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Am seidenen Faden der Eigentümer

Von Simon Rosner

Politik

Die "Wiener Zeitung" zwischen Desinteresse und Besitzanspruch.


Wo anfangen, zu erzählen, wie etwas endet, was 320 Jahre währte? Von vorne, im Jahr 1703, als Johann Baptist Schönwetter das Herrscherhaus von der Idee überzeugte, eine Zeitung zu drucken? Oder als nach mehr als 150 Jahren in privatem Eigentum und nach der Ungehörigkeit der Redaktion, sich an die Seite der Revolutionäre zu schlagen, die "Wiener Zeitung" verstaatlicht wurde? Oder bei ihrer "Wiederkunft" im September 1945, als Staatskanzler Karl Renner die Zeitung zum Symbol für die neue Republik und als "unvergängliches Denkmal unserer heutigen und künftigen Mühen und Erfolge" erklärte? Oder doch in der jüngeren Vergangenheit, als die Zeitung in zwei Etappen ausgegliedert wurde und doch im Eigentum der Republik verblieb?

All diese Geschehnisse trugen dazu bei, dass der "Wiener Zeitung" ein langes Leben beschieden war, dass sie zur ältesten noch erscheinenden Zeitung der Welt wurde - und dass sie nach dem Beschluss im Nationalrat am Donnerstag Ende Juni 2023 zum letzten Mal erscheinen wird.

Es ist eine reiche Geschichte, die in ihrer Gesamtschau auch viel über das Verhältnis zwischen Staat und Gesellschaft erzählt. In der ersten Hälfte ihres Bestehens durch das ambivalente Zusammenspiel - und in Zeiten höfischer Zensur konnte es nichts anderes als ein Zusammenspiel sein - zwischen den privaten Verlegern und dem Kaiserhaus, was immer auch ein Kampf war, entweder mit dem Zensor oder zwischen der eigenen Überzeugung und unternehmerischen Notwendigkeiten. Im Jahr 1848 gewann die Überzeugung, doch es bedingte den Verlust des Unternehmens. Der Kaiser griff 1857 zu.

In der Republik war es der Umgang der Regierenden mit dem historischen Erbe, mit dem sie wenig anzufangen wussten. Schon 1925 wurde der damalige Chefredakteur Rudolf Holzer von Kanzler Ignaz Seipel zur Räson gerufen, "seinen Ehrgeiz zu bändigen", als sich private Verleger über die Konkurrenz beschwerten. Diese Sichtweise des Eigentümers auf das Blatt sollte sich, mit wenigen Ausnahmen, fortsetzen.

Ambivalente Auslagerung

In den frühen 1990ern witterte die FPÖ einen Skandal, weil die Auslagerung des Verlags in die Staatsdruckerei nicht dazu gedient habe, "dieses Medienunternehmen auf den rauen Wind der marktwirtschaftlichen Konkurrenz vorzubereiten", sondern um "Liegenschaften und Beteiligungen im In- und Ausland zu erwerben". Die FPÖ ätzte: "Das Medium besteht einerseits aus dem Amtsblatt, andererseits aus Teilen, die eine normale Tageszeitung simulieren sollen." Die Blauen hatten in diesem Punkt, wenn auch sehr zugespitzt, nicht gänzlich unrecht. Denn dass der Staat der Allgemeinheit guten Journalismus bieten soll, war kein politisches Ziel. Eher das Gegenteil.

Es war bereits in jenen Jahren, dass die Existenz der Zeitung infrage gestellt wurde. Bundeskanzler Franz Vranitzky soll einmal bei Bestrebungen zur Abschaffung ein Veto eingelegt haben. Es ging also weiter. Ein Gutachten unter seinem Nachfolger Viktor Klima empfahl dann die Schließung der Zeitung, doch da war bereits Wahlkampf. Besser nach der Wahl. Doch es war Klima, der weichen musste, die "Wiener Zeitung" blieb. In seine Amtszeit war aber der zweite Schritt der Ausgliederung gefallen. Die Wiener Zeitung GmbH wurde 1998 eingerichtet und die Redaktion, die zuvor im "Amt zur Wiener Zeitung", einer Abteilung im Bundeskanzleramt, ressortierte, eingegliedert.

Die nur gesellschaftsrechtliche Privatisierung sollte für die weitere Zukunft der Zeitung zwiegespalten sein. Zum einen ermöglichte sie Journalismus, der davor nur in redaktionellen Inseln wie dem "extra", dem "Lesezirkel" und der Außenpolitik gedieh. Doch wie sollte über Innenpolitik von einer Abteilung im Bundeskanzleramt berichtet werden?

In die Amtszeit Wolfgang Schüssels fielen auch zwei Anstellungswellen in der Redaktion. Zum ersten Mal seit Jahrzehnten wurde wieder in Journalismus investiert. Erst kamen einige junge, dann auch namhafte Redakteure sowie in Andreas Unterberger ein erfahrener Blattmacher als Chefredakteur. Aus dem verschlafenen Blatt mit großer Geschichte wurde wieder eine gegenwärtige Zeitung mit Vollredaktion, die Kommentare, Reportagen und Interviews auf qualitativ hohem Niveau lieferte.

