Tuts weh?" Diese Frage fällt am Beginn der Aufführung von "Pieces of a Woman". Der Schauspieler Dobromir Dymecki richtet sie an seine hochschwangere Frau Maja, gespielt von Justyna Wasilewska. Herzzerreißendes Stöhnen ist die Antwort. Maja kämpft mit den Wehen, die Geburt steht unmittelbar bevor. Von Beginn an ist das Ereignis überschattet: Die falsche Hebamme steht vor der Tür, sie ist die Vertretung nur, die Wunschhebamme ist verhindert, die letzte Ultraschall-Untersuchung fehlt und die Frage: Lass uns doch ins Spital fahren, verneint die werdende Mutter. Sie wünscht sich eine Hausgeburt.
Die erste halbe Stunde von "Pieces of a Woman" ist ausschließlich der Geburt gewidmet. Das ist spektakulär. So etwas hat man am Theater noch nicht gesehen. "Pieces of a Woman" ist als Gastspiel des TR Warszawa im Rahmen der Wiener Festwochen im Akademietheater zu sehen. Auch der gleichnamige Spielfilm von Kornél Mundruczkó fängt mit dieser an Intensität kaum zu überbietenden Geburt an.
Für die Bühne fand Regisseur Mundruczkó eine überaus überzeugende Umsetzung: Die Entbindung findet gewissermaßen hinter der Bühne statt, das Publikum sieht die überlebensgroße Videoprojektion. Justyna Wasilewska leistet Unglaubliches: Die Kamera ruht meistens auf ihrem vor Schmerz verzerrtem Gesicht. Nach einer atemlosen halben Stunde ist das Baby auf der Welt - aber etwas stimmt nicht, das Unvorstellbare geschieht: Das Neugeborene stirbt.
Wie geht Trauer?
Der zweite Akt setzt ein halbes Jahr später ein. Die Mutter (Magdalena Kuta) lädt zu einem Familienessen. Das Bühnensetting von Monika Pormale ist nun ein realistisches Familienwohnzimmer. Der traditionellen Rollenverteilungen folgend, kocht die Mutter, die beiden Töchter (Justyna Wasilewska und Agnieszka Zulewska) helfen, während die Schwiegersöhne (Sebastian Pawlak und Dobromir Dymecki) am gedeckten Tisch sitzen, große Sprüche klopfen und einen Wodka nach dem anderen kippen. Mit derselben Radikalität, mit der "Pieces of a Woman" zuvor die Geburt verhandelte, geht es nun um die Trauer. Wie geht eine Familie damit um, wenn das jüngste Familienmitglied tot ist? Ein Kind, das vor der Zeit stirbt, ist solch ein Tabu und Schrecken, dass einem die Worte fehlen.
Jedes Familienmitglied versucht, auf seine Weise mit dem Unerträglichen umzugehen: Die Mutter möchte, dass die Tochter die Hebamme verklagt, die Schwester findet wiederum, dass Maja nicht "richtig" trauere, weil sie nicht Schwarz trägt. Für den Schwager ist ein halbes Jahr Trauerzeit genug, jetzt sollte man doch bitte wieder zur Normalität zurückkehren. Auch die jungen Eltern gehen höchst unterschiedlich mit dem traumatischen Ereignis um: Dobromir Dymecki flüchtet in Alkohol und Drogen, während Justyna Wasilewska versucht, mit dem Schmerz weiterzuleben.
Regisseur Mundruczkó und Autorin Kata Wéber entfalten in "Pieces of a Woman" ein feines Gespür für die vielfältigen Facetten der Trauer. Die Handlung changiert zwischen Alltag und Ausbruch - es wird geweint und gelacht. Surreale Momente erlaubt sich die Inszenierung - etwa wenn Maja wie in einer Halluzination ein Baby auf sich zukommen sieht - ebenso wie amüsante Episoden, wenn die beiden Schwestern zum Italo-Schlager "Felicita" mit bunten Gymnastikbändern tanzen.
Vieles liegt im Argen in dieser Familie, das bekommt man im Lauf der Aufführung mit, aber trotz alledem bilden vor allem die Frauen eine eingeschworene Gemeinschaft, die in größter Not zusammenhält. Kann man mehr erwarten?