Der Tag der großen Öffnungen betrifft auch das Kulturleben der Stadt Wien. Ein Gespräch mit Stadträtin Veronica Kaup-Hasler (SPÖ) über Sicherheitskonzepte der Häuser, Kunst nach Corona und einen Ausblick auf den Herbst.

"Wiener Zeitung": Mit 19. Mai öffnen die Wiener Kulturbetriebe wieder. Kommt das zu früh oder zu spät?

Veronica Kaup-Hasler: Angesichts der Inzidenzen und mit Blick auf die Intensivstationen ist der Zeitpunkt genau richtig. Das Zögern von Bürgermeister Michael Ludwig diesbezüglich konnte ich gut nachvollziehen. Es hat uns gemahnt, nicht einfach der Euphorie zu folgen und alles sofort zu ermöglichen, sondern hier genau abzuwägen. Es ging darum, das Gesundheitssystem nicht zu überlasten.

Viele Kulturtreibende hätten gerne deutlich früher geöffnet und verwiesen auf sichere Konzepte.

Dass die Kultur sich gewehrt hat, im Ranking der Bundesregierung immer an letzter Stelle zu stehen, das habe ich immer verstanden. Das steht in völligem Widerspruch zum Stellenwert der Kultur dieses Landes auch in der internationalen Wahrnehmung. Wir haben daher schon früh große Gipfel mit Kulturschaffenden gemacht - vom Praterbetreiber bis zum Staatsoperndirektor. Da haben wir versucht, den epidemiologischen Planungshorizont von Gesundheitsexperten und den naturgemäß gänzlich anderen von Kulturbetrieben gegenüberzustellen, um gegenseitiges Verständnis zu schaffen. Daraus ist der Covid-19-Präventionsleitfaden entstanden. Dieses Konzept haben auch andere Metropolen aufgegriffen, um einen kulturellen Alltag zu gestalten. Mit der Kombination aus FFP2-Masken, Abstand und intensivem Testen gehört die Kultur zu den sichersten Räumen.

Warum hat man dann nicht früher geöffnet?

Es gab verschiedene Phasen. Als etwa die wesentlich ansteckendere britische Variante kam, mussten wir noch einmal auf die Bremse steigen. Doch auch da ging es nicht unbedingt um die Sicherheit vor Ort, sondern darum, die Mobilität der Bevölkerung insgesamt herunterzufahren. Jetzt sieht es viel besser aus. Mit Impfungen und den intensiven Tests können wir davon ausgehen, dass wir keinen weiteren Lockdown mehr haben werden. Das war auch für die jetzige Entscheidung wichtig: Wir wollen eine definitive Öffnung und keine Überbrückung bis zur nächsten Schließung.

Wenn die Zahlen wieder steigen sollten: Wann sperrt die Kultur wieder zu?

Die rote Linie ist immer die Lage auf den Intensivstationen.

Gibt es ein Konzept, Kulturschaffende prioritär zu impfen?

Wir haben in Wien zum Glück ein exzellentes Angebot an Tests: Gratis jederzeit einen PCR-Test machen zu können ist einmalig und gibt auch für den Probenbetrieb Sicherheit. Beim Impfen werden alle drankommen. Und so sehr mir die Kultur am Herzen liegt, Debatten über die Priorisierung einzelner Branchen hielte ich für problematisch. Es gibt einen klaren Impfplan, den halte ich für sinnvoll.

Die Häuser spielen jetzt nur mit 50 Prozent Auslastung und damit 50 Prozent Einnahmen. Führt das nicht zu neuen finanziellen Problemen?

Das zeigt uns, dass Kultur einen anderen Wert haben muss in dieser Gesellschaft. Ich gehe davon aus, dass die Bundesregierung dafür Sorge trägt, dass Betriebe unbeschadet durchkommen - bis ein normales wirtschaftliches Leben wieder möglich ist.

Wird die Stadt Wien die Kultur-Subventionen in voller Höhe ausbezahlen?

