Text & Videos: Eva Zelechowski
Fotos: Philipp Hutter
Bildbearbeitung, Gestaltung & Produktion: Cornelia Hasil

Peng! Mehr ist es nicht.

Die Sonne blitzt auf das 30 Zentimeter lange Bolzenschussgerät, das Christoph Wiesner in der Hand hält. An einem alten Baumstumpf vor seinem Haus im niederösterreichischen Wischathal demonstriert der Biobauer, wie er seine Mangalitza-Schweine bei der Hausschlachtung betäubt.

Er betätigt einen Knopf am Gerät und ein Bolzen knallt heraus, dem Tier später zwischen die Augen.

Bitterkalt ist der Tag, die Sonne wärmt kaum. In einer Autokolonne fahren wir auf das Feld der 17 Hektar großen Bio-Landwirtschaft der Wiesners, wo einige Dutzend der 150 Mangalitza-Schweine grasen.

Mindestens 18 Monate lang können sie ihre Schnauzen genüsslich im Feldschlamm vergraben, sich im angrenzenden Wald den borstigen Wanst kratzen, bis sie auf die laut Wiesner vernünftigste Weise geschlachtet werden.

Ein eisiger Wind weht über das Feld. Grunzend und schmatzend traben die Mangalitza-Schweine herbei, dem Geruch von gekochten Erdäpfeln folgend, die der Bauer ausstreut.

Wir sind heute hier, um ein Schwein zu schlachten. Welches, wissen wir noch nicht. Unwissend tummelt es sich unter seinen Artgenossen.

Ein Tag wie jeder andere

„Du musst vorsichtig sein. Du suchst dir ein Schwein aus und schaust, dass du deine Mitte findest“, erklärt Wiesner fast meditativ, Bolzen in der Hand und Messer am Hosenbund.

Jetzt darf niemand ein Wort sprechen, es soll ein Tag wie jeder andere für die Tiere sein. Hauptsache stressfrei, lautet die Philosophie.

Ruhig nähern sich Christoph und Isabell Wiesner den Tieren. Nach wenigen Schritten schwingt der Bauer einen Eisenkäfig über zwei Tiere, die sich gierig über das Futter hermachen.

Ein blondes und ein schwalbenbäuchiges, wie die schwarzen Mangalitza-Schweine im Fachjargon genannt werden. Das Schwarze ist gleich tot.

Der Bauer setzt das Bolzenschussgerät an die Stirn des Schweines an und drückt ab. Der Bolzen schießt heraus und trifft mit voller Wucht das Hirn. Sofort sackt es im Käfig zusammen. Dann greift Wiesner zum Messer und stößt es dem Tier durch die Halsschlagader.

Seine Frau steht bereits mit einer Metallschüssel parat. Sie hält sie unter den Hals des toten Schweins.

Das warme Blut schießt in die Schüssel, ein paar Tropfen rinnen über die dunklen Borsten. Damit es nicht stockt, rührt sie es rasch um bis sich ein scharlachroter Schaum bildet.

Währenddessen pumpt Christoph Wiesner auf dem Schwein kniend mit den Vorderläufen die letzten Tropfen aus dem Tier. Schweigend streicht er dem Tier über den Körper, es wirkt, als bedanke er sich für sein Fleisch.

Nachdem er es in den Kofferraum gehievt hat, schlabbern die anderen Schweine gierig grunzend das Blut vom frostigen Feldboden.

Seit 1999 lebt der ehemalige Bauingenieur als Selbstversorger mit Ehefrau Isabell und den drei Kindern auf dem Hof „Arche De Wiskentale“ und hat sich hier auf artgerechte Zucht und Nutzung alter, gefährdeter Hoftierrassen und den Anbau von Kulturpflanzen spezialisiert.

