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Wie lebt es sich als Totengräber einer Institution?

Von Peter Klien

"Die 'Wiener Zeitung' ist unverzichtbar, weil sie erfrischend unaufgeregt und sachlich berichtet. Ziemlich unösterreichisch also. Und gerade darum ist sie für Österreich auch weiter so wichtig", stellte Peter Klien beim Solidaritätsabend fest.
© Lukas Beck

Was ist das schönere Wort für das Vorgehen der Regierung in Bezug auf die "Wiener Zeitung": Mut? Chuzpe? Oder einfach: Frechheit?


Am 5. Oktober 2022 haben die türkise Medienministerin Susanne Raab und die grüne Klubchefin Sigrid Maurer im Pressefoyer nach dem Ministerrat gemeinsam ein neues Gesetz vorgestellt: das Qualitätsjournalismusförderungsgesetz. Jetzt werden Sie vielleicht sagen: Wie will man Qualitätsjournalismus in Österreich fördern, wenn es gar keinen gibt? Aber das wäre dann doch ein bisschen übertrieben. Weniger übertrieben ist es da schon, sich über die Pressekonferenz vom 5. Oktober in anderer Weise zu wundern: Eine zentrale Folge des Qualitätsjournalismusförderungsgesetzes war es nämlich, dass die "Wiener Zeitung" in ihrer bisherigen Form eingestellt werden soll. Was ist hier das schönere Wort für das Vorgehen der Regierung: Mut? Chuzpe? Oder einfach: Frechheit?

In der Pressekonferenz haben die Regierungspartner einander trotzdem in den Himmel gelobt: Endlich wurde das Medienpaket auf den Boden gebracht! Genauso gut hätte man sagen können: Endlich wurde die "Wiener Zeitung" zu Boden gestreckt. Denn eines merkt man sehr genau: Die Regierung hat niemals wirklich gewusst, was sie mit dieser Zeitung machen soll. Dabei ist es so schwer auch wieder nicht zu begreifen. Ich kann der Regierung sagen, was sie mit dieser Zeitung machen soll: sie lesen! Denn die "Wiener Zeitung" ist eine ganz hervorragende Zeitung. Nicht umsonst ist sie die älteste noch erscheinende Tageszeitung der Welt. Seit 1703. Ja: Heuer wird sie 320 Jahre alt!

Können Sie sich noch ans Jahr 1703 erinnern? Damals hat Johann Sebastian Bach gerade nach dem Schulabschluss seine erste Anstellung als Organist in Arnstadt bei Jena angenommen. Bach, Sie wissen schon - der erfolglose Zeitgenosse von Georg Friedrich Händel. Und zwei Jahre davor ist der spanische Erbfolgekrieg ausgebrochen. Die spanische Linie der Habsburger ist im Jahr 1700 ausgestorben, was natürlich ein bisschen peinlich war. Als Herrscher besteht deine Arbeitsleistung ja primär darin, einen Nachkommen zu zeugen. Und wenn du nicht einmal das zusammenbringst, fragen beim Hofbankett natürlich alle: Will er nicht arbeiten - oder kann er nicht? Die In-vitro-Fertilisation war da ja noch 260 Jahre lang nicht erfunden!

Trotzdem war der spanische König offenbar mit 40 Jahren genetisch schon zu geschwächt, als dass er zu einem weiteren Inzest imstande gewesen wäre. Um die spanischen Länder stritt sich daher im Anschluss die österreichische Linie der Habsburger - und zwar mit den Franzosen. Immerhin ist es um viel gegangen: Neben halb Amerika hat zu Spanien ja noch halb Italien gehört; dazu die Niederlande. Schon traurig, oder? Wenn das alles heute noch Österreich wäre, würden wir ganz fix alle vier Jahre Fußball-Weltmeister werden! Aber egal.

