte einmal mehr die drastischen politischen wie menschlichen Unterschiede zwischen ihm, dem lebenslangen Berufspolitiker, und dem Ex-Reality-TV-Star hervor. Was dem Spektakel auch nicht schadete: Am Donnerstagmorgen war die Verhaftung des letzten von Trumps ehemaligen Wahlkampf-Managern bekannt geworden, der sich noch auf freiem Fuß befand. Steve Bannon, von den Medien aus kaum nachvollziehbaren Gruenden bis heute als "Mastermind" hinter der Wahl des 74-Jährigen tituliert, ist wegen Betrugs und Geldwäsche angeklagt.

Er und drei andere bekannte Proponenten der MAGA-Bewegung sollen sich aus einem Fond, der dazu dienen hätte sollen, die Finanzierung einer Mauer an der mexikanischen Grenze aus Privatspenden zu lukrieren, großzügig selber bedient zu haben. Laut Anklageschrift sollen Bannon und Co. unter anderem Millionen für Luxusreisen und die Anschaffung von Yachten abgezweigt haben. Passenderweise erfolgte die Verhaftung des 66-Jährigen durch – Ironie der Geschichte – Polizisten des US Postal Service, als der gerade – Doppelironie – auf dem Boot eines chinesischen Milliardärs ausspannte.

Schluss mit der Polarisierung

Auf der Convention blieben die jüngsten Volten rund um Trumps x-ten Mitarbeiter, der mit Recht und Gesetz in Konflikt gerät, ausgespart. (Der Ordnung halber: Bannon zu begnadigen, damit er wie Ex-Berater Roger Stone den Mund hält, ist Trump erlaubt und wird allgemein erwartet, wenn er die Wahl gewinnt; aber anders als im Fall Stone würde ihm das diesmal wenig nützen, weil in Bannons Fall nicht das Justizministerium, sondern die Staatsanwaltschaft des Bundesstaats New York Vorrang hat.) Der Kandidat fokussierte sich in seiner Rede auf die Themen, die er und seine Berater als erfolgversprechend erachten: Schluss mit der Polarisierung im Land, zurück zu dem, was es ihrer Meinung nach bis zum Amtsantritt Trumps ausmachte.

Laut Biden, der zur Untermauerung seiner Thesen unter anderem den Philosophen Sören Kierkegaard und den Poeten Seamus Heany zitierte, herrsche heute "zuviel Angst, zuviel Zorn, zuviel von dem, was uns trennt, und zu wenig davon, was uns zusammen bringt." Am Wahlzettel würden im November entsprechend nicht nur zwei Kandidaten, sondern die Entscheidung darüber stehen, was "Begriffe wie Anstand, Demokratie und Wissenschaft" künftig in den USA bedeuten.

Das Land befinde sich in einem "perfekten Sturm an Problemen: eine globale Pandemie, eine wirtschaftliche Krise, einem Mangel an sozialer Gerechtigkeit und den Auswirkungen des Klimawandels"; und Trump und seine Administration hätten jedes einzelne davon nur noch schlimmer gemacht. Konkrete Pläne, wie er selbst dem allen Herr werden will, ließ Biden weitgehend vermissen. Mit zwei Ausnahmen: eine "nationale Masken-Pflicht" soll die weitere Ausbreitung des Coronavirus verhindern und das in den USA ohnehin extreme dünne Sozialnetz (Stichworte Medicaid und Medicare) soll unangetastet bleiben.

Bekenntnis zu Bündnistreue

Außenpolitisch gab Biden das erwartete Bekenntnis zur Bündnistreue ab und vermerkte, dass "das Reinschleimen bei Diktatoren", eines der sinnstiftenden Merkmale des real existierenden Trumpismus, mit ihm ein Ende haben werde. Auch einen Verweis auf das politische Klima in Europa in den Dreißigerjahren verkniff sich Biden nicht. Er erinnerte an die Neonazis von Charlottesville 2017, die Trump wörtlich  "very fine people" nannte: "Ich habe es damals gesagt und ich sage es heute: Wir befinden uns in einem Kampf um die Seele der Nation." Dem politischen Teil der Rede folgten warme Worte für seine Stellvertreterin Kamala Harris, deren Biografie als Einwandererkind "den amerikanischen Weg versinnbildliche" und für seine Familie. Den unmittelbaren Reaktionen der Medien und des Publikums nach zu schließen, kam Bidens Botschaft an – auch, weil sie bei Licht besehen de facto nur jenem Teil Amerikas Angriffsflächen bot, der für ihn und seine Partei ohnehin hoffnungslos verloren ist.