Dazu gehört das Mangalitza-Schwein, ein Fettschwein und eine alte ungarische Rasse, die seit einigen Jahrzehnten eine Renaissance erlebt. „Es ist eine Kreislaufwirtschaft, wir versuchen alles selbst herzustellen. Auch das Futter für die Tiere“, erzählt Isabell Wiesner den Teilnehmern des Schlachtungs-Workshops.

Mit Ausnahme der Erdäpfel, denn pro Woche benötigen sie drei Tonnen. Im Großeinkauf beträgt der Kostenpunkt pro Tonne 30 Euro.

In den Schlacht-Kursen, die die Wiesners hierzulande, in ganz Europa, Kanada oder den USA anbieten, wollen sie Interessierten die Techniken vermitteln - von Schlachtung über Zerlegung des Tieres samt vollständiger Verarbeitung zu Wurst und Speck.

Wer einmal beim Schlachten dabei war, bekommt einen anderen Blick auf seinen Fleischkonsum. Für die Teilnehmer der Workshops ist bewusste Ernährung aber ohnehin kein Fremdwort.

Die meisten möchten mehr über das Schlachten erfahren und genau sehen, wie es abläuft. In Blutspritz-Reichweite, nicht aus dem Fernsehen.

Wissen, woher das Fleisch kommt

Die häufigste Motivation: Wenn man Fleisch isst, sollte man wissen, woher es kommt. Wobei im seltensten Fall das tägliche Schnitzel von einem Bio-Hof wie diesem kommt, das wissen alle.

Heute haben sich einige Journalisten, Jungpolitiker, Marketing-Unternehmer und IT-Angestellte eingefunden. Vorwiegend ist es die Fraktion Mittelschicht, bürgerlich oder alternativ, einige liebäugeln selbst mit dem Selbstversorgerdasein.

Für Christoph Wiesner, der sich das Fleischerhandwerk fast selbst beigebracht hat, ist die Hausschlachtung der einzige Weg, um gesunde Produkte herzustellen.

Bei konventionellen Fleischprodukten könne man bei einem Blick auf die Lebensmittelcodes sehen, dass Temperatur, Salz- und Nitritgehalt zu hoch seien. Die hohe Zufuhr sei jedoch als Sicherheitsmaßnahme erforderlich, um einen für den Menschen gesundheitlich unbedenklichen Verzehr zu gewährleisten.

Wer aber auf richtige Haltung, Schlachtalter, Protein- und Fettverhältnis achte und unnötige Wasser- und Blutzufuhr beim Fleisch vermeide, bekomme ein gesundes Tier.

Dann seien statt acht Prozent Nitriten nur drei notwendig, doch die hohe Dosis brauche man in der Massentierhaltung für schlecht gefütterte Tiere, die unter Stress geschlachtet wurden.

Paradoxes Bio-System

„Was dem unmündigen Konsumenten aufgezwungen wird, damit er sein Fleisch einigermaßen sicher essen kann, kann man sich mit ein bisschen Know-how ersparen“, sagt Wiesner.

Dazu gehört das Adrenalin, das den Tieren vor der Tötung durch den Körper schießt. Nicht mal eine Schrecksekunde haben hingegen Wiesners Mangalitza-Schweine.

Obwohl die Wiesners ihre Tiere auf dem gesamten Hof ausschließlich mit Bio-Futter versorgen und sämtliche Bio-Auflagen erfüllen, wurde ihnen das Bio-Gütesiegel in Österreich entzogen. Zumindest für die Mangalitza-Schweine, denn bei deren weitläufigem Auslauf könne nicht 100-prozentig ausgeschlossen werden, dass sich eines der Schweine hin und wieder ein Waldtierchen einverleibt. Ein Parade-Beispiel für strenge Bio-Auflagen hierzulande. Und paradox, denn mehr Bio als auf diesem Hof geht eigentlich kaum.

Zurück auf dem Hof geht es ans „fette“ Eingemachte. Im Stall markiert ein Hahn akustisch sein Revier mit einem Krähen und die zottelige Puli-Hündin bellt aufgeregt, ihre schwarzen Fell-Dreadlocks wirbeln durch die Luft.

