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Ein Leuchtturm erlischt

Von Eike-Clemens Kullmann

Gastkommentare
Illustration: stock.adobe.com / Elizabeth -
© Illustration: stock.adobe.com / Elizabeth -

Um die "Wiener Zeitung" zu zerstören, war der Bundesregierung aus ÖVP und Grünen jedes Mittel recht.


Der 8. August 2023 hätte ein besonderes Datum werden können. Dann hätte die "Wiener Zeitung" einen runden Geburtstag feiern können. 320 Jahre wäre die älteste Tageszeitung der Welt geworden. Aber das interessierte die Bundesregierung aus ÖVP und Grünen als Vertreterin der Eigentümerin Republik Österreich nicht im Mindesten. Den sogenannten Medienexperten ging es seit Monaten um nichts anderes, als diesen Leuchtturm des Qualitätsjournalismus in Österreich zu zerstören.

Dafür war ihnen jedes Mittel recht. Eine Unwahrheit reihte sich an die nächste, als es darum ging, der Öffentlichkeit Sand in die Augen zu streuen und die Beschäftigten hinters Licht zu führen. Das begann mit der falschen Behauptung, es habe Strafandrohungen der EU gegeben, die Österreich zum Handeln gezwungen hätten. Die Fortsetzung der Märchenerzählung - mit schlechtem Ausgang - betraf die angebliche Rettung durch einen "Transformationsprozess" von einer Print-Tageszeitung in eine Online-Ausgabe. Als ob es diese Online-Ausgabe nicht schon längst gäbe.

Der mittlerweile vereinbarte Sozialplan zeigt, dass von einer künftigen Online-Zeitung keine Rede mehr sein kann. Es geht nur noch um eine Verlautbarungsplattform der Regierung. Mit unabhängigem, qualitätsvollem Journalismus, für den die "Wiener Zeitung" bisher exemplarisch gestanden ist, kann daher keine Rede mehr sein. Geredet wurde von den Verantwortlichen der Regierungsparteien viel, gehalten wurde nichts. So sprach Medienministerin Susanne Raab (ÖVP) noch im Oktober in einem TV-Interview davon, dass es keine Kündigungen geben werde. Die Warnung der JournalistInnengewerkschaft in der GPA, wonach die Kündigung von bis zu 100 Kolleginnen und Kollegen bevorsteht, hat sich leider bewahrheitet. Die Geschäftsführung wartete nicht einmal die formelle Unterzeichnung des Gesetzes durch Sie, sehr geehrter Herr Bundespräsident, ab, und zitierte mehrere Kolleginnen und Kollegen zu Gesprächen - allesamt mit dem Sachverhalt Kündigung. Auch die von uns genannte Zahl - bis zu hundert - bewahrheitet sich.

Knallhart die Liquidierung durchgezogen

Nicht zuletzt bei der Begutachtung des Gesetzes zeigte diese Bundesregierung, wie wenig ihr demokratische Prozesse wert sind. Hunderte Stellungnahmen, allesamt negativ, fanden de facto keine Berücksichtigung. Sollen sie halt schimpfen und protestieren - wir, also ÖVP und Grüne, ziehen die Liquidierung dieses einzigartigen Kulturgutes in Österreich knallhart durch. Dass sich die Grünen in Wien gegen das Aus der "Wiener Zeitung" aussprachen, interessierte Eva Blimlinger & Co ebenso wenig, wie Susanne Raab & Co die Aufrufe namhafter Größen aus den Reihen der ÖVP.

Eine davon, jene des hochangesehenen ehemaligen EU-Kommissars Franz Fischler möchte ich hier kurz zitieren. Er donnerte bei der Demonstration für die Rettung der "Wiener Zeitung" vor wenigen Wochen auf dem Ballhausplatz: "Wie weit sind wir gekommen, dass wir dafür demonstrieren müssen, dass es etwas, bei dem seinerzeit Hugo Portisch die Idee hatte, ein Weltkulturerbe daraus zu machen, in Zukunft überhaupt noch geben könnte? Woher nehmen sich die ahnungsvollen Leuchten des Politgewerbes, Frau Raab und Frau Blimlinger, das Recht und die Frechheit, dieser 320 Jahre alten Institution den Garaus zu machen?" Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen.

Und doch: Ich habe eine Wortmeldung in diesen so bedrückenden Wochen und Monaten für den Qualitätsjournalismus und die Kulturnation Österreich schmerzlich vermisst: Ihre, sehr geehrter Herr Bundespräsident. Ein Gesetz, das verfassungskonform zustande gekommen ist, zu unterzeichnen, ist das eine. Das andere wäre zumindest der Versuch gewesen, den für diesen Vernichtungsirrsinn Verantwortlichen ins Gewissen zu reden, die Öffentlichkeit aufzurütteln.

Das haben in beispielloser Art und Weise viele aus den unterschiedlichsten Gesellschaftsbereichen getan. Beherzt gekämpft haben zugleich die Kolleginnen und Kollegen der "Wiener Zeitung", wo ich, gestatten Sie mir, zwei besonders hervorheben möchte: die Gewerkschafter im Haus, Paul Vecsei und Gregor Kucera. Sie haben bis zur letzten Sekunde alles darangesetzt, das Kulturgut "Wiener Zeitung" zu erhalten, für deren Qualität die Redaktion verantwortlich zeichnet. Die JournalistInnengewerkschaft in der GPA hat diese Bemühungen in jeder Phase und mit allen Möglichkeiten unterstützt.

Die Bundesregierung dagegen hat sich sogar jener Aufforderung verschlossen, entweder selbst ernsthaft mit Interessenten zu sprechen oder der Redaktion wenigstens ein Moratorium über 18 Monate einzuräumen, um eine tragfähige private Konstruktion für die Zukunft zu initiieren. Die Bundesregierung nimmt stattdessen Millionenbeträge in die Hand für eine vorgebliche journalistische Aus- und Weiterbildung.

