Wien. In Wahrheit ist eine philosophische Kritik von Fake News kein leichtes Unterfangen. Das wurde den Anwesenden bei der ausgebuchten Podiumsdiskussion "Dialogic" am vergangenen Dienstagabend sehr schnell deutlich. Dabei hatte Gastgeberin Anita Eichinger von der Wienbibliothek im Rathaus noch auf die Funktion der Bibliotheken als physischen Orten des Wissens verwiesen. Inmitten der alten Bücher machte sich dennoch schnell so etwas wie Ratlosigkeit breit.

"Neue Medien und philosophische Kritik" lautete der Titel dieser zweiten
Veranstaltung in der Reihe "Dialogic", die am vergangenen Dienstag, dem
11. Dezember, in der Wienbibliothek im Rathaus in Wien stattfand.
Das Problem: Durch die Neuen Medien ist die Frage nach der Möglichkeit von Wahrheit und Erkenntnis zwar brisant, aber die Philosophie kann den blitzschnell massenhaft verbreiteten Verschwörungstheorien und Halbwahrheiten nicht mehr einfach so eine objektive Wahrheit entgegenhalten. Nicht nach dieser Philosophiegeschichte.
Stumpfe Waffen der Kritik?
"Dialogic" ist eine gemeinsame Veranstaltungsreihe der "Österreichischen Ludwig Wittgenstein Gesellschaft" und der "Wiener Zeitung", die sich aus philosophischer Perspektive aktuellen Fragestellungen widmet. Auf dem Podium diskutierten Gerald Bast, Rektor der Universität für angewandte Kunst in Wien; die Philosophin Elisabeth Nemeth und Anne Siegetsleitner, Professorin für Praktische Philosophie an der Universität Innsbruck. Walter Hämmerle, Chefredakteur der "Wiener Zeitung" moderierte die Veranstaltung.
Welche Instrumente, welche Begriffe und Konzepte stehen der philosophischen Kritik also zur Verfügung, um etwa den Tweets von Donald Trump zu begegnen? "Es gibt keine eindeutige Referenz mehr", erklärte der Präsident der Wittgenstein Gesellschaft, Friedrich Stadler, Wissenschaftshistoriker und -Philosoph gleich zum Auftakt. Die Problematisierung des Faktischen beziehungsweise der Erkenntnis begann bereits in der Aufklärung und setzte sich über den Linguistic Turn und die Postmoderne bis in die Gegenwart fort. Stadler erinnerte etwa an die "Kritik" Immanuel Kants, die "Sprachspiele" Ludwig Wittgensteins und die "Paradigmen" von Thomas Kuhn - erkenntnisphilosophische Überlegungen, die ein großes Fragezeichen hinter die Möglichkeit von Eindeutigkeit, Wahrheit und Objektivität setzen. "Was wir heute mit Fake News erleben, ist die Ideologisierung des philosophischen Problems der Möglichkeiten und Grenzen menschlicher Erkenntnis", so Stadler.
Was ist schlimm an Fake News?
Die Diskussion geriet zunächst zu einer Bildungsdebatte: Die diskursiv-kollektive Aneignung von Wissen sei zu einer Jagd nach ECTS-Punkten geworden, das Wissen selbst werde in Zitationsrankings gemessen, beschrieb Gerald Bast die Situation in den Wissenschaften. Wo der soziale Ort und eben der gemeinsame - wenn auch nicht eindeutige - Referenzpunkt fehlten, könne auch keine kritische Öffentlichkeit entstehen.
Anne Siegetsleitner stellte schließlich die Grundsatzfrage: "Warum sind denn Fake News und Lügen eigentlich so schlimm?", fragte sie, um sich selbst die Antwort zu geben: "Wenn wir davon ausgehen, dass immer gelogen wird, verändert das unser Verhältnis zu politischen Amtsträgern, es gibt keinen Austausch über Standpunkte mehr, weil diese nicht mehr als solche erkennbar sind."
Elisabeth Nemeth, auf Hannah Arendt verweisend, brachte deren Begriff des "Umlügens" ins Spiel. Man müsse die Problematisierung des Faktischen in der Wissenschaftstheorie belassen und die kategorial andere Unterscheidung von Lüge und Wahrheit in der Politik bedenken. Beim Umlügen nämlich weiß niemand mehr, was wahr und was falsch ist: "Das Problem ist, dass Menschen sich daran gewöhnen und der Gegensatz von Lüge und Wahrheit verschwindet." Das ist besonders im Zeitalter der Neuen Medien problematisch, denn für diese sind alle Inhalte gleichwertig. Ob Katzenbild oder Klimareport: Für Facebook & Co. sind die geteilten Inhalte letztlich Meinungen. Und wer will darüber urteilen?
Die nächste "Dialogic"-Veranstaltung findet voraussichtlich Ende April statt.