Thomas Vinterberg sieht seinen neuen Film "Another Round" als Ode an den Alkohol: Martin (Mads Mikkelsen) ist Lehrer an der High School. Er fühlt sich alt und müde. Seine Schüler und ihre Eltern wollen, dass er gekündigt wird, um ihren Notendurchschnitt zu erhöhen. Ermutigt durch eine Promille-Theorie, wonach permanentes Halten der 0,5-Promille im Blut die Stimmung und Leistung heben soll, stürzen sich Martin und drei seiner Kollegen in ein Experiment, um den Alkoholkonsum im Alltag konstant zu halten. Das Ergebnis ist am Anfang durchwegs positiv. Doch die fatalen Auswirkungen lassen nicht lange auf sich warten. Die "Wiener Zeitung" sprach mit Mads Mikkelsen via Zoom über den Film und seine Trinkerfahrungen.

"Wiener Zeitung": Mr. Mikkelsen, muss man viel trinken, um eine Rolle wie diese zu spielen?

Mads Mikkelsen: Nein, absolut nicht! Denn es mangelt uns allen ja nicht an Erfahrungswerten, was den Alkohol angeht. Immerhin hatte jeder von uns 30 oder 40 Jahre Erfahrung (lacht). Wir kennen den Alkohol und seine Auswirkungen. Aber für einen Schauspieler ist es dennoch schwierig, einen Rauschzustand zu spielen, weil man dabei sehr leicht übertreiben kann und die Performance dann unglaubwürdig sein würde. Der Schlüssel zu einer akkuraten Darstellung ist das Verhalten, das wir alle an den Tag legen, wenn wir ein Glas zuviel erwischt haben. Wir tun dann so, als wären wir gar nicht betrunken. Und so muss man das dann im Film spielen: Man wird etwas langsamer in seiner Reaktion und auch in der Sprache. Für "Druk" mussten wir allerdings auch fallweise ins Charlie-Chaplin-Level kippen, es durfte dann auch schon mal ein bisschen Slapstick dabei sein. Um das umzusetzen, haben wir sehr viele russische Youtube-Videos geschaut. Manche Russen sind genial darin, sich komplett wegzusaufen.

Hat sich ihr Trinkverhalten verändert nach diesem Film?

Nein, gar nicht. Ich hatte immer ein gutes Verhältnis mit dem Alkohol, habe es nie übertrieben. Der Film erzählt ja auch nicht davon, dass man mehr trinken sollte im Leben, sondern er behandelt den Alkohol hier als das Experiment, das es im Film eben ist. Wir alle wissen, wie wunderbar ein, zwei Gläser Wein sein können und wir wissen auch, dass wir vielleicht niemals unsere Ehefrau oder unseren Ehemann gefunden hätten, wäre dabei kein Alkohol im Spiel gewesen (lacht). Das trifft wohl auf die meisten von uns zu. Eine gewisse Menge an Alkohol lässt sich also mit sehr guten Gefühlen in Verbindung bringen. Wir wissen allerdings auch, was es bedeutet, wenn man zuviel erwischt. Darüber sind tausende Filme oder Bücher gemacht worden.

Wie bewusst machen Sie sich - gerade in Hinblick auf die Darstellung eines Trinkers - die Körperlichkeit Ihrer Figuren?

Ich denke darüber eigentlich kaum nach, denn ich versuche, die Bewegungen und den Habitus meiner Figuren ganz natürlich zu gestalten und aus mir herauszulassen. Ich drehe nicht bewusst Szenen, in denen ich mich so oder so verhalte, sondern das kommt dann aus mir. Ich habe schon Filme gedreht, da gab es zehnminütige Schwertkämpfe, und selbst hier, wo alles eine sehr genaue körperliche Choreografie erfordert hatte, machte ich mir über das Erscheinungsbild meiner Figur keine Gedanken. Ich glaube, das ist wichtig, um authentisch zu sein.

Der Film handelt ganz stark auch von Kontrolle, vom Kontrolliertwerden. Das ist eigentlich auch ein Seitenhieb auf unsere Gegenwart, nicht wahr?

Sicher. Aber ich sehe es ein bisschen anders: Die Menschen in unseren Breiten haben heute so viele Freiheiten wie nie zuvor - sie können sich ausdrücken wie sie wollen, alle Jobs und Chancen stehen ihnen offen, und wenn man etwas nicht will, dann macht man eben etwas anderes. Aber es gibt heute ein Gefühl davon, trotz dieser Freiheit eingeschränkt zu sein. Das hat mit unserem Wahn zur Selbstoptimierung zu tun. Meine Generation hat das noch gut überstanden, denn ich mache einen Film pro Jahr, und dann kommt der Tag der Premiere, an dem wir die Kritiken überstehen müssen. Das ist überschaubar. Wenn ich mir jedoch meine Kinder anschaue, dann stelle ich fest, dass die jeden Tag im Jahr unter diesem Stress stehen, weil sie sich ständig mit anderen messen müssen, stets damit beschäftigt sind, wie sie aussehen, was sie repräsentieren, und da haben die sozialen Medien schon eine ziemlich gefährliche Auswirkung auf ihre User. Die junge Generation fühlt sich eigentlich regelrecht eingesperrt von diesem Druck.

"Another Round" sollte Premiere in Cannes feiern, stattdessen wurde das Festival abgesagt. Wie haben Sie den Lockdown erlebt?

Zunächst einmal hatte ich großes Glück, dass ich meine Dreharbeiten für dieses Jahr genau mit Anfang März abgeschlossen hatte. Für diesen Sommer war ohnehin kein Film geplant. Für die Filmbranche war und ist das Virus aber natürlich verheerend. Ich hatte die meiste Zeit des Lockdown zuhause in Kopenhagen verbracht, immerhin hat mich das meiner Familie wieder entscheidend näher gebracht.