Am Sonntag wird es Eva Sangiorgi geschafft haben - dann endet die heurige Viennale, und mit ihr das große Wagnis, eine Kulturveranstaltung dieser Größenordnung während der Corona-Pandemie durchzuziehen. Für die Italienerin Sangiorgi, die die Viennale seit 2018 leitet und deren Vertrag bereits 2019 bis März 2026 verlängert worden ist, hat die heurige Festivalausgabe jedenfalls viele Unsicherheiten mitgebracht. Zunächst hat die Kulturmanagerin und Festivalkuratorin am Beispiel des Filmfestivals von Venedig Anfang September die Möglichkeiten, Großveranstaltungen mit maximalen Sicherheitsvorkehrungen abzuhalten, studiert, im Anschluss wurden die Pläne an die Wiener Gegebenheiten angepasst: Schachbrettartige Kinosaal-Belegung mit fixen Sitzplätzen, das bedeutete, bloß etwas mehr als die Hälfte der Tickets aufzulegen, die man normalerweise schafft. Dann kam die Unsicherheit der stetig steigenden Corona-Fallzahlen hinzu, die Sangiorgi und ihr Team tagelang zittern ließen, ob die Viennale überhaupt wird stattfinden können.
Sie konnte, und die Eröffnung im Gartenbaukino wurde gar von Politprominenz in Form des Bundespräsidenten geadelt. Seither läuft der Viennale-Zirkus rund wie eh und je, jedoch: Ein ganz anderes Gefühl ist das schon, im Pandemie-Jahr 2020, wie Eva Sangiorgi im Gespräch Bilanz zieht.
"Wiener Zeitung": Frau Sangiorgi, am Tag vor dem Ende dieser Ausnahme-Viennale - welches Resümee können Sie da ziehen?
Eva Sangiorgi: Ich bin sehr dankbar dafür, wie die Viennale verläuft, und glaube auch, dass wir großes Glück gehabt haben, uns in dieser Pandemie behaupten zu können und das Programm wirklich umgesetzt zu haben. Die Kinos sind sehr gut ausgelastet, natürlich in Bezug auf die coronabedingten, ausgedünnten Belegungen. Aber insgesamt waren wir mit der Nachfrage nach den Vorstellungen bisher sehr zufrieden. Es gibt noch keine konkreten Zahlen, aber wir wissen, dass wir - unter den heurigen Vorzeichen - bereits eine größere prozentuelle Auslastung haben als letztes Jahr.
Wie muss man sich diesen Festivalalltag in der Corona-Zeit vorstellen? Was läuft hinter den Kulissen ab?
Das gesamte Viennale-Team wird alle zwei Tage auf Corona getestet, das ist ein enormer Aufwand, wenn man bedenkt, dass wir insgesamt 120 Leute sind. Es gab bisher keinen einzigen positiven Test, und wir achten penibel darauf, dass unsere Mitarbeiter auch nur in sehr kleinen Gruppen zusammenkommen, um im Fall des Falles eine Nachverfolgbarkeit einer Infektion zu ermöglichen. Es funktioniert sehr gut, und ich bemerke auch eine sehr positive Energie beim Team und während der Screenings.
Tatsächlich hatte die Viennale unglaubliches Glück mit ihrem Termin, denn ab kommender Woche würde das Festival vermutlich nicht mehr stattfinden können . . .
Da haben Sie recht, das war Glück. Das Festival geht am Sonntag zu Ende, bevor es einen neuerlichen Lockdown geben könnte. Wir haben den Menschen mit unserem Festival einen Hauch von Normalität geschenkt, ich finde das enorm wichtig. Es war gut, dass wir uns so viel Zeit für die Vorbereitungen genommen haben.
Was waren für Sie die Höhepunkte der Viennale?
Mit Sicherheit gehörte zu einem der Highlights die heurige Carte Blanche für die Diagonale, die ja im März wegen Corona gänzlich abgesagt werden musste und der wir ein Schaufenster für das österreichische Filmschaffen ermöglichen wollten.
Ist das etwas, das Sie sich auch in Hinkunft vorstellen könnten: Mehr österreichische Filme im Programm?
Es hat in diesem Jahr wirklich gut gepasst, es war eine tolle Geste für das heimische Kino, das ja um diesen Festivalplatz in Graz gebracht wurde. Ich glaube aber nicht, dass es das dauerhafte Profil der Viennale ist, das österreichische Kino zu feiern; die Viennale sieht sich als internationales Filmfestival und alle heimischen Filme, die wir hier zeigen, müssen im internationalen Kontext bestehen. Dann finden sie auch Eingang ins Programm.
Trotz der Corona-Maßnahmen ist es Ihnen gelungen, dennoch einige prominente Festivalgäste nach Wien zu locken.
Es war vielen ein Bedürfnis, hierher zu kommen. Abel Ferrara war da, und er war auch sehr besorgt wegen der Situation. Jasmila Zbanic hat uns auch besucht, und ich glaube, die Filmemacher waren besonders emotional, weil sie ihre Filme vor Publikum erleben durften. Das hat gleich einen ganz anderen Wert, wenn man dieses gemeinsame Filmerlebnis hat. Kelly Reichardt, die in den USA geblieben ist, wollte zunächst nicht über die Online-Plattform Zoom an einem Publikumsgespräch zu ihrem Film "First Cow" teilnehmen, hat aber dann doch mitgemacht, weil sie gemerkt hat, wie sehr die Menschen es schätzen, mit den Filmemachern in Kontakt zu treten. Die Viennale hat gezeigt, wie hungrig die Menschen nach diesem gemeinsamen Kinoerlebnis sind.
Die Kinos werden in Österreich aller Voraussicht nach wieder schließen müssen. Was denken Sie darüber?
Ich glaube, dass die Kinos nicht die primären Verbreitungswege für das Virus sind, das zeigte sich auch bei der Viennale. Deshalb bin ich der Meinung, dass wir sie nicht schließen sollten, weil sie auch ein wichtiger Akzent des Kulturlebens sind. Natürlich gibt es ein Risiko, und dafür muss man neue Konzepte entwickeln, was wir für die Viennale auch getan haben. Es wird sehr schwer für die Kinos, wenn sie wieder schließen müssen. Diesen sozialen Austausch wiederzubeleben, wenn er erst einmal tot ist, ist fast nicht möglich. Das Kulturleben ist in einer Demokratie aus meiner Sicht jedenfalls systemrelevant.