
Pro "Abstimmungen werden für alle zugänglich." Robert Krimmer, Technische Universität Tallinn, Estland
Schon seit Anbeginn des demokratischen Zeitalters im alten Griechenland haben Menschen unterschiedlichste Hilfsmittel zur Abhaltung von Wahlen eingesetzt: Eben das, was zur jeweiligen Zeit verfügbar war. Egal ob Tonscherben, Wachstafeln, Murmeln oder sogar Papyrus. Denn nur durch Hilfsmittel wie auch heute den Stimmzettel ist es möglich, geheim die Stimme abgeben zu können.
Mit dem Aufkommen der Telegrafie Mitte des 19. Jahrhunderts nahm die Diskussion, diese auch für Wahlen einzusetzen, ihren Lauf. Große Erfinder wie Thomas A. Edison oder Werner von Siemens schlugen vor, in den Parlamenten der USA und Deutschlands Elektrizität zur Erfassung der Stimmabgabe einzusetzen.
Man sieht: Zu jeder Zeit wird diskutiert, die aktuelle Technologie auch für die Demokratie einzusetzen. Seit den ersten Vorschlägen vor 160 Jahren hat sich die elektronische Wahl, oft auch E-Voting genannt, in einigen Ländern durchgesetzt. Dabei besonders in denen, die viele Wahlzettel auszuzählen haben - eben in den Vereinigten Staaten, in Brasilien oder in Indien.
Zugegebenermaßen wissen wir nicht zuletzt seit den Ereignissen in Florida im Jahr 2000, dass dies nicht ganz ohne Probleme vonstattengehen muss. Aber für blinde Personen und ältere Menschen mit Sehschwierigkeiten sind die elektronischen Wahlgeräte ein großer Segen - das Vergrößern der kleinen Schrift oder das Vorlesen der Stimmzettel erlaubt vielen die Stimmabgabe ohne die Hilfe von Dritten oder gar
unter Verwendung von Wahlschablonen.
In Estland ist man vom E-Voting sogar ganz überzeugt, und das, obwohl das Land von der Größe der Schweiz oder der Niederlande nur 1,3 Millionen Einwohner hat. So hat bei der Wahl zum Europäischen Parlament diesen Mai fast jeder Zweite (47 Prozent!) seine Stimme im Internet abgegeben. Sie können dabei sogar ihre Stimme im Wahlzeitraum beliebig oft abgeben - denn nur die letzte abgegebene Stimme zählt. Damit lässt sich geschickt das Problem des Stimmenkaufs oder Wahlzwang verringern. Empirische Untersuchungen der Universität Tartu haben gezeigt, dass Wählerinnen und Wähler, die weiter als 30 Minuten von einer Wahlkabine entfernt wohnen, eher ihre Stimme im Internet abgeben als in das weit entfernte Wahllokal zu fahren. Und wer einmal eine Internetwählerin oder ein Internetwähler geworden ist, der will diese neue Wahlform nicht mehr missen und wählt laut der Statistik fortan nur noch elektronisch. Das kommt natürlich auch den rund 200.000 Esten in London, New York, Los Angeles, Sydney oder Wien entgegen. Sie können so einfach an der Wahl zu Hause teilnehmen ohne auf den langen Postweg setzen zu müssen. Und um auf Nummer sicher zu gehen, kann man mit einer speziellen App am Handy bis zu 30 Minuten nach der Stimmabgabe überprüfen, ob die Stimme auch korrekt in der Wahlurne gespeichert wurde.
Und durch die hohe Zahl der Internetwähler kostet die elektronische Stimme auch nur rund die Hälfte einer Stimme im klassischen Wahllokal!
Dazu braucht man nur den elektronischen Personalausweis, der über einen Sicherheitschip mit persönlicher digitaler Signatur verfügt, und ein Kartenlesegerät, das man in Tallinn im Supermarkt kaufen kann, und schon kann man wählen. Wenngleich anfangs nicht jeder davon überzeugt war (bei der ersten Internetwahl 2005 wurden nur zwei Prozent der Stimmen elektronisch abgegeben), so war der Siegeszug nicht mehr aufzuhalten. Heute ist die Internetwahl vom täglichen Leben in Estland nicht wegzudenken. Die Esten sind stolz darauf, das erste Land der Welt gewesen zu sein, wo man ohne Einschränkungen bei jeder öffentlichen Wahl über das Internet wählen kann.
Elektronisches Wählen macht also Sinn, wenn man entweder eine große Zahl von Stimmen (mehr als 100 Millionen) schnell auszählen will, sehbehinderten Wählern die eigenständige Wahl ermöglichen oder weit entfernt lebenden Bürgern - sei es in ländlichen Gebieten oder im Ausland - die Wahl schnell und ohne den teils langsamen Postweg ermöglichen will. Und dabei ist es auch noch ein gutes Stück billiger.

