Am 16. Juni enden die Wiener Festwochen. In den vergangenen vier Wochen waren 45 Produktionen mit 430 Künstlern aus 19 Ländern in Wien zu sehen.
Die gute Nachricht: Die Festwochen sind wieder bei sich angekommen. Nachdem die Bestrebungen unter Tomas Zierhofer-Kin, das Programm popkulturell weiterzudenken, gescheitert sind, kehrt der neue Intendant Christophe Slagmuylder wieder zum Ausgangspunkt zurück: Die Festwochen als Schaufenster zum Welttheater, mit bekannten Namen und Neuentdeckungen, mit mehrstündigen Bühnenformaten und Mini-Soloprojekten, von X-Large bis X-Small - die diesjährigen Festwochen hatten so gut wie alles im Repertoire.
Allerdings haftete allem ein gewisser Work-in-Progress-Charakter an. Im Vorjahr sprang Slagmuylder kurzfristig für den überraschend zurückgetretenen Intendant Zierhofer-Kin ein, mittlerweile ist sein Vertrag bis 2024 fixiert. Innerhalb weniger Monate stampfte der 52-jährige Belgier einen üppigen Spielplan aus dem Boden. Bei allem Respekt vor diesem Kraftakt geriet der Spielplan doch etwas zu vorsichtig, zu sehr darauf bedacht, das in den Vorjahren vergraulte Publikum wieder zurückzugewinnen.
Bis auf Sibylle Bergs "Hass-Triptychon" in der Regie von Ersan Mondtag gab es kaum Uraufführungen, was wohl der kurzen Vorbereitungszeit geschuldet ist.
Prestigeträchtige Großprojekte fanden ausschließlich mit in Wien sattsam bekannten Künstlern statt. Zu den Höhepunkten gehörten etwa Anne Teresa De Keersmaekers "Die sechs Brandenburgischen Konzerte". Wie De Keersmaeker und ihre Tänzer sich Bachs berühmte Kompositionen zu eigen machen, war schlicht grandios. Freilich ging der Neo-Intendant mit dieser Einladung auf Nummer sicher. De Keersmaeker ist eine der bekanntesten Choreografinnen und wurde gerade für diese Produktion weltweit bejubelt.
Mehr Courage
Auch mit der hochkarätig besetzten Aufführung "Mary Said What She Said" mit Isabelle Huppert in der Regie von Robert Wilson ging der Intendant kein großes Risiko ein, obwohl die Aufführung doch auf geteilte Meinungen stieß. Auf unbekanntes Terrain wagte sich Slagmuylder vor allem in den kleinen Formaten, etwa mit dem Iran-Schwerpunkt oder mit südostasiatischen Produktionen.
Großes Echo löste erneut Markus Öhrn aus. Der schwedische Künstler setzte sich in der Trilogie "Episode 1 - 3" mit der MeToo-Debatte auseinander. Sein vielstündiges "Silent-Movie-Theatre" war als Blut- und Spermaorgie ein Angriff auf den guten Geschmack, aber auch eine erschreckende Auseinandersetzung mit dem Schadstoffhaltigen einer Künstlerexistenz.
Theater im Ausnahmezustand ist wiederum das Genre von Milo Rau. Der Schweizer Theatermacher begab sich mit seinem Team in die zerbombte nordirakische Stadt Mossul, um die "Orestie", eines der ältesten Dramen der Menschheit, mit den Gräueltaten der Gegenwart zu verschränken.
Dass andere groß gedachte Theaterabende, wie die fünfeinhalbstündige Eröffnungsproduktion "Diamante" über Aufstieg und Fall einer fingierten Industriestadt des Argentiniers Mariano Pensoti, oder die Kafka-Bearbeitung "Proces" des polnischen Altmeisters Krystian Lupa nicht ganz so aufgingen wie erhofft, ist verschmerzbar. Der Kurswechsel stimmt jedenfalls.
Was bleibt, ist der Ruf nach mehr Risikobereitschaft. Die Festwochen 2020 mögen kommen.