Damit der Mensch in einer Welt voller Bakterien, Viren, Pilze und Parasiten überleben kann, ist er mit einem Abwehrsystem ausgestattet, das mit diesen Bedrohungen zurechtkommt. Zum Immunsystem zählen eine Vielzahl weißer Blutkörperchen und Eiweißmoleküle, Organe wie Knochenmark, Thymus, Milz und Lymphknoten, aber auch äußere und innere Barrieren wie die Haut und Schleimhäute. Es wehrt nicht nur Außeneinflüsse ab, sondern beseitigt auch fehlerhafte Zellen – wie z.B. Krebszellen – des eigenen Körpers. "Die Zellen des Immunsystems kann man sich als mobiles Organ vorstellen, das ständig aktiv ist. Immunzellen lassen sich nicht auf einen Platz im Körper festmachen, sondern sind und wirken überall", sagt Wilfried Ellmeier vom Zentrum für Pathophysiologie, Infektiologie und Immunologie der MedUni Wien. Die Immunologie beschäftigt sich mit den Abwehrmechanismen des Körpers und zählt zu den Forschungsschwerpunkten der MedUni Wien, die in diesem Bereich zu den weltweit führenden Einrichtungen zählt.

So wertvoll und wichtig unser Immunsystem ist, in manchen Situationen kann es nötig sein, es einzubremsen. Dies ist der Fall, wenn es auf an sich harmlose Kontakte überreagiert, etwa bei allergischen Erkrankungen. Bis zu 30 Prozent der Bevölkerung leiden an Allergien. Zwischen drei und sieben Prozent haben eine Autoimmunerkrankung, wo sich das Immunsystem unerwünscht gegen den eigenen Körper wendet und die Wirkungsmechanismen, die normalerweise Erreger bekämpfen, selbst Krankheitssymptome mitverantworten.
In der Covid-19-Krise rückte außerdem der zelleigene Recyclingprozess, die Autophagie, in den Mittelpunkt. Sie ist der Mechanismus, den Zellen nutzen, um beschädigtes Material und Abfallprodukte abzubauen und zu verwerten. Dabei werden auch Viren beseitigt. Wissenschaftler der Universitätsklinik Bonn und der Berliner Charité, darunter der mittlerweile prominente Virologe Christian Drosten, haben herausgefunden, dass der Covid-19-Erreger den Zellreinigungsprozess bremst, um sich ungestört vermehren zu können. Die Forscher erprobten unterschiedliche Mittel, um die Autophagie von mit Covid-19 infizierten Zellen wieder in Schwung zu bringen. Die Substanz Spermidin reduzierte die Vermehrungsrate des Coronavirus im Laborexperiment um 85 Prozent. Sie kommt in Nahrungsmitteln wie Weizenkeimen oder Sojabohnen vor, wird allerdings auch als Nahrungsergänzungsmittel angeboten. Die kürzlich abgeschlossene Studie stellt vorläufige Ergebnisse dar, die noch nicht von anderen Wissenschaftern geprüft worden sind. Dennoch stellt sich angesichts solcher Erkenntnisse eine Frage, die viele Menschen beschäftigt: Wie können wir unser Immunsystem stärken?
Ein gesunder Lebensstil mit Bewegung, regelmäßigem Schlaf und ausgewogener Ernährung gilt als Schlüssel dazu, weil sich die Immunzellen im Bedarfsfall sprunghaft vermehren und dafür gut mit Nährstoffen, Vitaminen und Spurenelementen versorgt sein müssen. "Grundsätzlich muss das Immunsystem nicht trainiert werden. Wenn keine Stoffwechselerkrankung vorliegt und die Ernährung nicht bewusst eingeschränkt wird, wie etwa bei Veganismus, liefert eine abwechslungsreiche Ernährung alles, was das Immunsystem benötigt, in völlig ausreichenden Mengen", sagt Immunologe Ellmeier. Auch wenn es seines Wissens keine wissenschaftlichen Studien gibt, die positive Wirkungen von Hausmitteln wie etwa Wechselbäder auf den Schutz vor Infektionskrankheiten belegen, trage alles, was einem ein gutes körperliches Gefühl und Wohlbefinden gebe, zu einem ausgeglichenen Lebensstil bei.
Viele Menschen scheinen jedenfalls besonders von klassischen "Fitmachern" überzeugt zu sein: Ende März stieg der Preis für Orangensaft innerhalb von fünf Tagen um fast 20 Prozent an. Ein Grund dafür war laut Marktbeobachtern unter anderem eine gestiegene Nachfrage aufgrund der positiven Wirkung des Vitamin-C-haltigen Fruchtsafts auf das Immunsystem. Eine derartige Kursentwicklung sei "nicht selten während Grippeepidemien, da die Verbraucher nach gesünderen Getränken verlangen", sagte etwa ein Analyst der Rabobank der Nachrichtenagentur AFP.
Ein weiterer bedeutender Faktor für ein gut funktionierendes Immunsystem lebt darüber hinaus auf und in unseren Körpern: "Wir sind nicht allein. Unser Immunsystem schützt uns nicht nur vor einer Vielzahl von Keimen und Erregern, sondern funktioniert auch im Zusammenspiel mit dem sogenannten Mikrobiom aus Bakterien, Viren und Pilzen, das unter anderem im Darm vorhanden ist", erklärt Ellmeier. Jüngst haben Forscher herausgefunden, dass die mikroskopisch kleine Wohngemeinschaft in unserem Körper unter anderem dazu beiträgt, dass unser angeborenes Immunsystem über Botenstoffe Alarm schlägt und Teile der erworbenen Abwehr vorhanden sind. Würde das Mikrobiom fehlen, wären die körperlichen Schutzmaßnahmen gehemmt. Gegenwärtig wird sehr intensiv beforscht, ob und wie sich Veränderungen in der Zusammensetzung des Mikrobioms auf die Entstehung immunologischer Erkrankungen und Fehlreaktionen auswirken.
"Das Immunsystem ist eine äußerst delikate Balance im Zusammenspiel vieler Zellen, um unseren Körper zu schützen", sagt Ellmeier. Daher lohne sich intensive Grundlagenforschung über das Immunsystem. Denn nur ein tiefgreifendes Verständnis kann schließlich dazu führen, das komplexe und stabile Schutzschild unseres Körpers in besonderen Fällen durch therapeutische Maßnahmen noch zu verbessern."