Contra "Unterwanderung demokratischer Wahlen." Peter Purgathofer, Technische Universität Wien
Kann der gezielte Einsatz sicherer Technologien - schließlich verwalten wir fast unser ganzes Geld inzwischen über solche Systeme - das Wählen nicht schneller, bequemer und vor allem pannenfreier machen? Kurzantwort: Nein. Viele InformatikerInnen sind sich im Grunde einig darüber, dass Wählen mittels Computer - oder gar über das Internet - eine ganz schlechte Idee ist.
Dafür gibt es viele Gründe, die alle auf dasselbe hinauslaufen: Elektronische Wahlen unterwandern die Prinzipien freier, demokratischer Wahlen. Zwei wesentliche Gründe möchte ich im Folgenden kurz ausführen.
Sowohl der deutsche als auch der österreichische Verfassungsgerichtshof haben im Zusammenhang mit E-Voting bereits Erkenntnisse getroffen: Wahlverfahren müssen so konstruiert und implementiert sein, dass auch StaatsbürgerInnen ohne besondere technische und wissenschaftliche Kenntnisse in der Lage sind, zu verstehen, warum diese Verfahren die Prinzipien einer geheimen, persönlichen, anonymen und fälschungssicheren Wahl zweifelsfrei verwirklichen.
Das ist bei technisch vermittelten Wahlverfahren nicht der Fall. Die Wahlkommission, die für die ordnungsgemäße Durchführung einer Wahl verantwortlich ist, kann das nicht einmal dann verifizieren, wenn sie aus entsprechenden ExpertInnen zusammengesetzt ist. Zu intransparent ist Code, der auf Computern läuft.
Da muss darauf vertraut werden, dass die eingesetzten Systeme frei von Fremd- und Schadsoftware sind, eine Annahme, die InformatikerInnen zu spontanen Heiterkeitsausbrüchen verleiten kann. Insbesondere im Fall von Internet-Voting ist das aber eine unbedingt notwendige Voraussetzung, da Spyware, Keylogger und andere Schädlinge im System direkt dazu genutzt werden können, das Wahlverhalten aller infizierter Computer aufzudecken. Habe ich erwähnt, dass bis zu 50 Prozent aller Computer als infiziert gelten?
Aber auch zur Überprüfung der Behauptung, die Wahlserver wären unkompromittiert, braucht es mehr, als eine Wahlkommission zu leisten imstande ist. Damit kommen wir auch gleich zum zweiten Problem: Die Wahlkommission steht auch dafür gerade, dass die Stimmabgabe tatsächlich anonym erfolgen kann.
Papierwahlen haben eine wesentliche Eigenschaft: Das Instrument der Wahlzelle sorgt für die einfache und für jede/n nachvollziehbare Trennung von Identität und Stimme. Diese Trennung erfolgt unauflöslich, wenn der Stimmzettel in das Kuvert gesteckt wird. Mit dem Einwurf in die Wahlurne wird aus meinem Stimmzettel eine abgegebene Stimme, die meiner Person nicht wieder zugeordnet werden kann.
Bei der Briefwahl vertrauen wir, dass die Mitglieder einer eigenen Kommission einander gegenseitig dabei beobachten, wie Stimmkuvert und Wahlkarte getrennt werden. Jede/r kann nachvollziehen, dass diese Trennung nicht rückgängig gemacht werden kann.
Für technisch vermittelte Wahlen muss das anders ablaufen. Hier muss ich beim Wählen einem technischen System, egal ob auf meinem Computer eine Software läuft oder im Wahllokal ein Gerät steht, meine Wahlberechtigung nachweisen, bevor ich die Stimme abgeben kann. Diese Berechtigung, die mit meiner Identität eindeutig verbunden sein muss, wird gespeichert, um mehrfache Stimmabgabe zu verhindern.
Die unvermeidbare Intransparenz dieses Vorgangs ist verantwortlich dafür, dass wir dem technischen System blind vertrauen müssen: Wir können nicht nachvollziehen, ob diese beiden Informationen nicht gemeinsam gespeichert werden. Dieses Vertrauen muss auch die Wahlkommission aufbringen. Sie kann damit die anonyme Stimmabgabe nicht garantieren.
Als Paradebeispiel für gelungenes E-Voting wird immer wieder Estland angeführt. Es ist nicht an uns, die korrekte Abwicklung der Wahl dort in Frage zu stellen; der österreichische VfGH würde diese Wahl aber mit Sicherheit aufheben angesichts der alarmierenden Schwachstellen, die eine Untersuchung zu Tage gebracht hat (estoniaevoting.org). In aller Kürze: Die ExpertInnen haben Estland in der Studie empfohlen, vom E-Voting wieder abzugehen.
Angesichts dieser Schieflage empfehle ich dringend, E-Voting einfach nicht zu machen.