Sie leben zwischen den Welten, zwischen Wirklichkeit und Fiktion. Die Rede ist nicht von mystischen Wesen, sondern von den Schatten im Hintergrund des Theaters: den Souffleuren beziehungsweise Souffleusen. Diesen unsichtbaren Helfern hat der portugiesische Regisseur Tiago Rodrigues eine Hommage geschrieben, die am Freitag bei den Wiener Festwochen im Theater an der Wien Premiere feierte. "Sopro", heißt das Stück, das bedeutet Hauch, und es kann sich auf das Rauschen des Windes, das zu Beginn eingespielt wird, beziehen, in dem die Souffleurin Cristina Vidal allein auf der Bühne wartet. Oder es kann sich auf den Hauch des Flüsterns beziehen, der entsteht, wenn Vidal den Schauspielern ihren Text vorsagt.

Denn das wird sie in den nächsten zwei Stunden unentwegt machen. Fünf Schauspieler agieren in "Sopro", ihnen ist Vidal als jeweils persönlicher Textbodyguard beigestellt. Erzählt wird die Geschichte der Entstehung des Stücks, das gerade auf der Bühne zu sehen ist - aus der Perspektive der Souffleuse. Ihr Intendant hat ihr vorgeschlagen, sie vor den Vorhang zu holen, ihre Lebensgeschichte zu präsentieren. Das will sie eigentlich so gar nicht, denn ihr Platz ist nicht im Rampenlicht, ihr "Tag ist ein guter, wenn sie nicht gebraucht wurde".

Immer bewispert

Aber es passiert irgendwie trotzdem. Aus ihrem Anekdotenschatz erzählt sie nämlich schon ganz gern. Tatsächlich erzählen zwei Schauspielerinnen in ihrer Rolle, aber immer bewacht und mit Text bewispert von der "echten" Einflüsterin. Man erfährt von ihrem ersten Besuch im Theater als kleines Mädchen, schon damals im Souffleurkasten, nur die Fingerspitzen durften auf die Bühne. Damals begann ihre Beziehung zur damaligen Intendantin des Hauses, die ihr beibrachte, dass die "Diskretion der Souffleure proportional der Indiskretion der Schauspieler sein müsse". Weil sie sich daran nun nicht hält, erfährt man von der Liebe der Intendantin und von ihrem Tod. Und von ihrer Liebe zum Theater, die den Tod beschleunigte. In einer berührenden Szene bittet die Todkranke ihren Liebhaber, seine Reise nicht anzutreten - nur um gleich die Souffleuse anzuherrschen, dass sie den Text nicht verändern dürfe. Denn natürlich hatte die Intendantin den Mann damals nicht aufgehalten. Natürlich starb sie mit gebrochenem Herzen. Diese Machtlosigkeit, die Erinnerungen manchmal mit sich bringen, ist hier mit einer eindringlichen Kraft eingefangen.

Rodrigues hat in "Sopro" eine raffinierte Erzählklammer gebaut, die dieses Mäandern zwischen Autobiografie, Probenatmosphäre, Fetzen aus Racines "Berenize" und leisem Witz geschickt zusammenhält. Dazwischen entstehen starke Bilder, wie wenn Vidal nach dem Tod der Intendantin allein dem Dolby-Surround-Sturm-Sound trotzt. Drei Schlüsse hat das Stück, und der letzte ist der beste: Denn dann darf die Souffleuse zum ersten und einzigen Mal laut sprechen. Sieben Verse, die sie einmal vor Jahren nicht fertig einsagen konnte, die in ihrem Universum aus Dramentext gefehlt haben. Ein verblüffendes und bewegendes Stück über die Poesie von Pflichtbewusstsein, es flüstert sich ins Herz.