Sie verschleiert mit ihrem "Media Hub" zweierlei: Erstens gibt es längst mehrere hervorragende, unabhängige Institutionen, die mit fachlich einwandfreier Expertise Aus- und Weiterbildung anbieten. Diese speist man aber seit Jahren mit Finanzbrösel ab und hungert sie aus.

Zweitens wird nun stattdessen - mit Millionenaufwand, der der "Wiener Zeitung", aber auch den unabhängigen Aus- und Weiterbildungsinstitutionen fehlt - eine Propagandaanstalt für das Bundeskanzleramt kreiert. Eine Verstaatlichung der Aus- und Weiterbildung also - der nächste Wahnsinn und Anschlag auf die Pressefreiheit. Im internationalen Ranking der Pressefreiheit, in dem wir nach einem katastrophalen Absturz im Jahr 2022 heuer nur ein bisschen Boden gutmachen konnten, ist das Aus der "Wiener Zeitung" noch gar nicht eingepreist.

Pfusch beim Fördergesetz für Qualitätsjournalismus

Neben dem Gesetz, mit dem die "Wiener Zeitung" zerstört wird, hat die Regierung hochtrabend ein Fördergesetz für Qualitätsjournalismus auf den Weg gebracht. Endlich, könnte man sagen. Aber auch: Es ist gleich an mehreren Stellen ein Pfusch. Förderung endlich an Qualitätsnormen auszurichten, ist seit vielen Jahren eine Forderung der Gewerkschaft - ich komme mir in diesem Punkt vor wie in einer Endlosschleife. Leider nicht nur in diesem, wenn ich etwa an die Abschaffung des Amtsgeheimnisses denke. Dass die Fördersummen deutlich zu niedrig sind, will ich nicht weiter ausführen. Wie sehr dieses Gesetz nicht das hält, was der Titel vorgaukelt, zeigt sich an mehreren Punkten. Ich möchte hier - der Zeit geschuldet - nur zwei anführen.

Erstens gilt die Anerkennung des Presserates für die Regierung nicht als Qualitätsmerkmal, um eine Förderung zu erhalten. Zugleich werden der journalistischen Selbstkontrolle die nötigen Mittel vorenthalten. Ja, es gibt etwas mehr Geld, das will ich auch nicht verschweigen. Aber ein bisschen mehr reicht mit Blick auf die Inflation der vergangenen Jahre nicht aus. Und schon gar nicht, wenn man sieht, wie stark die Zahl der zu behandelnden Fälle gestiegen ist. Zweitens gelten als Förderkriterien die Anwendung des Journalisten-Kollektivvertrages und Redaktionsstatute. Bei Ersterem schwächt der Zusatz "oder KV-ähnlich" die Vorgabe gleich wieder ab. Und bei den Redaktionsstatuten fehlt, was diese beinhalten müssten, also welche Rechte der Redaktion darin zugesprochen werden. Diese Rechte sind aber unabdingbar für eine Unabhängigkeit.

Unabhängigkeit der Redaktionen extrem bedroht

Die Unabhängigkeit der Redaktionen ist längst extrem bedroht. Wer die wirtschaftliche Entwicklung der Medienbranche der vergangenen Jahre betrachtet, sieht zugleich den wachsenden Druck auf die Redaktionen. Weniger Einnahmen sollen durch Sparmaßnahmen ausgeglichen werden, und zwar in Form von Personalabbau. Das kann doch kein seriöser Plan und keine Strategie sein und auf Dauer nicht gut gehen. Jedenfalls nicht, wenn die Unternehmen behaupten, Qualitätsprodukte anzubieten, diese Qualität aber mit immer weniger Journalistinnen und Journalisten bewerkstelligen wollen. Zugleich noch mehr Plattformen zu bespielen, ist der nächste Wahnsinn. Und ein Anschlag auf den Qualitätsjournalismus. Denn um Qualität bieten zu können, braucht es gut recherchierten, kritisch hinterfragenden Journalismus. Mit weniger Personal, dafür aber mehr Output und der so fehlenden Zeit wird man fehleranfällig und verliert an Glaubwürdigkeit.

Glaubwürdigkeit ist aber das wichtigste Kapital des Qualitätsjournalismus. Dieser ist für unsere Demokratie als vierte Säule überlebensnotwendig. Umso mehr in so krisenbehafteten Zeiten wie diesen. Das müssen nicht nur die Politiker endlich begreifen, sondern auch die Medienunternehmer. Letztere sollten sich in ihren Finanznöten übrigens nicht einer trügerischen Hoffnung hingeben, die da Künstliche Intelligenz heißt. Der Journalismus steht bei diesem Thema vor großen Herausforderungen. KI-Anwendungen agieren fernab von Ethik und einem Wertesystem und sind daher nicht in der Lage, die Wächterfunktion, die Journalistinnen und Journalisten nicht nur derzeit, sondern auch in Zukunft zukommt, zu übernehmen.

Ich möchte den Unternehmern daher Folgendes ins Stammbuch schreiben: Die redaktionelle Verantwortung über die Inhalte besteht auch für mithilfe einer technologischen Lösung wie der KI generierte Texte. Die Medienhäuser können und dürfen sich daher nicht aus dieser Verantwortung stehlen. KI ersetzt keinen qualitätsvollen Journalismus. Es gibt daher nur ein Mittel für die Absicherung der Medienhäuser: Das ist Qualität, Qualität und nochmals Qualität. Und dafür braucht es gut ausgestattete und von Anzeigeneinfluss unabhängig agieren könnende Redaktionen.