Ein jährliches Familientreffen. Soweit nichts Ungewöhnliches. Es gibt Schweinefüße. Gut, das ist schon ungewöhnlicher. Am Bankett-Tisch (auf das Tischtuch ist "Nao passarao" gestickt) sitzt ein Mann im Anzug, er soll heute noch erschossen werden. Das kommt dann doch selten vor bei Familientreffen. Der Tradition folgend wird jedes Jahr ein Faschist entführt und ermordet. Dieser Usus geht zurück auf die Urgroßmutter. Deren Freundin war Catarina Eufémia, eine Nationalheldin Portugals. Sie wurde bei einem Protest gegen zu niedrige Löhne 1953 - während der Salazar-Diktatur - von einem Soldaten erschossen. Die Ahnfrau der Familie stand daneben, aber auch ihr Mann - seine Tatenlosigkeit war sein Todesurteil. Sie erschoss den Vater ihrer Kinder und begrub ihn unter einer Korkeiche. Das wiederholte sie fortan jedes Jahr - immer mit einem Faschisten, der sich besonders schuldig gemacht hatte an Frauen. Und sie hinterließ ihren Nachfahren den Auftrag, dieses Ritual weiterzuführen. 73 Korkeichen gibt es mittlerweile.

Alle, ob Männer oder Frauen, heißen an diesem Abend Catarina und alle sind sie angezogen wie Frauen im ärmlichen Portugal früherer Zeit. Diesmal ist eine Tochter dran beim Initiationsprozess, gemeinsam grooven sich alle ein mit Musik und einer wogend-atavistischen Sitztanz-Choreografie. Sie ist motiviert, top vorbereitet (mit kleiner Korkeiche) - aber sie schafft es nicht, abzudrücken. Sie hat plötzlich Zweifel, ob Gerechtigkeit durch einen Mord herzustellen ist. Es folgen Debatten mit den anderen Catarinas, die sie überzeugen wollen - mit Gleichnissen, gutem Zureden und Vorwürfen.

"Catarina e a beleza de matar fascistas" auf deutsch "Catarina und die Schönheit des Tötens von Faschisten" heißt die Arbeit des portugiesischen Theatermachers Tiago Rodrigues, mit der sein Teatro Nacional D. Maria II am Mittwoch bei den Wiener Festwochen zu Gast war. Es ist eine Art politischer Konversationskrimi mit wunderbarem Ensemble. Jedes Familienmitglied hat trotz der Catarina-Kollektivanmutung einen herausgearbeiteten Charakter. Es gibt die junge Veganerin, es gibt den aufgeweckten, aber unbekannterweise todkranken Vater, es gibt die kämpferische Mutter und den Onkel mit den smarten Geschäftsideen. Er sorgt für eine überraschende Wendung, als er dem Gefangenen den Namen eines anderen Faschisten entlockt, den man statt ihm töten könnte. Dann zeigt er ihm den Zettel, den das auch auf Rettung hoffende Opfer des Vorjahres geschrieben hat - mit seinem Namen drauf. Der ausgewählte Faschist darf mehr als zwei Stunden nichts sagen. Aber er wird schlussendlich nicht erschossen - und bekommt seine Redezeit. Für eine Brandrede, wie man sie von Populisten und Rechtsnationalen kennt, die so überzeugend vorgetragen wird, dass im Publikum kurz die Theatersituation vergessen wurde und Unmutsäußerungen kundgetan wurden. Die Aussage des an sich mit mancher Länge doch spannenden Abends ist dabei etwas platt: Diese hetzerische Rede wäre der Welt und dem Publikum erspart geblieben, hätte sich Tochter Catarina durchgerungen, und ihn getötet.