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Ein letzter Akt in Grau und Rosa

Von Vilja Schiretz

Politik

Der Nationalrat stimmte am Donnerstag für die Einstellung der "Wiener Zeitung" in ihrer heutigen Form.


Es waren 88 hellgraue Zettel, die eine 320-jährige Geschichte beendeten. Eine "medien- und kulturpolitische Schande" nannte es der SPÖ-Mediensprecher Jörg Leichtfried. Ein "Zukunftsprojekt" sah hingegen Grünen-Mediensprecherin Eva Blimlinger. Fest steht, dass am Donnerstag der Nationalrat mit den Stimmen der Regierungsparteien das "WZEVI"-Gesetz und damit das Ende der "Wiener Zeitung" in ihrer heutigen Form besiegelt hat.

Überlegungen, die "Wiener Zeitung" einzustellen, haben eine lange Geschichte. Schon Fürst Metternich wollte das Blatt eliminieren, schikanierte die "Wiener Zeitung" wo immer möglich. Unter den Nationalsozialisten musste die republikseigene Zeitung tatsächlich für einige Jahre ihr Erscheinen einstellen. Der Anfang des nun beschlossenen Endes der Zeitung ist aber irgendwo zwischen dem Erstellen des türkis-blauen Regierungsprogramms Ende 2017 und dem Februar 2021 zu verorten. Bereits das Koalitionsabkommen zwischen ÖVP und FPÖ hatte nichts Gutes für die älteste noch erscheinende Tageszeitung der Welt verheißen. Im Kapitel mit dem Titel "Schlanker Staat" wurde die Abschaffung der Veröffentlichungspflichten in der "Wiener Zeitung" festgeschrieben, was den Wegfall eines Großteils ihrer Einnahmen bedeutet hätte.

Erhalt der Marke steht im türkis-grünen Programm

Die Zeitung überdauerte Türkis-Blau, doch auch im Programm von ÖVP und Grünen war die Abschaffung der Pflichtveröffentlichungen vorgesehen. Immerhin die Marke "Wiener Zeitung" sollte bestehen bleiben.

Ende Februar 2021 sollte es dann plötzlich schnell gehen. Mit Verweis auf eine EU-Richtlinie, die bis Sommer umzusetzen gewesen wäre, hätte ein Großteil der Pflichtveröffentlichungen wegfallen sollen. Unter diesen Bedingungen die Zeitung zu erhalten, dürfte "äußerst schwierig" sein, konstatierte Blimlinger. Doch es regte sich Widerstand. Schon damals appellierten Größen aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Wissenschaft für den Erhalt der Zeitung.

Vorerst mit Erfolg, schien es. Das Justizministerium arbeitete einen neuen Entwurf zur Umsetzung der EU-Richtlinie aus, damit sollte die Haupteinnahmequelle der "Wiener Zeitung" zumindest nicht unmittelbar wegfallen. Am grundsätzlichen Regierungsvorhaben, die Pflichtveröffentlichungen abzuschaffen, änderte sich allerdings nichts. Die Zukunft der "Wiener Zeitung" blieb in der Schwebe.

Media Hub und Content-Agentur unter "Wiener Zeitung"-Dach

Zumindest bis Oktober 2022. Medienministerin Susanne Raab trat damals vor die Medien, um die türkis-grünen Zukunftspläne für das geschichtsträchtige Blatt zu präsentieren. Ein entsprechender Gesetzesentwurf wurde kurz darauf in die Begutachtung geschickt.

Dieser sah die "Wiener Zeitung" künftig vorwiegend als Online-Medium, nur "nach Maßgabe der finanziellen Mitteln" sollte diese noch gedruckt erscheinen. Abgesehen davon sollten andere, teilweise bereits in den vergangenen Jahren von der Geschäftsführung gestartete Unternehmungen unter dem Dach der Mediengruppe Wiener Zeitung im Gesetz festgeschrieben werden, etwa ein sogenannter Media Hub, der Praktika für Jungjournalisten anbietet, und die Content Agentur Austria.

Gemeinsam mit einer elektronischen Verlautbarungsplattform des Bundes sollen jährlich insgesamt 16,5 Millionen Euro in das Konstrukt fließen, weniger als die Hälfte davon einer künftigen Redaktion zur Verfügung stehen. Wie das neue Medium künftig aussehen soll, wird aktuell von einem Produktentwicklungsteam erarbeitet. Festzustehen scheint, dass es keinen tagesaktuellen Journalismus mehr geben wird, in der Redaktion rechnet man mit Personalabbau.

