Als Letzter stand Johannes Hübner (FPÖ) auf der Rednerliste. Rund eine Stunde hatte die Debatte über das WZEVI-Gesetz im Bundesrat gedauert, Regierungsparteien und Opposition hatten großteils bekannte Positionen für und wider die Einstellung der ältesten noch erscheinenden Tageszeitung der Welt ausgetauscht. Immer wieder war es in den Reihen der Bundesräte laut geworden, die SPÖ-Fraktion hielt während des Redebeitrags von Medienministerin Susanne Raab (ÖVP) wie schon im Nationalrat gedruckte Exemplare der "Wiener Zeitung" hoch.
Dann meldete sich Andreas Babler (SPÖ) zu Wort. Und ihm folgte die gesamte rote Bundesratsfraktion.
Babler erinnerte an die damals revolutionäre Veröffentlichung der Erklärung der Menschenrechte im Jahr 1789 in der "Wiener Zeitung" und las Auszüge aus der entsprechenden Ausgabe vor. Sein Parteikollege Daniel Schmid zitierte aus einem Bericht des Blattes über das Attentat auf Thronfolger Franz Ferdinand in Sarajevo im Jahr 1914, das als Auslöser des Ersten Weltkriegs gilt. Aus der ersten Ausgabe des "Wiennerischen Diariums" vom 8. August 1703 hatte bereits Fraktionsführerin Korinna Schumann am Beginn der Debatte vorgelesen, als das eben aus der Taufe gehobene Blatt ankündigte über "alles Denkwürdige" innerhalb Wiens und darüber hinaus zu berichten.
Von der Weltausstellung bis zum Ibiza-Video
Während ein SPÖ-Bundesrat nach dem anderen mit dem Nachdruck einer historischen "WZ"-Ausgabe zum Rednerpult schritt, wurde es in den Reihen der übrigen Fraktionen zunehmend unruhig. Vor allem vonseiten der FPÖ gab es immer wieder Zwischenrufe, zahlreiche Bundesräte sowie die anwesende Medienministerin Raab schienen während großer Teile der Debatte mit ihren Handys beschäftigt. Und während man sich im Bundesratssaal mit Mozartkugeln stärkte und sich die Zeit mit Gängen zum Kaffeeautomaten vertrieb, verlas die SPÖ-Fraktion "WZ"-Artikel über Ereignisse von der Wiener Weltausstellung im Jahr 1873, über die Proteste gegen das Atomkraftwerk Zwentendorf in den 1970er Jahren bis hin zum erfolgreichen Misstrauensantrag gegen die erste Regierung von Ex-Kanzler Sebastian Kurz infolge des Ibiza-Videos – nicht, ohne dazwischen tagespolitische Themen aufzugreifen und vor allem gegen den Regierungskurs im Kampf gegen die Teuerung zu wettern.
Rund drei Stunden und 20 Minuten dauerte die Debatte. Die rote Geschichtsstunde endete allerdings mit einem hitzigen Wortgefecht zwischen SPÖ und FPÖ, nachdem sich Christoph Steiner (FPÖ) zu Wort gemeldet hatte, um nicht nur den roten Redereigen als "unspannend" zu kritisieren, sondern vor allem um zahlreiche SPÖ-Beteiligungen im Medienbereich und die geplante ORF-Reform der Bundesregierung anzuprangern. Während es begeisterten Applaus aus der blauen Fraktion gab, warf Schumann Steiner vor, die Freiheitlichen wollten sich mit der vehementen SPÖ-Kritik vor allem bei der ÖVP anbiedern.
Knappe Mehrheit von ÖVP und Grünen im Bundesrat
Bei der Abstimmung über einen Einspruch gegen den Nationalratsbeschluss zum WZEVI-Gesetz zeigten sich die Oppositionsparteien dann aber wieder geeint. Doch die hauchdünne Mehrheit von ÖVP und Grünen im Bundesrat reichte aus, um das Ende der "Wiener Zeitung" als tagesaktuelles Medium zu besiegeln.
Natürlich sei die Einstellung der "Wiener Zeitung" traurig, verteidigte Matthias Zauner (ÖVP) das Regierungsvorhaben, "aber Traurigkeit ist keine Kategorie des politischen Handelns". Die heutige "Wiener Zeitung" habe nicht genug Leser, um eine Finanzierung mit Steuergeld nach dem Wegfall der Pflichtveröffentlichungen zu rechtfertigen, weshalb man nun "neue Wege gehen" werde. Man wolle damit einen Beitrag zum Qualitätsjournalismus" leisten. "Wenn ich mir so manchen journalistischen Erguss der letzten Monate anschaue, schadet das mit Sicherheit nicht", so Zauner.
Man entlaste nicht nur durch den Wegfall der Pflichtveröffentlichungen die Wirtschaft, sondern mache die Zeitung "als digitales Qualitätsmedium fit für die Zukunft", betonte Claudia Hauschildt-Buschberger (Grüne). Das "Festklammern an die Wiener Zeitung als reines Printprodukt" sei dagegen nicht sinnvoll. Die Zeitung erscheint allerdings bereits seit 1995 auch online.
"Was von der Zeitung überbleiben soll, ist eine leere Hülle, die der Geschichte der Zeitung nicht gerechtwerden kann", entgegnete FPÖ-Bundesrätin Isabella Theuermann. Stattdessen sei das WZEVI-Gesetz eine "Manifestation der Message Control, die ausschließlich das Ziel verfolgt, der ÖVP zu mehr Einfluss in der Medienlandschaft zu verhelfen." Auch kritisierte sie die im Gesetz vorgesehene Einrichtung eines "Media Innovation Labs", das Medien-Start-ups unterstützen soll: "Eine Zeitung wird eingestellt, weil sich ihr eigenes Geschäftsmodell überholt hat und diese Zeitung soll dann anderen beibringen, wie man innovative Geschäftsmodelle auf den Markt bringt?"
Künftig keine tagesaktuelle Berichterstattung
Auch Karl Arlamovsky (Neos) stieß sich an bereits bestehenden Unternehmungen wie der "Content Agentur Austria" unter dem Dach der "Wiener Zeitung", die nun auch im WZEVI-Gesetz festgeschrieben werden. Diese Struktur diene als "Deckmantel, um die Medienpläne der Regierung in Zukunft umzusetzen."
Mit dem Beschluss des Bundesrats scheint das Aus der "Wiener Zeitung" in ihrer heutigen Form besiegelt. Wie das neue Online-Produkt, das ab 1. Juli an die Stelle des geschichtsträchtigen Blattes treten soll, aussehen soll, wird derzeit von einem Produktentwicklungsteam erarbeitet. Tagesaktuelle Berichterstattung über "alles Denkwürdige" soll es auf der neuen Online-Plattform jedenfalls nicht mehr geben.
Hinweis: Die ursprüngliche Meldung wurde um 16.45 durch einen redaktionellen Text ersetzt.