Ein ganzer Reigen an Rednern

Vorangegangen waren dem Höhe- und Schlusspunkt der Democratic Convention die üblichen Krönungsmesse-Rituale, im Rahmen derer Parteigrößen wie weniger prominente, aber symbolträchtige Vertreter des linksliberalen Lagers zu Wort kamen. Zur Social-Media-Sensation stieg noch während seines Auftritts ein 13-jähriger aus New Hampshire namens Brayden Harrington auf. Wie Biden als kleiner Junge leidet er daran, dass er stottert. Der schwerst auf die Tränendrüse drückende Auftritt des Burschen, dessen Fortschritt bei der Bekämpfung der Redeflussstörung sich Biden vor ein paar Monaten persönlich angenommen hatte, verfehlte seine Wirkung nicht. Zum Glück, denn begonnen hatte der letzte Tag der Veranstaltung eher holprig.

Den Auftakt markierte eine Botschaft von Andrew Yang, gescheiterter Präsidentschaftskandidat mit Wurzeln in Taiwan. Der 45-Jährige Anwalt und Unternehmer, der bis vor ein paar Tagen eigentlich nicht als Redner vorgesehen war, hatte sich quasi in letzter Minute selbst hineinreklamiert, indem er sich via Twitter über seine Auslassung mokierte. Seinem Aufruf, Biden zu wählen, folgte ein eher unglückliches verbales Pingpong mit der das Event moderierenden Schauspielerin Julia Louis-Dreyfus ("Veep", "Seinfeld"), die sich billigst über den Namen des aktuellen Vizepräsidenten Mike Pence lustig machte.

Den Reigen der Sprecher eröffnete Senator Chris Coons aus Delaware, der seit 2010 jenen Sitz im Oberhaus inne hat, den zuvor jahrzehntelang Biden besetzte. Seiner Wahlempfehlung folgte jene von Keisha Lance-Bottoms, der afroamerikanischen Bürgermeisterin von Atlanta – jene Stadt im Bundesstaat Georgia, aus der die Bürgerrechtsbewegung der Fünfziger- und Sechzigerjahre hervorging und die in Folge des in Minneapolis von der Polizei ermordeten George Floyd heftige Proteste erlebte. Anders als Coons konzentrierte sich Lance-Bottoms ganz auf das Problem des in den USA des 21. Jahrhunderts nach wie vor grassierenden Problems des strukturellen Rassismus und seiner Konsequenzen. Entsprechend eingerahmt wurde ihr Beitrag von einem Video-Tribut an den aus Georgia stammenden und im Juli verstorbenen Kongressabgeordneten John Lewis. Lewis war der letzte Mann, der 1963 mit Martin Luther King jr. in Washington D.C. bei dessen legendärer "I have a dream"- Rede mit am Podium gestanden war.

Hip-Hop-Star und Historiker

Einer musikalischen Einlage von HipHop-Star Common folgte eine Kurz-Vorlesung des Historikers und Bestsellerautors Jon Meacham (in den USA als so etwas wie ein moderner Hugo Portisch bekannt), der die Notwendigkeit der Wahl Bidens in einen größeren geschichtlichen Zusammenhang stellte indem er, quasi anschließend an die Rede Barack Obamas vom Vorabend, seine Landsleute an den Wert des amerikanischen Demokratiemodells erinnerte, das angesichts der autoritären Methoden Trumps und seiner Partei ernsthaft gefährdet sei. Meachams Appell folgte eine kurze Rede von Debra Haaland, als Abgeordnete des ersten Wahlbezirks von New Mexico die erste Nachfahrin von Ureinwohnern überhaupt, die in den Kongress gewählt wurde. Haalands Biden-Eloge folgte ein Aufruf des bis zu Brad Harringtons Auftritt letzten Social-Media-Stars made in America, unbedingt wählen zu gehen: Jener der Komödiantin Sarah Cooper, deren Videos im Maschek-Style weltweit von hunderten Millionen Usern angeklickt werden: "Trump will nicht, dass auch nur irgendjemand wählen geht. Ich habe ihn im Laufe der Zeit viele verrückte Dinge sagen hören. Aber was jetzt mit der Post geschieht, ist das gefährlichste, was passieren kann." Coopers Aufruf, der vom Weißen Haus verordneten und trotz gegenteiliger Versicherungen fortschreitenden Sabotage des öffentlichen Postsystems Einhalt zu gebieten, griffen im Anschlusss Alex Padilla (Secretary of State, Texas) und Jennifer Benson (gleiche Funktion, Michigan) auf, die den Prozess des sogenannten "Mail-in-" beziehungsweise "Absentee Voting" noch einmal ganz genau erklärten.