Alle Subventionen werden wie vorgesehen durchbezahlt. Sonst verlagern wir das Problem ja nur. Da geht es auch darum, Menschen in Beschäftigung zu halten. Und wir werden dann natürlich bei der Abrechnung schauen, wofür das Geld verwendet wurde. Manchen bleibt auch etwas übrig, die Wiener Festwochen etwa haben einen Teil der Subventionen zurückbezahlt, andere werden finanziell Nachholbedarf haben. Das wird man sich im Einzelfall anschauen müssen.

Werden Künstler im Herbst wieder vor vollen Häusern spielen?

So schnell glaube ich nicht. Ich schätze, das wird im Laufe des kommenden Jahres passieren. Kinder und Jugendliche können ja noch nicht geimpft werden. Solange diese Lücke besteht, wird man wohl bei verringerten Publikumskapazitäten bleiben.

Droht angesichts der Corona-Schulden der Stadt Wien eine Kürzung des Kulturbudgets?

Nein, da bin ich optimistisch. Die Krise hat uns auch gezeigt, worin wir zu wenig investiert haben während der vorigen Jahrzehnte: in alles, was das Miteinander befördert. Wir müssen also mehr investieren, damit wir gesamtgesellschaftliche Teilhabe ermöglichen. Das tun wir teilweise schon in den Bezirken. Die Stadt wächst ja rasant, wird immer diverser. Darauf müssen wir auch mit unserem Kulturangebot reagieren. Jedes Investment in die Kultur rentiert sich doppelt, nicht nur finanziell, sondern auch, was die Gemeinschaft betrifft und die Stimmung in der Stadt.

Wie wird die Krise das Kulturleben der Stadt verändern?

Durchaus zum Positiven. Es gibt in vielen Bereichen einen regelrechten Digitalisierungsschub. Dort, wo kreativ mit Technik umgegangen wurde, in Sachen Vermittlung etwa. Da gibt es tolle Initiativen. Gleichzeitig merken wir, wie unbefriedigend gestreamtes Theater eigentlich ist. Das ist nur ein mickriger Ersatz für das reale Erleben im Raum. Das hat die Sehnsucht nach dem analogen Zusammenkommen ins Enorme gesteigert. Dieser Entzug hat bewirkt, dass wir mehr denn je schätzen, was wir an kulturellem Angebot haben.

Auf der anderen Seite hat die Corona-Pandemie alle Aufmerksamkeit auf sich gezogen und damit auch Themen wie Fair Pay überlagert, für das Sie sich stark machen.

Sehen Sie das so? Ich glaube vielmehr, dass Fair Pay durch die Krise an Bedeutung gewonnen hat. Die Pandemie hat sichtbar gemacht, wie stark wir zum Beispiel von ausländischen Pflegekräften abhängig sind und dass wir diesen Bereich falsch dotiert haben. Ich hoffe, dies zeitigt Konsequenzen. Im Kulturbereich habe ich das Thema von Anfang an verfolgt. Es nützt nichts, wenn man auf der Bühne linke Inhalte verhandelt, wenn man hinter dem Vorhang zugleich ungerechte Gehaltsstrukturen beibehält.

Die IG freie Musikschaffende wünscht sich, Subventionen an die Einhaltung gewisser Mindestgagen zu knüpfen. Kommt das?

Wir sind diesbezüglich in Gesprächen mit der Branche. Was fair und gerecht ist, kann nicht die Politik definieren, das muss jede Szene für sich bestimmen. In manchen Bereich ist das sogar besonders schwierig. Wie honoriert man einen Lyriker? Ein Zeilenlohn wird ihm wohl nicht gerecht. Um die Existenz freier Künstler zu sichern, bauen wir auch unser Programm der Arbeitsstipendien aus, im nächsten Jahr vergeben wir insgesamt 1,5 Millionen Euro. Im Musikbereich muss man für Fair Pay bei den Institutionen und Veranstaltern ansetzen. Ich habe schon vor der Corona-Krise einige Beihilfen erhöht - unter der Auflage, dass nicht mehr produziert wird, sondern angemessen entlohnt! Aufgrund der Tatsache, dass es sich oft um private Vereine handelt, ist eine direkte Einflussnahme schwierig. Was wir tun, ist Anreize setzen und Bewusstsein schaffen.

