"Waschen ist gefährlich. Durch die Poren dringen Krankheitserreger ein. Von Ganzkörperbädern ist daher dringend abzuraten!" So oder ähnlich mag der Rat eines Arztes bis vor etwa 150 Jahren geklungen haben. Man wusch sich nicht, man hatte Angst vor dem Wasser – und gegen den Gestank gab es ja Parfüm. 

- © Judit Fortelnys
© Judit Fortelnys

Bloß nicht baden! 
Vom französischen König Ludwig XIII. wird überliefert, dass er mit sieben Jahren sein erstes Bad genommen hat. Sein Hofarzt führte ein Tagebuch über die damals weit verbreiteten Reinigungsrituale seines Schützlings. Schmutz wurde abgekratzt statt abgewaschen, Puder und Öle verklebten die Haut, Fäkalien und Abfälle landeten auf den Straßen. 

Flöhe, Läuse, Pest und Cholera, hohe Säuglingssterblichkeit und unzählige Tote waren die Folge. All das klingt heute wie ein Albtraum. Und doch hat sich weniger zum Guten verändert, als man annehmen möchte. Eine Wende in der Hygienegeschichte, die ausgerechnet im kaiserlichen Wien stattfand, zeigt, wie schwierig Hygienegewohnheiten zu ändern sind. 

Der Semmelweis-Effekt
Es war in Wien, in den 1840er-Jahren, als der ungarische Arzt Ignaz Semmelweis herausfand, dass es einen Zusammenhang gab zwischen dem Kindbettfieber, an dem damals unzählige Frauen verstarben, und dem Mangel an hygienischen Vorkehrungen bei der Ärzteschaft. Auf der Geburtenstation, auf der Hebammen die Geburten betreuten, verstarben weniger Frauen als auf jener, wo Ärzte tätig waren, beobachtete Semmelweis. Seine Kollegen eilten von Leichensektionen direkt zu Geburten, wobei sie sich dazwischen nicht reinigten. 

Semmelweis bewies: Wurden Instrumente, Kleidung und Hände gereinigt, sank die Müttersterblichkeit erheblich. Hat man ihn für diese Erkenntnis als Helden der modernen Hygiene gefeiert? Mitnichten, Semmelweis wurde angefeindet. Die Ärzte wollten nicht akzeptieren, dass sie selbst es waren, die, statt Leben zu retten, Verderben brachten. "Semmelweis-Effekt" nennt man es bis heute, wenn eine evidenzbasierte Erkenntnis auf Ignoranz trifft. 

Hygiene ist göttlich 
Die Griechen der Antike machten aus der Hygiene eine Göttin: Hygiea, Tochter des Asklepios, des Gottes der Medizin. Sie war zuständig für Festigung und Erhalt der Gesundheit sowie das Verhüten von Krankheiten. Seither wird die arme Göttin allerdings gerne ignoriert. Nur mit religiösen Geboten und Ritualen war den Menschen ein Minimum an Reinlichkeit beizubringen, und das taten alle großen Weltreligionen. Fatalerweise stand insbesondere im Christentum lange der reine Geist geradezu im Gegensatz zum sauberen Körper – mit fatalen Folgen für die Gesundheit. Womit wir wieder bei Dreck und Ignoranz wären.  

Kleine Tiere, große Wirkung
Im Gegensatz zu früheren Jahrhunderten wissen wir mittlerweile von Mikroorganismen, von Bakterien und Viren, von Tröpfchen- und Schmierinfektionen. Wir sehen Mikroben unter dem Mikroskop, kennen sogar das Aussehen des Coronavirus und wissen, dass es keine Seife verträgt. Wir haben in jedem Haus Seife, fließendes Wasser, derzeit womöglich gar Desinfektionsmittel. Und "vergessen" doch, Hände zu waschen.  

Hände richtig waschen
Aber wie wäscht man die Hände nun richtig? Ist Seife ausreichend oder braucht man Desinfektionsmittel? Wie lange soll man sie waschen und wie oft am Tag? Muss man dazu zwecks Mindestdauer Lieder singen? Mit Handtuch, luftgetrocknet oder trockengeschüttelt – was ist angemessen? Im Internet explodieren gerade die Zugriffszahlen rund um diese wichtigen Fragen. Dabei ist das Prozedere bestens bekannt. 

Man nehme fließendes Wasser und Seife, reibe die Hände gut ein – Daumen, Fingerzwischenräume und Fingerspitzen nicht vergessen! Dann noch Handrücken und -gelenke mitreinigen. Nach 30 Sekunden ist der lebensrettende Vorgang erledigt. Mehrmals täglich durchgeführt, vor allem nach Aufenthalten außerhalb der eigenen vier Wände, nach dem Toilettengang und vor dem Essen – schon ist das Leben weniger gefährlich. Klingt einfach, ist es aber offenbar nicht. Dabei gibt es Seife nicht erst seit gestern. 