Ewiges Damoklesschwert

Doch die Zukunft war auch in jener Phase von Bedrohungen geprägt. Einer unmittelbaren in Form einer wettbewerbsrechtlichen Klage gegen das Amtsblatt sowie einer fundamentalen die Zukunft betreffend: das Internet. Die Zeitung war selbst zwar sehr früh, 1995, online. Doch das Geschäftsmodell eines gedruckten Amtsblattes, das durch die Tageszeitung zu höherer Zirkulation gelangt, war ein Anachronismus.

Die Wirtschaftskammer drängte darauf, die Gebühren für die gedruckten Pflichtinserate zu streichen. Doch das hätte auch das Ende der Zeitung bedeutet, die sich gerade zu entwickeln begann. Und warum abschaffen, was man gerade in die Hände bekam? Die Kleinheit der Zeitung bedingte, dass die Regierenden sie nicht als Spielwiese begriffen. Oder jedenfalls nicht sehr. Es hatte wohl wenig Nutzen (Reichweite) und doch ein gewisses Risiko (Peinlichkeit des Hofberichts). Für die Redaktion war es ein Glück, für die Zukunft der Zeitung nicht.

Schon bei der 300-Jahr-Feier im Jahr 2003 wurde das Ziel ausgegeben, "in etwa zehn Jahren ohne die amtlichen Einschaltungen lebensfähig" zu sein, wie der damalige Geschäftsführer Karl Schiessl beim Jubiläum sagte. Es war allen bewusst, dass das Amtsblatt nicht für die Ewigkeit ist. Doch der Eigentümer kümmerte sich nicht- nicht wirklich.

Statt konkreter Ideen gab es vage Aufträge, dem etliche Konzepte des Unternehmens folgten. Sie waren weitgehend für die Schublade. Unter Kanzler Alfred Gusenbauer wurde ernsthaft die Umwandlung in eine Wochenzeitung erwogen, doch dann zerbrach die Regierung. Unter Nachfolger Faymann dachte man zuerst ans Zusperren, dann an eine U-Bahn-Zeitung. Dagegen wehrte sich jedoch der Geschäftsführer.

Derweil entwickelte sich die Redaktion und damit das Blatt. Die Chefredaktion wechselte 2009 von Andreas Unterberger auf Reinhard Göweil, der die Zeitung modernisierte. Die Berichterstattung sollte tiefgründiger werden: weniger Meldungen, mehr Hintergrund, lange Texte, ein neues Feuilleton, die "Wiener Zeitung" erhielt eine zeitgemäße Website, die auch neue Leser fand.

Aufbau zur Marke

Wieder urgierte der Eigentümer alternative Geschäftsmodelle, um die Gebührenfinanzierung streichen zu können. Nicht jetzt, wo man sie in Händen hielt, aber irgendwann. Die "Wiener Zeitung" wurde so von Regierung zu Regierung weitergereicht. Auch unter Kanzler Christian Kern wurde ein Strategieprozess eingeleitet. Das Ziel dabei war, bei einem Entfall der Einschaltungen die Zeitung retten zu können, wenn auch vielleicht nur als Wochenzeitung.

Es hätte der auf tagesaktuelle Berichterstattung spezialisierten Redaktion nicht gefallen. Sie hätte sich gewehrt. Eine Wochenzeitung, glaubt ein in jener Zeit Involvierter, wäre aber einfacher zu verkaufen gewesen. Doch war man dazu je bereit? Die jüngere Genese macht skeptisch. Als das nunmehrige Aus ruchbar wurde und im Bundeskanzleramt die ersten potenziellen Käufer anklopften, entflammte dort auf einmal das Interesse an der "Wiener Zeitung". Sie war inzwischen zu einer starken Marke geworden. Nicht, weil dies je Absicht der Regierenden war. Es ist ihnen vielmehr durch Nichtstun passiert, weil es bedeutete, dass die Redaktion ins Tun kommen konnte.

Einer Umsetzung kam keine der Ideen nahe. Bisher. Doch auch wenn 2017 inmitten des Strategieprozesses wieder eine Regierung zerbrach, weshalb in der Redaktion der Witz vom "Fluch der WZ" umging, der seit Metternich alle träfe, die sie abschaffen wollten, hatte diesmal der Prozess Bestand. Das Ziel aber, dann auch unter neuer Geschäftsleitung, änderte sich in einem Detail: Das neue Geschäftsmodell galt nicht mehr primär der Zeitung, sondern der GmbH, die 1998 eingerichtet wurde, sich schleichend veränderte und vor allem seit 2019 transformiert wurde.

Im Gegensatz zu seinen Vorgängern erhielt Chefredakteur Walter Hämmerle kein Budget mehr für personelle Akzente, dafür wurden neue Unternehmensteile gegründet und ausgebaut. Sie werden nun die Zeitung überdauern, von der nur mehr die Marke bleiben wird. Oder, wie es die Redaktion sieht: die Hülle.