Der gewählte US-Präsident Joe Biden will das gespaltene Land einen und den Respekt für die Vereinigten Staaten in der Welt zurückgewinnen. "Ich verspreche, ein Präsident zu sein, der danach strebt, nicht zu spalten, sondern zu einen", sagte Biden am Samstagabend (Ortszeit) in seiner Siegesrede in seinem Wohnort Wilmington im Bundesstaat Delaware. Amtsinhaber Donald Trump erkannte Bidens Erfolg indes nicht an und sprach weiter von Betrug.
Biden erklärte: "Lasst uns diese düstere Ära der Dämonisierung hier und jetzt zu Ende gehen lassen." Der Demokrat bat die Anhänger des amtierenden republikanischen Präsidenten, ihm eine Chance zu geben, um gemeinsam für ein besseres Amerika zu arbeiten. Biden war am Samstag von US-Medien im Rennen um das Weiße Haus zum Gewinner ausgerufen worden. Der Republikaner Trump wiederum erklärte: "Die einfache Tatsache ist, dass diese Wahl noch lange nicht vorbei ist." Trump stellte sich als Opfer systematischen Wahlbetrugs dar, ohne dafür stichhaltige Beweise vorzulegen. Zuletzt kritisierte er das über 150 Jahre alte System zum Ausrufen von Wahlsieger.
Trump will Niederlage nicht einsehen
Mit Hilfe seiner Anwälte will Trump seine Niederlage noch abwenden. Die Erfolgsaussichten gelten aber als extrem gering. Anders als üblich verzichtete Trump auch darauf, den Gewinner anzurufen und seine Niederlage einzugestehen.
"We believe these people are thieves. The big city machines are corrupt. This was a stolen election. Best pollster in Britain wrote this morning that this clearly was a stolen election, that its impossible to imagine that Biden outran Obama in some of these states.
Donald J. Trump (@realDonaldTrump) November 8, 2020
Dennoch gratulierten bereits viele Staats- und Regierungschefs. Zahlreiche internationale Gratulanten richteten ihre Glückwünsche dabei ausdrücklich sowohl an Biden als auch an die mit ihm gewählte Vizepräsidentin Kamala Harris als Team. Darunter waren Bundespräsident Alexander Van der Bellen, Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) und Oppositionschefin Pamela Rendi-Wagner (SPÖ) in Österreich. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) wandte sich hingegen im ersten Tweet am Samstagabend lediglich an Biden.
Selbst engste Verbündete Trumps wie Israels Regierungschef Benjamin Netanyahu reagierten. "Joe, wir haben seit fast 40 Jahren eine lange und herzliche persönliche Beziehung", twitterte Netanyahu am Sonntag. Er kenne Biden auch als "großen Freund Israels" und freue sich darauf, mit ihm und Harris zusammenzuarbeiten, "um das besondere Bündnis zwischen den USA und Israel zu vertiefen".
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ließ in einem Tweet wissen, dass man eine Menge zu tun habe, um die gegenwärtigen Herausforderungen zu bewältigen. Der britische Premierminister Boris Johnson, der ein enges Verhältnis zu Trump gesucht hatte, nannte die USA den wichtigsten Verbündeten seines Landes. Auch Spaniens Regierungschef Pedro Sanchez schickte Glückwünsche. Kanadas Ministerpräsident Justin Trudeau sowie sein japanischer Kollege Yoshide Suga äußerten die Erwartung, mit Biden zusammen internationale Probleme angehen zu können.
Duda, Orban und Bush gratulierten
Die schnellen Reaktionen wurden von Diplomaten auch als Signal an Trump gewertet, der seine Wahlniederlage nicht eingestehen will. Unter den EU-Gratulanten fehlte freilich der rechtsgerichtete slowenische Ministerpräsident Janez Jansa, der zuvor als einziger EU-Vertreter fälschlicherweise bereits Trump zu einem Wahlsieg beglückwünscht hatte. Polens Präsident Andrzej Duda und Ungarns Premier Viktor Orban gratulierten Biden zu einer "erfolgreichen Präsidentschaftskampagne". Man werde nun Bidens Nominierung durch das Wahlleutekolleg abwarten, hieß es in Warschau. Biden hatte vor wenigen Wochen mit Blick auf Polen betont, dass es in Europa nirgends Diskriminierung von Homosexuellen geben dürfe.
In Orbans Schreiben an Biden hieß es laut seinem Pressesprecher zudem: "Ich wünsche gute Gesundheit und kontinuierliche Erfolge bei der Erfüllung Ihrer außerordentlich verantwortungsvollen Aufgaben." Der ungarische Regierungschef, dem Kritiker einen autoritären Regierungsstil vorwerfen, hatte sich in der Vergangenheit mehrfach zur Unterstützung Trumps bekannt. In einem Rundfunk-Interview am vergangenen Freitag hatte er die - bisher durch nichts bewiesenen - Anschuldigungen Trumps wiederholt, wonach das Ergebnis der US-Wahl auf massivem Wahlbetrug beruhen würde. "Würde so etwas bei uns passieren, würden Himmel und Erde einstürzen", hatte Orban gesagt.
Auch Ex-Präsident George W. Bush gratulierte Biden. Er habe mit dem "gewählten Präsidenten" Biden und mit der gewählten Vizepräsidentin Kamala Harris gesprochen, teilte er am Sonntag mit. "Obwohl wir politische Differenzen haben, weiß ich, dass Joe Biden ein guter Mann ist."