Weiter ging es mit Huldigungen Bidens durch bekannte Vertreter des Parteiestablishments. Den Anfang machte Cory Booker (Senator von New Jersey und in den Vorwahlen gescheiterter Präsidentschaftskandidat), gefolgt von Tammy Baldwin (Senatorin, Wisconsin), die noch einmal den Unterschied zwischen der demokratischen und der republikanischen Vision in punkto öffentlicher Gesundheitsversorgung hervorstrich. Tammy Duckworth, die als Hubschrauber-Pilotin der Army 2004 im Kampfeinsatz im Irak beide Beine verlor und seit drei Jahren den Bundesstaat Illinois im Oberhaus vertritt, wandte sich zuvorderst an Veteranen und aktive Soldaten im Dienst der US-Streitkräfte. In die selbe Kerbe schlug Pete Buttigieg, Ex-Bürgermeister von South Bend, Indiana, gescheiterter Präsidentschaftskandidat und wie Duckworth Militärveteran (Lieutenant der Navy, Kampfeinsatz in Afghanistan).

Bloomberg greift Trumps Geschäftssinn an

Einer Videokonferenz, die alle in den Vorwahlen an Biden gescheiterten Kandidaten einte, folgte der einzige Auftritt des Abends, der im Vorfeld beim linken Parteiflügel für ein leises, aber vernehmbares Knurren gesorgt hatte: Die Hinreklamierung von Mike Bloomberg durch die Organisatoren des Democratic National Comittee (DNC). Der Ex-Bürgermeister von New York und angesichts eines Einsatzes von einer Milliarde in den Vorwahlen legendär gescheiterte Präsidentschaftskandidat (American Samoa!) hält sich seit seinem Rückzug aus dem Rennen – und trotz gegenteiliger Bekundungen – mit Spenden für Bidens Wahlkampf bisher weitgehend zurück. Seine Botschaft ließ indes nichts an Deutlichkeit über: "Als Geschäftsmann ist Trump sechsmal bankrott gegangen (...) Diesmal ist es ganz Amerika, das den Preis für seine Taten zahlt und wir dürfen ihn nicht davon kommen lassen."

Betont leichtere Töne kamen im Anschluss aus dem Haus von Steph Curry, als Point Guard der nordkalifornischen Golden State Warriors einer der besten Basketballspieler der Welt. Der 32-Jährige, aus Akron, Ohio, stammende Superstar unterhielt sich mit seiner Frau und seinen zwei Töchtern über die Eigenschaften, die sie sich von einem Präsidenten wünschen. Obwohl der Name Trump nicht einmal fiel, kam wenig überraschend kein einziger Wesenszug vor, der den derzeitigen Amtsinhaber auszeichnet. Hunter und Ashley Biden, des Kandidaten eigene Kinder – die, die noch am Leben sind, 1973 verlor Joe Biden bei einem Autounfall seine damals einjährige Tochter Naomi, 2015 starb sein Sohn Beau an einem Gehirntumor – durften im Anschluss ihren Vater preisen, dessen Grundkonstitution von Empathie und Einfühlsamkeit geprägt sei.

Tochter und Sohn – letzterer war in diesem Jahr von der rechten und rechtsradikalen Reichshälfte wegen seines Jobs im Vorstands der ukrainischen Energieholding Burisma (2014-2019) so heftig wie ergebnislos der Korruption beschuldigt worden – waren die letzten, die ihre Wortspenden abgeben durften. Ab dann gehörte die Bühne Biden allein. Trump reagierte auf Twitter entsprechend ("In 47 Jahren hat Biden nichts von dem getan, von was er spricht. Alles nur Worte, er wird sich nie ändern!") und beschränkte sich sonst auf seine üblichen Hass-Tweets. Die Convention der Republikaner startet am Montag.