Es dauerte nicht lange. Bereits eine gute Stunde nach der Abstimmung im Senat legte Amy Coney Barrett, die Kandidatin von US-Präsident Donald Trump für den Supreme Court, das oberste Gericht der USA, unter den Augen des Präsidenten ihren Eid auf die US-Verfassung ab. Die Bestätigung durch den Senat war zuvor wie erwartet problemlos über die Bühne gegangen. 52 Republikaner stimmten für die konservative Katholikin, 47 Demokraten und eine Republikanerin, Senatorin Susan Collins, gegen sie. Mit der Vereidigung durch den vorsitzenden Richter John Roberts wurde Barrett damit zum vollwertigen Mitglied des Supreme Courts.
US-Präsident Donald Trump ist damit noch kurz vor der Präsidentenwahl in einer Woche ein wichtiger politischer Erfolg gelungen. Denn das Oberste Gericht der USA ist kein unwichtiges Organ und letzter Entscheider in heiklen Fragen. So entschied es im Dezember 2000 in einem umstrittenen Urteil die knappe Präsidentenwahl zugunsten des Republikaners George W. Bush. Gerade in der angespannten momentanen Situation könnte das Gericht erneut eine Rolle spielen, etwa in einem möglichen Verfahren um die Auszählung von Stimmen bei der Wahl am 3. November. Trump selbst hatte im Zuge der Bestellung Barretts auf mögliche Gerichtsverfahren rund um die kommende Wahl verwiesen und so Gerüchte befeuert, er werde ein für ihn ungünstiges Wahlergebnis nicht anerkennen. Durch die Bestellung der 47-jährigen Richterin aus New Orleans bekommen die Republikaner jedenfalls die dominierende Mehrheit von sechs der neun Sitze im Gericht - und das für lange Zeit, denn die Richter werden auf Lebenszeit bestellt.
Für die linksliberalen Demokraten ist das keine gute Nachricht: Durch die rasche Ernennung kann Barrett bereits am 10. November bei einem Entscheid über einen Eckpfeiler der Gesundheitsreform von Ex-US-Präsident Barack Obama mitstimmen. Die umstrittene Gesundheitsreform ist einer jener Fragen, die heute die USA zutiefst spalten. Laut den Demokraten könnten bei einem Entscheid zugunsten der republikanischen Kläger gut 20 Millionen US-Bürger ihren Versicherungsschutz verlieren.
Vor allem aber ist der Supreme Court auch in gesellschaftspolitisch heiklen Streitfragen die letzte Schlichtungsinstanz - also bei Fragen wie Abtreibung oder gleichgeschlechtlichen Ehen. Und hier vertritt Barrett, ebenso wie in den Fragen Waffenrecht oder Einwanderung, dezidiert konservative Positionen.
Gegnerin von Abtreibung
Gemeinsam mit ihrem Ehemann gehört die Katholikin Barrett einer wenig bekannten charismatischen Splittergruppe an, den "People of Praise". Die Gruppe lehnt - im Einklang mit der Lehre der katholischen Kirche - vorehelichen Geschlechtsverkehr, gleichgeschlechtliche Ehe und nichteheliche Lebensgemeinschaften als unbiblisch ab. Linke Kritikerinnen aus der Frauenbewegung laufen deshalb Sturm gegen Barretts Berufung. Sie warnen vor deren "gefährlich antiquierten Ansichten in reproduktiven Fragen" und fürchten, dass Barrett einer höchstrichterlichen Revision des amerikanischen Abtreibungsrechts, das in den 1970er Jahren liberalisiert wurde, zustimmen könnte. Tatsächlich gilt die fünffache Mutter, die außerdem noch zwei Kinder aus Haiti adoptiert hat, als konsequente Lebensschützerin - auch im persönlichen Bereich: Eines ihrer leiblichen Kinder hat das Down-Syndrom.
Abtreibung bezeichnete Barrett stets als "unmoralisch" - mit ein Grund, warum sie in Kreisen der religiösen Rechten der USA Heldenstatus genießt. In manchen Fragen weicht sie allerdings auch von der Linie Trumps ab, etwa beim Thema Todesstrafe, die sie ablehnt. Der Präsident hat die Absicht geäußert, auf Bundesebene nach einem 20-jährigen Moratorium wieder Hinrichtungen vornehmen zu lassen. Obwohl Barretts Ansichten für Linke und Liberale in den USA schwer zu akzeptieren sind, bescheinigen ihr aber auch Gegner, dass sie fachlich für den Posten am Höchstgericht hervorragend qualifiziert ist.
Auch Roosevelt scheiterte
Für die Demokraten ist die Bestellung der konservativen Richterin gleichwohl ein großes Problem. Ein Machtwechsel im Weißen Haus würde nichts am - wohl jahrzehntelangen - Übergewicht der Konservativen im Höchstgericht ändern. In der Demokratischen Partei wird deshalb bereits darüber nachgedacht, die Zahl der Richter am Obersten Gericht zu erhöhen und dieses mit Demokraten zu besetzen. Dieser Schritt wäre zwar nicht dezidiert verboten. Die Zahl der Richter ist in der US-Verfassung nicht festgelegt, in den frühen Jahren der USA variierte die Richterzahl zwischen sechs und zehn.
Seit 1869 freilich liegt sie unverändert bei neun - auch Präsident Franklin D. Roosevelt ist mit seinem Plan, zusätzliche Richter zu ernennen, gescheitert. Eine Erhöhung der Richterzahl wäre damit ein Bruch langjähriger Gewohnheit. Und das ausgerechnet innerhalb einer sensiblen Institution: Denn im gegenwärtigen Amerika sind es Einrichtungen wie das Höchstgericht, die das Land zusammenhalten.(leg)