Der indische Regierungschef Narendra Modi betonte, dass Biden als früherer Vizepräsident sehr für engere amerikanisch-indische Beziehungen gearbeitet habe. Zudem begrüßte er, dass mit Harris nun eine Frau auch mit indischen Wurzeln Vizepräsidentin werde. Irans Präsident Hassan Rouhani forderte, dass Biden nun "frühere Fehler" Trumps korrigieren müsse. Hintergrund ist der Ausstieg der USA unter Trump aus dem internationalen Atomabkommen mit Teheran. Deutschland Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier schrieb in einem Gastbeitrag für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung": "Nutzen wir die Chance, gemeinsam mit einem von Joe Biden regierten Amerika die Demokratie und die Kraft der Vernunft in unseren Gesellschaften zu erneuern."
Kamala Harris erste Vize-Präsidentin
Nach der geplanten Amtseinführung voraussichtlich am 20. Jänner 2021 wäre die 56 Jahre alte Kamala Harris nicht nur die erste Vizepräsidentin, sondern auch die erste Farbige in dem Amt. In ihrer Siegesrede sprach sie von einer Zeitenwende. "Als unsere Demokratie selbst auf dem Wahlzettel stand, die Seele Amerikas auf dem Spiel stand und die Welt zuschaute, habt Ihr einen neuen Tag für Amerika eingeläutet", sagte Harris. Die Amerikaner hätten sich mit der Wahl Bidens für Hoffnung, Einheit, Wissenschaft und Wahrheit entschieden, sagte sie. "Auch wenn ich die erste Frau in diesem Amt sein mag, werde ich nicht die letzte sein. Denn jedes kleine Mädchen, das heute Nacht zuschaut, sieht, dass dies ein Land der Möglichkeiten ist."
Bidens Erfolg im Schlüsselstaat Pennsylvania hatte am Samstag Trumps Abwahl besiegelt. Eine Abwahl nach nur einer Amtszeit war zuletzt bei George Bush Senior 1992 der Fall. Biden kam am Ende einer tagelangen Zitterpartie über die Marke von 270 Wahlleuten, die für einen Erfolg erforderlich waren.
In den USA wurden nicht nur ein Präsident, sondern auch die 435 Abgeordneten im Repräsentantenhaus und rund ein Drittel der 100 Senatoren gewählt. Biden wird mit großer Wahrscheinlichkeit auf eine Mehrheit der Demokraten im Repräsentantenhaus setzen können. Bis Sonntagmittag hatten sie 214 der mindestens 217 Mandate sicher. Bei den Wahlen zum US-Senat geht das Hoffen und Bangen für das Team Biden & Harris weiter. Zwei Senatssitze im Bundesstaat Georgia werden erst am 5. Jänner in einer Stichwahl entschieden, und die Demokraten müssen beide nach bisherigem Stand für sich entscheiden.
Der Senat hat entscheidenden Einfluss, wie ein Präsident seine Agenda umsetzen kann. Er bestätigt auch hochrangige Regierungsmitarbeiter wie Minister sowie Richter am Obersten Gericht. Bei einem Amtsenthebungsverfahren spielt der Senat die Rolle eines Gerichts.
Biden kündigt Kampf gegen Coronavirus an
Biden kündigte außerdem an, sich entschlossen für die Eindämmung der Coronavirus-Pandemie einzusetzen. Schon am Montag wird er einen Expertenrat zur Eindämmung der Pandemie vorstellen. Er werde im Kampf gegen das Virus keine Mühe scheuen. Die "führenden Wissenschafter und Experten" würden ihm helfen, einen "Aktionsplan" zu entwickeln, sagte Biden. In den USA haben sich nach Angaben der Johns Hopkins Universität rund 9,8 Millionen Menschen mit Covid-19 infiziert - so viele wie in keinem anderen Land der Welt. Auch mit mehr als 237.000 Menschen, die in Verbindung mit Corona gestorben sind, liegt das Land weltweit an der Spitze.
Einfach dürfte es für Biden als Präsident nicht werden. "Die Wahlergebnisse zeigen auf jeder Ebene, dass das Land nach wie vor tief und bitter gespalten ist", erklärte Ex-Präsident Barack Obama, der bei allen Amerikanern für die Unterstützung Bidens warb. Mehr als 70 Millionen Wähler hatten Trump ihre Stimme gegeben.
Biden will nicht nur das Land heilen, sondern auch die Beziehungen zu Verbündeten in aller Welt kitten und die USA in internationale Abkommen zurückführen. Zum Beispiel hat er eine Rückkehr der USA ins Pariser Klimaschutzabkommen angekündigt. Auch mit der Weltgesundheitsorganisation (WHO) will er - anders als Trump - weiter zusammenarbeiten.
Die Nachricht von Bidens und Harris' Wahlsieg löste auf den Straßen New Yorks, Washingtons, Philadelphias und anderer Großstädte des Landes Jubel und Hupkonzerte aus. An der Nordseite des Weißen Hauses feierten im Laufe des Tages Tausende ausgelassen Bidens Wahlsieg.
In den USA ist es üblich, dass die Präsidentenwahl auf der Basis von Prognosen großer Medienhäuser entschieden wird - normalerweise noch in der Wahlnacht. Die amtlichen Ergebnisse kommen teils erst viel später. Wegen der Corona-Pandemie hatten Millionen Amerikaner dieses Jahr aber per Brief abgestimmt, weshalb sich die Auszählung der Stimmen hinzog. Der US-Präsident wird nur indirekt vom Volk gewählt. Die Stimmen der Wähler entscheiden über die Zusammensetzung des Wahlkollegiums, das den Präsidenten dann im Dezember wählt. Für einen Sieg braucht ein Kandidat die Mehrheit der 538 Wahlleute.
Die Auszählung der Stimmen dauerte unterdessen in mehreren Bundesstaaten noch an. In Georgia, Nevada, Arizona, North Carolina und Alaska gab es noch keinen Gewinner. Die ersten drei Staaten dürften relativ sicher an Biden gehen, die letzteren an Trump. (apa)