Wieder regte sich heftige Kritik an den Regierungsplänen, prominente Namen aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und Medien appellierten für ein Umdenken. Am Dienstag versammelten sich mehrere hundert Menschen, angeführt von der Initiative Baukultur für Medienvielfalt und die Initiatoren der Online-Petition "Retten Sie die ‚Wiener Zeitung‘ vor dem Aus!", vor dem Kanzleramt, um für den Erhalt des Mediums zu demonstrieren. Die IG Autorinnen und Autoren legte am Donnerstag auf der Leipziger Buchmesse eine Gedenkminute für die "Wiener Zeitung" ein. Einige Stunden vor der Abstimmung kommentierte auch EU-Kommissionsvizepräsidentin Vera Jourova das Vorhaben: Sie sei "nicht glücklich mit der Situation".

Auch die Opposition zeigte sich bei der Nationalratssitzung am Donnerstag geschlossen ablehnend gegenüber den Regierungsplänen, bezeichnete sie als medien- und demokratiepolitisch problematisch. Schon zu Beginn des Plenums überreichte SPÖ-Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner Vizekanzler Werner Kogler ein aktuelles Exemplar der "Wiener Zeitung" und fragte, wie es ihm dabei gehe, "dass Sie heute die ‚Wiener Zeitung‘ zu Grabe tragen".

"Sie begehen historischen Fehler in ihrer Medienpolitik. In zehn Jahren werden wir zurückblicken und sagen, da ist es gekippt", so Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger, die neben dem "WZEVI"-Gesetz auch die von Türkis-Grün angestrebte ORF-Reform kritisierte. Neos-Mediensprecherin Henrike Brandstötter bemängelte, dass man nun die Steuerzahler "ein nicht näher definiertes Online-Medium" bezahlen lasse, ohne alternative Finanzierungskonzepte geprüft zu haben. Und das Gesetz ermögliche die Gründung weiterer Unternehmungen unter dem Dach der "Wiener Zeitung", an die die Regierung PR-Leistungen auslagern könne.

Einsparungen könnten nicht das Ziel gewesen sein, wenn der Mediengruppe künftig 16,5 Millionen Euro aus dem Budget zur Verfügung stehen sollten, meinte auch Harald Stefan (FPÖ). "Hier wird das Geld erst recht wieder hinausgeworfen." Die Einstellung der "Wiener Zeitung" bezeichnete er als "groben Fehler".

Anders sah das freilich Medienministerin Susanne Raab (ÖVP): "Wer von einer Abschaffung der ‚Wiener Zeitung‘ spricht, sagt die Unwahrheit", erklärte Raab, während die Abgeordneten der SPÖ Printexemplare der "Wiener Zeitung" hochhielten.

Namentliche Abstimmung auf Antrag der SPÖ

"Es freut mich sehr, dass es diesen Wandel geben wird", sagte auch Blimlinger, die ebenso wie Grünen-Klubobfrau Sigrid Maurer auf die Abschaffung der Pflichtveröffentlichungen im Rahmen der EU-Richtlinie verwies. Der Wegfall der Finanzierung der "Wiener Zeitung" sei somit nicht zu verhindern gewesen. "Glauben Sie, es macht uns Spaß, diese furchtbaren Entscheidungen zu treffen?", fragte Maurer.

Schließlich stimmten von insgesamt 162 anwesenden Abgeordneten 88 mittels grauen Wahlzetteln für das "WZEVI"-Gesetz, die Opposition mit rosa Zetteln dagegen - die namentliche Abstimmung mit Stimmzetteln hatte die SPÖ beantragt. Einige FPÖ-Abgeordnete sowie Ewa Ernst-Dziedzic (Grüne) und die ÖVP-Abgeordneten Martin Engelberg, Gudrun Kugler sowie Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka stimmten nicht ab. Einige weitere Abgeordnete waren entschuldigt.

Anträge der Opposition, das Gesetzesvorhaben an den Verfassungsausschuss zurückzuweisen und zu überarbeiten, wurden abgelehnt. Die nötige Zweidrittelmehrheit fand dank Zustimmung der SPÖ dagegen das neue Medientransparenzgesetz. Unter anderem müssen Ministerien und andere öffentliche Stellen, die größere Werbekampagnen schalten, künftig öffentlich über Inhalt, Laufzeit und Budget der Kampagne informieren.