Der Trump Tower in Manhattan an einem schwülen Hochsommertag im August 2017. Der 45. Präsident hält eine Pressekonferenz, um zu den gewalttätigen Ausschreitungen und Demonstrationen in Charlottesville im Bundesstaat North Carolina Stellung zu nehmen. Fünf Tage zuvor wurde eine 32-jährige Frau von einem Rechtsextremen getötet, der mit seinem Auto in eine Menge von linken Demonstranten raste.

Die junge Frau, Heather Heyer, war mit Hunderten Gleichgesinnten nach Charlottesville gereist, um gegen den Auftritt von Neonazis, Anhängern des Ku-Klux-Klans und bewaffneten Milizen zu protestieren. Die Rechtsextremen, allesamt Vertreter der rassistischen Ideologie der "White Supremacy", der Weißen Vorherrschaft, hatten sich mit dem Ziel in der Stadt versammelt, den Abtransport einer Statue des Südstaaten-Generals Robert E. Lee aus einem Park zu verhindern. Zwei Tage lang kam es zu blutigen Zusammenstößen zwischen linken und rechten Gruppierungen. Statt den Auftritt der Rassisten und den Tod von Heather Heyer aufs Schärfste zu verurteilen, meinte ein sichtlich aufgewühlter Trump nur lapidar, dass es sowohl unter linken wie rechten Demonstranten "sehr anständige Leute" und "Verschulden auf beiden Seiten" gegeben habe.

Mit seiner Wortwahl löste der amtierende Präsident nicht nur einen Sturm nationaler Empörung aus, der wochenlang anhalten sollte. Seine Äußerungen sollten für ihn auch besondere politische Konsequenzen nach sich ziehen. Für Barack Obamas früheren Vizepräsidenten Joe Biden war Trumps Verhalten an diesem Augusttag einer der Hauptgründe, warum er sich entschloss, in die politische Arena zu steigen und für das Amt des Präsidenten zu kandidieren.

Trump, so Biden bei der Bekanntgabe seiner Kandidatur im April 2019, schuf an jenem Tag "eine moralische Gleichwertigkeit zwischen jenen, die Hass verbreiten, und denen, die den Mut haben, dagegen anzukämpfen. In diesem Augenblick wusste ich, dass die Gefahr, in der sich diese Nation befindet, größer ist als jemals zuvor in meinem bisherigen Leben."

Trump verteidigt traditionelles Geschichtsbild

Warum aber ließ sich Trump zu dieser desaströsen Aussage verleiten? Ihn als Rassisten und Neonazi-Sympathisanten abzustempeln, wie das so oft in Medien der Fall ist, greift als Erklärung zu kurz. Das Statement des Präsidenten hatte weniger mit der Gegenwart und gewaltbereiten Rechtsextremen zu tun als mit dem umstrittensten Kapital der Geschichte der Vereinigten Staaten: der Sklaverei und dem Amerikanischen Bürgerkrieg in den Jahren 1861 bis 1865. Letztendlich war es die Ankündigung, eine Statue eines Generals der Armee der Konföderierten Staaten von Amerika (den Südstaaten) zu entfernen, die die folgenschweren Zusammenstöße in Charlottesville auslöste.

Trump wollte sich als Verteidiger von Robert E. Lee und damit als Bewahrer eines traditionellen amerikanischen Geschichtsbildes inszenieren. Damit bezog er klare Stellung in einem seit langem anhaltenden, erbittert geführten Kulturkampf um die geschichtliche Deutung des Bürgerkrieges. Dass er sich dafür mit weißen Rassisten solidarisierte, war für ihn zweitrangig und kümmerte ihn wenig.

Der Amerikanische Bürgerkrieg ist die größte politische Katastrophe in der Geschichte der Vereinigten Staaten. Aber wie es so oft der Fall ist, vermitteln Leinwand und Fernsehen als zwei der bedeutsamsten kulturgeschichtlichen Exporte aus dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten auch in Österreich davon nur ein sehr grobes historisches Bewusstsein.

Denkt man an den Bürgerkrieg, formen sich im Kopf Bilder von Scarlett O’Hara und ihren eleganten Ballroben in "Vom Winde verweht" oder von Patrick Swayze in "Fackeln im Sturm", eine verkitschte Fernsehserie aus den 1980er-Jahren, in der er als edler Südstaatengeneral weniger um den Erhalt der Sklaverei als um die Liebe seines Lebens kämpfte.

Das Bild, das gezeichnet wird, ist das einer vornehmen feudalen Gesellschaft, die in Herrenhäusern residierte und sich in Anlehnung an die großen Adelshäuser Europas ehrwürdigen Traditionen verpflichtet fühlte. Im Vorspann von "Vom Winde verweht" wird von einem verwunschenen Land erzählt, in dem sich vor Ausbruch des Krieges der "Edelmut zum letzten Mal verneigte". Der "alte Süden" (auch Ante-Bellum-Süden - Vorkriegssüden genannt) sei demnach bevölkert von "Rittern und ihren edlen Damen, von Herren und Sklaven" gewesen; eine Zivilisation, die im Zeichen eines einträchtigen Miteinanders lebte, ehe sie durch den Krieg vom "Winde verweht" wurde.

Die Realität war freilich eine andere. Von den circa neun Millionen Einwohnern der Südstaaten 1861, dem Jahr des Kriegsausbruchs, gab es über 3,5 Millionen schwarze Sklaven. Mord, Totschlag und Vergewaltigung standen neben harter Fronarbeit auf Baumwollplantagen (Baumwolle war das Hauptexportgut des agrarischen Südens) für die grausam Unterjochten auf der Tagesordnung. Die Gewalt, die dieses System zusammenhielt, verrohte die gesamte Gesellschaft des Südens. So peitschte General Lee Sklaven auf seinem Anwesen in Arlington eigenhändig aus. Während des Krieges konnte er seinen Jähzorn nur schwer bändigen.