Nüchtern und sachlich

Seit 1703 also erscheint die "Wiener Zeitung". Und war 150 Jahre lang führend auf dem österreichischen Zeitungsmarkt. Diese Tage sind lang vorbei. Mittlerweile wird die "Wiener Zeitung" in Österreich leider nur wenig gelesen. Weil sie so nüchtern ist. Die Leute bei uns mögen das Nüchterne nicht so gern. Und das betrifft nicht nur die Leute im Weinviertel. Dazu kommt: Die "Wiener Zeitung" ist sachlich. Aber wenn jemand in Österreich den Mund aufmacht, dann wird nicht zuerst gefragt: Was denkst du? Sondern: Zu wem gehörst du? Bist du einer von uns? Oder bist du einer von den andern? Wenn einer am Beginn eines Gesprächs "Guten Tag" sagt, dann weißt du als trainierter ÖVPler schon, dass du ihn bekämpfen musst. Und umgekehrt.

Keine Ahnung, für wen die griechischen Philosophen damals diese Argumente erfunden haben. Für unser Land war’s auf jeden Fall nicht. Denn einen Streit um Argumente, eine inhaltliche Diskussion findet hierzulande eigentlich nicht statt. Wofür auch? Wenn ich in Österreich Chef eines Finanzamts werden will, muss ich nicht die richtigen Worte finden können, sondern das richtige Parteibuch. Oder wenn ich Chef eines Energieversorgers werden will. Oder Chef eines Spitals.

Und dann auch noch das Problem mit dem Namen: "Wiener Zeitung" - du kannst in Kärnten leichter eine Riesenschlange mit ADHS verkaufen als eine "Wiener Zeitung". Wenn du in Hermagor jemandem eine "Wiener Zeitung" anbietest, fallen dem sicher die Ski vom Autodach. Der sagt: Bitte behalt dir das. Es sind doch eh schon genug Wiener Gäste da, da brauch ich ned a no a "Wiener Zeitung"!

Daher ist klar: Die "Wiener Zeitung" tut sich am freien Markt schwerer als andere. Also braucht sie den Rückhalt durch den Eigentümer - die Republik. Der aber will jetzt der Zeitung das Geld wegnehmen und es in ein völlig überdimensioniertes journalistisches Ausbildungsinstitut pumpen, das laut Gesetzesvorlage im Auftrag des Staates regierungstreue Schreiberlinge züchten soll. Hat eigentlich nach Sebastian Kurz noch jemand über den Entwurf drübergeschaut?

Als echte Zeitung erhalten

Bei der Pressekonferenz am 5. Oktober zum Qualitätsjournalismusförderungsgesetz wurden außerdem Gesetzesänderungen für eine zu 100 Prozent transparente und nachvollziehbare Inseratenvergabe durch öffentliche Stellen präsentiert. Das ist - ganz ohne Ironie - sicher eine gute Sache. Aber es wird sich durch dieses Gesetz an der Vergabepraxis nicht viel ändern. Die Bundesregierung wird auch heuer wieder viele Millionen Euro Steuergeld mit viel zu vielen Inseraten dem Boulevard in den Rachen werfen - nur weil sie sich bessere Berichterstattung erhofft. Und natürlich, weil sie der Bevölkerung ganz genau erklären muss, wieso man heuer in der Küche einen Deckel auf den Kochtopf geben soll. Wem schreib ich, wenn ich sagen will, dass ich mein Steuergeld lieber in guten Journalismus investiert sehen will? Aber bevor ich mich aufreg, hör ich lieber die Musik, die mir die Kraft gibt, weiterzumachen: den "Burger Dance" von DJ Ötzi!

Freilich: Der Umstieg ins digitale Zeitalter ist auch für die "Wiener Zeitung" unbedingt nötig. Aber die Regierung als ihr Eigentümer soll sie klug auf ihrem Weg begleiten, sie als echte Zeitung erhalten und nicht den Qualitätsjournalismus beenden - zeitgleich mit einem Qualitätsjournalismusförderungsgesetz. Wovor hat die Regierung Angst? Dass die Bevölkerung schlauer werden könnte? Sonst bliebe nur die Frage: Wie lebt es sich als Totengräber einer Institution? Ich finde: Die "Wiener Zeitung" ist unverzichtbar, weil sie erfrischend unaufgeregt und sachlich berichtet. Ziemlich unösterreichisch also. Und gerade darum ist sie für Österreich auch weiter so wichtig.

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