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Mehr als eine Kulturschande

Von Johannes Kunz

Gastkommentare
Johannes Kunz (Jahrgang 1947) war von 1973 bis 1980 Pressesprecher von Bundeskanzler Bruno Kreisky und von 1986 bis 1994 ORF-Informationsintendant. Er ist Autor mehrerer Bücher zu politischen Themen und über Jazz.
© privat

Das Ende "Wiener Zeitung" ist eine große medien- und demokratiepolitische Fehlleistung.


Angesichts der komplexen Gemengelage ist Qualitätsjournalismus, der faktenbasierte, fundierte Analysen anbietet, heute wichtiger als jemals zuvor. Die Welt ist so, wie sie ist. Aber guter und kritischer Journalismus wirkt aufklärend und ist ein unverzichtbares Korrektiv der Politik in demokratischen Gesellschaften. In autoritären Regimen ist er eingeschränkt und in klassischen Diktaturen gar nicht existent. An dieser Stelle sei der Blick auf unser kleines Österreich gerichtet, in das große internationale Medienkonzerne herein wirken.

Die österreichische Medienpolitik ist gefordert, autarke heimische Qualitätsmedien existenziell zu unterstützen, also die Rahmenbedingungen hierfür zu schaffen. Qualitätsmedien sind für unsere Demokratie überlebensnotwendig. Wir brauchen einen starken, unabhängigen, öffentlich-rechtlichen ORF mit so wenig politischem Einfluss wie möglich sowie gedruckte Qualitätszeitungen, von denen wir ohnedies nicht viele haben.

Eine dieser Qualitätszeitungen ist - oder besser gesagt: war - die 1703, also vor 320 Jahren, gegründete "Wiener Zeitung". Diese älteste Tageszeitung der Welt wird Ende Juni, also in fünf Wochen, zum letzten Mal gedruckt erscheinen. Schon laufen Kündigungsgespräche mit bis zu 80 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. So will es die Bundesregierung aus ÖVP und Grünen, die ein entsprechendes Gesetz mit ihrer Mehrheit im Parlament durchgepeitscht hat. Dieser politische Schildbürgerstreich, gegen den sich tausende Bürger aus allen Bevölkerungsschichten, Gebietskörperschaften, die Gewerkschaft, in- und ausländische Journalistenorganisationen und viele andere gewandt haben, ist mehr als eine Kulturschande. Es ist eine große medien- und demokratiepolitische Fehlleistung. Ich bin gespannt, welche Worte der Bundespräsident bei der Verleihung des Kurt-Vorhofer-Preises an die Redaktion der "Wiener Zeitung" für deren Mut, Qualität und Unabhängigkeit finden wird.

Ich zitiere aus der Jury-Begründung: "Die Redaktion bot in diesen schwierigen Monaten hochwertigen Qualitätsjournalismus, und dies ungebrochen im doppelten Sinn des Wortes. Gerade in Zeiten von Fake-News, enthemmter Polarisierung und populistische Posting-Kultur bedeutet das Ende der gedruckten Tagesausgabe der ‚Wiener Zeitung‘ einen Verlust für den Qualitätsjournalismus und für die Demokratie."

Wir müssen jene Politiker, die sich in den vergangenen Wochen verbal für eine Rücknahme des Gesetzes über die Einstellung in der "Wiener Zeitung" eingesetzt haben, bei der bevorstehenden Nationalratswahl mit anschließenden Koalitionsverhandlungen an ihre Worte erinnern. Mobilisieren wir die Zivilgesellschaft und kämpfen wir ab sofort, von heute an, jeder an seinem Platz, dafür, dass der hoffentlich nur vorübergehenden Einstellung der "Wiener Zeitung" möglichst bald ein Wiedererscheinen folgt. Das Gesetz über die Einstellung der gedruckten "Wiener Zeitung" muss unter der nächsten Bundesregierung von einer neuen Mehrheit im Parlament revidiert werden, im Interesse der österreichischen Medienlandschaft, Kultur und Demokratie.

Am Mittwochabend wurde Johannes Kunz von der Fachzeitschrift "Der österreichische Journalist" für sein Lebenswerk ausgezeichnet. Der vorliegende Text ist ein Auszug aus seiner Dankesrede.