Brutale Vergangenheit wurde schnell verklärt

Nach dem Ende des Bürgerkrieges 1865, in dem nach neuester Forschung fast 750.000 Amerikaner inklusive fast 20 Prozent der weißen männlichen Bevölkerung des besiegten Südens das Leben ließen, wurde diese brutale Vergangenheit aber schnell verklärt.

Es entstand der Mythos der "Lost Cause", der "verlorenen Sache". Der Kern dieses Mythos, der von ehemaligen Südstaatenpolitikern und Soldaten propagiert wurde: Die Sklaverei sei nicht die eigentliche Ursache des Konflikts gewesen. Denn die Sklaven seien glücklich in ihrer untergeordneten Rolle gewesen und wollten gar nicht befreit werden, da es ihnen viel besser als dem Lumpenproletariat im stark industrialisierten Norden gegangen sei.

Vielmehr habe es sich beim Krieg um eine zweite amerikanische Revolution gehandelt, in der es um die sogenannten "States‘ Rights", die Rechte der einzelnen Bundesstaaten auf Selbstbestimmung, gegangen sei. Diese Deutung ist auch der Grund dafür, dass für nicht wenige Amerikaner die Kriegsflagge der Konföderation (die "Stars and Bars") bis heute ein Symbol der Freiheit ist.

Am Ende, so der Mythos, habe dann die materielle Übermacht Washingtons zum Zusammenbruch des Südens geführt. Moralisch und militärisch sei Robert E. Lee freilich unbesiegt geblieben. Noch 1993 wurde er im Streifen "Gettysburg" als "der vielleicht beliebteste General in der amerikanischen Geschichte" bezeichnet.

Die Leinwand spielte in der Verbreitung der Legende vom moralisch erhabenen Süden eine wichtige Rolle. Der erste große Kinokassenschlager Hollywoods war der "Lost Cause"-Film "Die Geburt einer Nation" aus dem Jahr 1915. Darin wurde der Ku-Klux-Klan, der nach dem verlorenen Krieg entstanden war, um die eben befreiten Sklaven zu terrorisieren und sie vom Wählen abzuhalten, als Vereinigung edler Ritter porträtiert, die die weißen Frauen des Südens vor mordenden und vergewaltigenden schwarzen Banden beschützte. Der damalige Präsident Woodrow Wilson, ein Südstaatler, ließ den Film sogar im Weißen Haus aufführen.

Warum aber hielt sich dieser Mythos so hartnäckig? Einer der Gründe für die Langlebigkeit dürfte damit zu tun haben, dass die Geschichte des Bürgerkrieges im Gegensatz zu anderen Konflikten hauptsächlich von den Besiegten und nicht von den Siegern geschrieben wurde. Politiker und Historiker des siegreichen Nordens opferten die historische Wahrheit der nationalen Einheit.

Nach dem Abzug der letzten nördlichen Besatzungstruppen in den 1870er-Jahren und einer kurzen kulturellen schwarzen Blüte wurde in den Südstaaten über die sogenannten "Jim Crow"-Gesetze schrittweise wieder die Rassendiskriminierung eingeführt, die sich - verbunden mit einer Form von De-facto-Sklaverei (dem "Sharecropping", der Verpachtung von Boden für einen Anteil der Ernte) - bis in die 1960er-Jahre erhalten sollte. Weil sie keinen neuen Bruch riskieren wollte, ignorierte die Mehrheit der politischen Elite aus dem Norden diesen Rückfall bewusst. Die "verlorene Sache" ermöglichte es den USA auch, geschlossen, aber mit streng nach Rassen getrennten Streitkräften in den Ersten und Zweiten Weltkrieg zu ziehen.

Tatsächlich wurden die circa 700 Statuen von Südstaatengenerälen in den USA wenig überraschend mehrheitlich zwischen 1890 und 1950 errichtet, einer Periode, die den gleichzeitigen Höhepunkt amerikanischer Kriegseinsätze und der Jim-Crow-Rassentrennung markierte. Auch in den 1920er- und 1930er-Jahren wurde um der nationalen Einheit willen eine Reihe von militärischen Einrichtungen nach konföderierten Heerführern benannt, obwohl es sich bei diesen Offizieren um Männer handelt, die für den Tod von mehr amerikanischen Soldaten verantwortlich sind als irgendein anderer militärischer Gegner der USA im 20. Jahrhundert. Trump weigerte sich in den vergangenen Monaten wiederholt, diese Stützpunkte umzubenennen.

Südstaaten halten an Symbolen fest

Erst in den vergangenen Jahren wurde der Mythos der verlorenen Sache immer stärker infrage gestellt. Einer der Gründe dafür ist wohl die rapide ethnografische Veränderung der amerikanischen Gesellschaft, die sich immer weniger dem belastenden Erbe des weißen Südens verbunden fühlt. Eine andere Ursache dürfte darin liegen, dass die USA seit Ende des Kalten Krieges keinen existenziellen externen Bedrohungen mehr ausgesetzt waren, die einen nationalen Schulterschluss erforderten. Langsam verschwinden die Namen von konföderierten Helden von Highschools, öffentlichen Plätzen und Militärbasen. Im Juni beschloss Mississippi die Abschaffung der alten Landesfahne, die auf der Kriegsflagge der Konföderation beruhte. Sechs weitere Südstaaten halten allerdings weiterhin an den Konföderiertensymbolen in ihren Flaggen fest.