Tempranillo aus Rioja hat es bis in die Wirtshäuser der hintersten Winkel ganz Europas geschafft, Listán negro oder Malvasía aus Gran Canaria hingegen nicht einmal bis außerhalb der Inselregion: Während kanarischer Wein bis zum 19. Jahrhundert in alle Welt exportiert wurde, muss man aufgrund der geringen Produktion heutzutage zu ihm hinfahren, um in seinen Genuss zu kommen. Schade eigentlich. Doch eine Weintour auf Gran Canaria kann wärmstens empfohlen werden.
Warm ist es denn auch bereits in den Vormittagsstunden eines frühen Herbsttages, als wir beim "Casa del Vino" der Insel eintreffen, um uns in die kanarische Weinproduktion einführen zu lassen. Der junge Önologe Jorge Santana Lorenzo empfängt uns herzlich und beginnt sogleich, vom kanarischen Wein zu schwärmen: "Es ist das Mineralische, was unseren Wein so besonders macht", erläutert er. Das klingt ein bisschen nach plakativem Werbespruch, aber im Verlauf der Degustation kommen wir diesem "Mineralischen" tatsächlich auf die Geschmacksspur. Sowohl die Rot- als auch die Weißweine sind von einer leichten, aber deutlich schmeckbaren mineralischen Note geprägt, die durch den reizvoll fruchtig-bitteren Körper hindurchdringt. Das kommt nicht von ungefähr. Wie alle kanarischen Inseln ist auch Gran Canaria eine Vulkaninsel, wobei diese vulkanische Erde dem Wein jene mineralische Würze verleiht, auf welche die kanarischen Weinbauern besonders stolz sind.
So auch Juan Manuel Cruz Hernández, derzeit einer der erfinderischsten Winzer auf Gran Canaria, den wir im Anschluss an unseren Weinhaus-Abstecher besuchen. Seit knapp zehn Jahren bewirtschaftet er die Bodega Mondalón und experimentiert nach Kräften mit neuen Kreationen. Dabei ist freilich nicht jede Neuschöpfung von Erfolg gekrönt, wie er unumwunden zugibt. "Vor kurzem habe ich versucht, roten Champagner aus Listán negro zu produzieren - das Resultat war katastrophal, schlicht ungenießbar", erzählt er schmunzelnd. Meistens erweisen sich seine Tüfteleien jedoch als erfolgreich, was eine Reihe an Auszeichnungen und Medaillen verraten, die ihm von kanarischen Weinjurys verliehen wurden. Seine Spezialität: Weißwein, der wie Rotwein hergestellt wird, was bedeutet, dass die Traubenschale während des gesamten Produktionsprozesses nicht entfernt wird.
Ganz anders denkt der über 70-jährige Santiago Robaina León, den alle nur Marcelo nennen und von dem sein Kollege Cruz Hernández behauptet, er werde mit jeder ausgetrunkenen Flasche Wein etwas jünger (angeblich trinkt er täglich deren ein bis zwei). Experimenten kann Marcelo nichts abgewinnen, da hält er sich lieber an die traditionellen Winzermethoden, wie sie seit Generationen auf seinem Weingut praktiziert werden. Marcelos Bodega existiert seit mehreren Jahrhunderten und ist damit eine der ältesten der Insel. Unsere Tourbegleiterin Natalia De La Nuez glaubt sich beim Anblick der uralten weißgekalkten und strohbedeckten Gebäude denn auch zu erinnern, dass schon ihr Großvater seinen Wein aus dieser Bodega bezogen habe.
Im Unterschied zu seinem jüngeren Kollegen Cruz Hernández ist Marcelo kein Mann der großen Worte, zumal unser Spanisch noch dürftiger ist als es seine Englischkenntnisse sind. Und so halten wir uns an Malvasía und Listán negro, nachdem er auf die Frage, wie er denn den Wein verkaufe und vertreibe, lakonisch geantwortet hat: "Five!" Womit zumindest die Frage nach dem Preisniveau der kanarischen Weine beantwortet wäre.
Schon leicht betäubt vom intensiven Verkostungsprogramm, wird es höchste Zeit für etwas Bewegung, die wir in unmittelbarer Nähe der Weingüter ausüben: Eine der beliebtesten Wanderattraktionen im nordöstlichen Teil der Insel - dem hauptsächlichen Weinbaugebiet - bildet der Krater des Bandama. Von einem Weinberg in seinem Inneren zeugen noch die Reste von altem, zerfallenem Gemäuer. Die Vegetation ist inzwischen jedoch nicht mehr von Rebstöcken, sondern von Palmen sowie Orangen- und Feigenbäumen geprägt, während an den steilen Hängen des Kraters Eukalyptusbäume und Agaven gedeihen. Obschon ein kühlendes Lüftchen weht, macht uns die gleißende Sonne zu schaffen, zumal es im Krater an schattenspendenden Orten mangelt. Der Wein im Kopf tut das seine dazu und so nehmen wir uns fest vor, nächstes Mal den umgekehrten Weg zu gehen: Mit der Wanderung zu beginnen und uns die Bodegas als krönenden Abschluss des Nachmittags vorzubehalten.