Wundermittel Seife
4500 Jahre alt ist das bislang älteste entdeckte Rezept für Seife. Es stammt von den Sumerern und wurde in Keilschrift verewigt. Man kochte die Seife aus Pottasche und Ölen und erfreute sich an ihrer Eigenschaft die Oberflächenspannung zu verringern und so das Anhaften von Schmutz zu verhindern. Seife tötet die meisten Keime übrigens nicht ab, sie löst aber die Struktur von Viren auf und macht sie damit inaktiv. Zusammen mit Bakterien werden sie dann von der Haut gespült.

Im Laufe der Jahrtausende wurde das Seifenrezept noch verfeinert, insbesondere Parfüm gab der Seife den Geruch nach Luxus. Womit wir wieder bei Parfüm statt Seife wären. Das war jedoch bekanntlich ein Irrweg. Heute gibt es Seife jedenfalls in allen Formen: flüssig oder fest, als Pulver oder Gel oder gar Tabs, zum Wäschewaschen, Geschirrspülen, Bodenreinigen. Es gibt eigene Seifen fürs Gesicht, für die Haare, den Körper. Seifen sind pH-neutral, rückfettend, biologisch oder mit Anti-Aging-Ingredienzen ausgestattet. Der Durchschnittseuropäer gibt Unmengen an Geld für Seife aus. Und benützt sie dann möglichst wenig.

Kein schmutziger Witz
Jedenfalls beweist dies eine WIN/Gallup-Studie, die alljährlich in über 60 Ländern der Welt mehr als 1000 Menschen pro Land befragte. Das Resultat ist niederschmetternd: Auch im 21. Jahrhundert wäscht sich nur jeder Dritte rund um den Globus nach dem WC-Besuch die Hände mit Wasser und Seife. 35 Prozent der Weltbevölkerung sind entschuldigt, sie haben kein fließendes Wasser oder gar Seife. Der Rest hingegen ignoriert die wissenschaftlich belegten Segnungen der Göttin Hygiene allerdings schlicht.

Die meisten Händewasch-Verweigerer finden sich der Studie zufolge übrigens in China und Japan, die wenigsten in Saudi-Arabien. Zusammenhänge zwischen Corona-Infektionszahlen und Händewasch-Gewohnheiten versuchen Wissenschaftler derzeit noch herzustellen. In Europa zählen die Griechen zu den fleißigsten Händewäschern, während die Holländer die geringste Notwendigkeit für saubere Hände sehen. Österreich liegt im Mittelfeld. Es gibt somit Verbesserungspotenzial, denn immerhin jeder Dritte hat es hierzulande nicht so mit Seife und Wasser nach dem WC-Besuch. 

Überlebensstrategie
All das mag wie ein schmutziger Witz klingen, und doch ist es – nicht erst seit Corona – todernst. 440 Millionen Schultage gehen weltweit alljährlich aufgrund von Hygienemängeln verloren, konstatierten die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und das Kinderhilfswerk UNICEF bereits vor etwa zehn Jahren. 650.000 Menschenleben könnten jedes Jahr allein durch den Einsatz von Seife gerettet werden.  

Diese Zahlen werden heuer wohl noch übertroffen, obwohl man über das Coronavirus sicher weiß, dass es keine Seife verträgt. Händewaschen wäre somit das Gebot der Stunde und bleibt bislang die einzige wissenschaftlich belegte Vorbeugungsmaßnahme – auch wenn Atemschutzmasken derzeit in allen Gesichtern haften, sind sie kein Ausweg. 

Problematisch beim Maskentragen ist nämlich, dass die Menschen dann öfter mit den Händen ins Gesicht greifen, um die Masken zu richten. Womit die Tröpfchen- oder Schmierinfektion erst recht wieder verteilt wird. Kommt dann noch das vernachlässigte Händewaschen hinzu, wird die Maske zur Hygiene-Sackgasse. Eine Alternative wäre  ein Plexiglas-Gesichtsschutz, auch dieser funktioniert allerdings nur in Verbindung mit kontinuierlichem Händewaschen. 

Angesichts sinkender Ansteckungszahlen vermerkte das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung allerdings bereits mit Anfang Mai 2020 eine erneut sinkende Moral in Sachen Seife: Menschen tragen lieber Masken, statt Hände zu waschen, so das Resümee.  Die einzige Konstante in der Geschichte der Hygiene und des Händewaschens bleibt somit die menschliche Ignoranz. 

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