Wie läuft die Zusammenarbeit mit dem Bund seit Beginn der Krise?

Der Beginn war holprig, als Ulrike Lunacek Kulturstaatssekretärin war und Kultur von der Bundesregierung monatelang überhaupt nicht thematisiert wurde - wobei man sagen muss, dass sie ohne die Pandemie wohl allmählich in ihr Amt hineingewachsen wäre. Mit ihrer Nachfolgerin Andrea Mayer hat sich dies stark verbessert, sie kommt ja aus der Kulturpolitik und hat rasch auf Kritik an den anfangs schlecht aufgesetzten Corona-Hilfen reagiert. Der Dialog mit der Kulturstaatssekretärin ist auf jeden Fall gut und konstruktiv. Ich finde den Maßnahmen-Mix des Bundes zwar immer noch unübersichtlich, aber er scheint jetzt mehr abzudecken. In Wien, denke ich, sind wir auf einem guten Weg aus der Krise. Wir haben als Stadt wahnsinnig viel beigetragen, ich denke, es sind zusätzlich 23,3 Millionen Euro geflossen, auch für Kabaretts, Clubs und Arthaus-Kinos - das sind die ersten, die eingehen und in einen Supermarkt verwandelt werden. Wir haben an vielen Reglern geschoben und damit die Voraussetzung geschaffen, dass wir gut durchkommen, selbst falls es wider Erwarten irgendwann zu einer Budgetkürzung kommen sollte.

Im Februar beurteilte die Theaterjury Teile der freien Musiktheaterszene als nicht innovativ genug. War der Zeitpunkt für ein solches Verdikt, mitten in einer Jahrhundertkrise, nicht unglücklich?

Diese Begründung habe nicht ich geschrieben, sondern ein Juror. Er hat das Recht, seine Position darzulegen. In die Empfehlungen der Jury greife ich nicht ein. Was ich allerdings getan habe, war, das Gespräch mit dem Leiter der Neuen Oper Wien, Walter Kobéra, zu suchen und Sorge zu tragen, dass die Gruppe - obwohl sie in der kommenden Periode keine Vierjahres-Förderung bekommen wird - ihre langfristigen Planungen einhalten kann. Die Vier-Jahres-Förderung ist ja nur ein Instrument von vielen möglichen Förderung. Die Neue Oper Wien etwa bekommt in der nächsten Periode eine Zwei-Jahres-Förderung.

Also bleibt doch alles beim Alten?

Nein, man muss zwischen den Beihilfen unterscheiden. Die Vier-Jahres-Förderung ist dafür da, über einen langen Zeitraum Entwicklungen und Sicherheit zu ermöglichen. Sie muss unbedingt auch nachrückenden Generationen offenstehen und darf nicht bestehende Strukturen versteinern. Das Problem im Musiktheaterbereich ist: Aufgrund der aufwendigen Ressourcen - Orchester, Sänger und so weiter - gibt es wenig Möglichkeiten, sich zu erproben und innovativ zu arbeiten.

Die Wiener Staatsoper etwa muss enorm hohe Karten-Einnahmen erwirtschaften; das sieht die Finanzplanung der Bundestheater so vor. Gelänge dies nicht, hätte das Haus ein Geldproblem.

Genau hier setzt Kulturpolitik ein. Es gilt, Experimente und ein geöffnetes Repertoire zu fördern. Das hat mit einer Erziehung der Hörgewohnheiten des Publikums zu tun. Die Stuttgarter Oper etwa war immer sehr mutig, was die Programmierung anbelangt. Das dortige Publikum erwartet das inzwischen auch. Es kann also durchaus funktionieren. Hier gilt es alles zu unterstützen, was mehr Offenheit, Innovation und Diversität fördert.