Es war am "13. May / Fruhe gegen 3. Uhr", als die 25-jährige Elisabeth Christine bemerkte, "daß die Zeit Dero Höchsterwünschten Niederkunft sich merklichen herbeynahe." Sprich: Die Wehen setzten ein. Da der werdende Vater außerhalb von Wien übernachtete, schickte man schleunigst einen Boten nach dem Mann, der "alsobald der nächtlichen Ruh abgebrochen / und dergestalt geschwind Sich herein begeben", dass er "schon gegen halber 6. Uhr" zur Stelle war.

Herrscherin Maria Theresia mit "Diarium"-Ausgabe samt Wissenschaftsbeilage. Bilder: Wien Museum (Foto: B. & P. Kainz) / "WZ"-Archiv. Montage: Ph. Angelov
Es folgten bange Stunden, da eine Geburt einst immer Lebensgefahr für Mutter und Kind bedeutete. Doch schon "nach halber 8. Uhr" konnte man aufatmen: Die junge Frau wurde von einem "wohlgestalt- und gesunden" Kind entbunden. Fazit: Es war eine "so glücklich- als geschwind- und leichte Geburt".
Davon sowie von der anschließenden Taufzeremonie berichtete unser Blatt, damals unter dem Titel "Wienerisches Diarium", anno 1717 bis ins kleinste Detail. Natürlich handelte es sich nicht um irgendeine Familie. Die Eltern waren keine Geringeren als Kaiser Karl VI. und seine Gemahlin Elisabeth Christine.

Guter Draht zur Regentin
Dass aus dem Sprössling einmal eine der prägendsten Figuren der österreichischen Geschichte werden sollte, hätte einst wohl niemand zu träumen gewagt. Es war ja "nur" ein Mädchen: Maria Theresia. Da sich kein männlicher Erbe mehr einstellte, kam sie gegen alle Widerstände 1740 als Frau auf den Thron. Und dort blieb sie vier Dezennien lang.
Unser Blatt sollte die Habsburgerin von der Wiege bis zur Bahre begleiten. Die Herausgeber hatten eine spezielle Beziehung zur Landesmutter. Zum einen blieb ihnen gar nichts anderes übrig, als sich mit den jeweils Herrschenden gutzustellen. Schließlich befanden sie sich im strengsten Absolutismus. Für die Publikation einer Zeitung brauchte man eine kaiserliche Genehmigung. Ganz zu schweigen von der Zensur: Wer Unliebsames druckte, konnte schnell in Teufels Küche kommen. Die Idee der Pressefreiheit war noch in weiter Ferne.
"Diarium"-Herausgeber Johann Peter van Ghelen (1673-1754) und seine Nachkommen dürften einen guten Draht zu Maria Theresia gehabt haben. Immerhin erneuerte diese den alle paar Jahre auslaufenden Pachtvertrag ein ums andere Mal. So sorgte sie dafür, dass unser Blatt über einen langen Zeitraum in der gleichen Familie blieb (später Ghelensche Erben genannt). Die Nähe zur Hofburg war auch wortwörtlich gegeben. Als Johann Peter van Ghelen das "Diarium" im Jahr 1722, also noch zu Zeiten Karls VI., übernommen hatte, übersiedelte es in ein Gebäude am Michaelerplatz. Dass man vom Machtzentrum nur wenige Schritte entfernt war, hatte ganz praktische Vorteile für die Redaktion. Immerhin bezog man etliche Informationen direkt vom Hof. Der eingangs zitierte Bericht über die kaiserliche Entbindung wäre ein Beispiel dafür.
Stockschläge für Raser
Auch allerhöchste Verordnungen hatte das "Diarium" zu publizieren. So verkündete unser Blatt am 15. Mai 1756, also in Maria Theresias Ära, eine Maßnahme im Kampf gegen Raser: Es sei bekannt, "daß durch das entweder mutwillige, oder unbesonnene schnelle Fahren bedaurende Unglücksfälle" passieren. Die Kutscher sollten daher gefälligst ihr Tempo mäßigen. Ansonsten drohten schmerzhafte Strafen. Zum "erspieglenden Beyspiel für die übrige", das heißt zur Abschreckung, würden Übeltäter "auf dem Ort des verübten Mutwillens gezüchtiget", hierfür "alsogleich von dem Wagen herabgenommen, und mit gemessenen Stock-streichen abgestraffet".
Doch mit Hofnachrichten allein hätte sich die Gazette kaum gut verkauft. Sie musste schon etwas mehr bieten, damit Leserinnen und Leser bereit waren, den hohen Preis pro Ausgabe zu bezahlen. (Für die ersten Jahrzehnte ist ein Betrag von sieben Kreuzern überliefert; dafür bekam man ein Menü in einem Wiener Gasthof.) Um ein informatives und abwechslungsreiches Blatt zu gestalten, griff die Redaktion unter anderem zu internationalen Meldungen.
In den 1760ern wagte das "Diarium" ein Experiment: Eine regelmäßig erscheinende Beilage für ein wissenschaftlich und kulturell interessiertes Publikum. Sie trug den Titel "Gelehrte Nachrichten", später "Gelehrte Beyträge", und kann als eigentlicher Beginn des Feuilletons angesehen werden.
Es spricht einiges dafür, dass das Projekt einen einflussreichen Unterstützer aus dem Umfeld Maria Theresias hatte: Joseph von Sonnenfels (1732/33-1817). Als Vertreter der Aufklärung geriet er zwar immer wieder mit der Regentin aneinander, doch es gelang ihm auch, die skeptische Maria Theresia zu manch wichtiger Reform zu bewegen, etwa zur Abschaffung der Folter. Mit den "Gelehrten Nachrichten" wehte auch durchs "Diarium" ein Hauch von Aufklärung - allerdings nur kurzzeitig, da das publizistische Projekt bald eingestellt wurde.
Blick nach Übersee
Die außenpolitische Berichterstattung erreichte in den 1770ern eine neue Qualität. So konnten die Leserinnen und Leser unseres Blattes bis ins kleinste Detail verfolgen, wie in Übersee 1776 mit den USA eine neue Nation entstand. Als das "Diarium" Teile der Unabhängigkeitserklärung übersetzte und druckte, fanden sich darin Aussagen, die ein absoluter Herrscher - oder eine absolute Herrscherin - brandgefährlich finden musste, etwa dass "alle Menschen gleich erschaffen sind", ja, dass "das Volk das Recht hat", eine Regierungsform "zu verändern, und zu vernichten"!
Mit Maria Theresias Tod am 29. November 1780 ging eine Ära zu Ende. Dass sich die Zeiten bereits geändert hatten, war auch an unserem Blatt erkennbar: Es trug schon seit 1. Jänner 1780 den Titel "Wiener Zeitung", der vom Anbruch einer neuen Epoche kündete. Unter diesem Namen sollte es wenige Jahre später, 1789, einen journalistischen Coup landen.
Nächste Folge: Samstag, 20. Mai
Eine Serie von Andrea Reisner und Paul Vécsei