Das Schwein liegt jetzt mit aufgeschnittener Kehle vor einer Art Enthaarungsmaschine samt Trog, der mit 70 Grad heißem Wasser gefüllt wird.

Nachdem Isabell Wiesner die Maschine einschaltet, wird das Schwein hineingehievt und unter lautem Rattern wie auf einer ungemütlichen Massagepritsche durchgebeutelt.

Nach wenigen Minuten lässt sich das lockige Borstenfell mit der Hand abziehen. Darunter ist das Mangalitza-Schwein rosa wie ein ordinäres Hausschwein.

Das dampfende Tier wird an seinen Hinterläufen auf dem Traktor befestigt, damit Wiesner es in zwei Hälften schneiden kann, dabei anschaulich Organ für Organ herausschneiden und den Versammelten die Beschaffenheit des gesunden Schweins erklären kann.

„Auf die Seele des Schweins!“, hat der Bauer den Workshop-Teilnehmern mit Birnenschnaps zugeprostet, bevor es auf das Feld ging. Eine rumänische Tradition, die die Wiesners übernommen haben.

Jetzt, nur eine halbe Stunde später, hängt das Schwein haar-, klauen- und seelenlos mit gespreizten Hinterbeinen im sonnigen Hof und wartet auf seine Zerlegung. Noch ist kein Blut zu sehen.

Wenig Cholesterin

Aber lange dauert es nicht mehr. Christoph Wiesner schnappt sich Messer, Beil und Säge, stellt sich vor das Schwein und klopft auf die fettige, noch warme Haut.

Er packt den Ringelschwanz mit der einen Hand, mit der anderen schneidet er sanft die zehn Zentimeter dicke Fettschicht an. Spätestens jetzt lässt sich erkennen, wieso es sich beim Mangalitza um ein Fettschwein handelt. Sein Fleisch ist reich an wertvollen ungesättigten Fettsäuren und weist einen relativ geringen Cholesteringehalt auf.

Ein sauberer Schnitt zwischen den Zitzen abwärts und nach der Reihe kommen die Eingeweide an die Oberfläche. Blase, Gebärmutter, Niere, Magen und Milz.

Das Netz, das die Organe zusammenhält, spannt er mit seinen blutigen Fingern vor uns auf. Das Messer zwischen den Zähnen fixierend greift Wiesner mit beiden Händen im hohlen Körper nach der Leber.

Ein letztes Aufstöhnen

Es blubbert und gluckst aus dem ausgeweideten Tier: Ein letztes Aufstöhnen. Darm und Magen hängen uns jetzt entgegen.

Die Sache ist weniger blutig als erwartet. Nur aus dem Rüssel tropft es und sammelt sich geräuschvoll zu einer Lacke. Platsch, platsch, während das tote Tier langsam vor uns hin und her schwingt.

Die Laune zwischen den Workshop-Teilnehmern ist beschwingt. Niemand ist der Ohnmacht nahe oder hält sich angeekelt die Hand vors Gesicht. Bis jetzt.

Wiesner schneidet ein Stück der rost-braunen Leber an und steckt es lächelnd in den Mund. Das Blut wischt er sich von den Fingern.

Die Sau tut mir leid. Doch sie lebte glücklich und hat nicht gelitten, beruhige ich mein Gewissen immer wieder.

Verantwortungsvolle Zucht

Die Nervosität, die ich als schlachtungsjungfräuliches Stadtkind vor der Tötung empfand, ist einer großen Portion Respekt gewichen. Für das Tier und seine Züchter, die sich einer verantwortungsvollen Haltung und Fütterung von Tieren verschworen haben.

So richtig mulmig wird mir, als die Säge ins Spiel kommt. Nachdem das Schwein seiner wertvollen Organe entnommen wurde, wird es in zwei Hälften gesägt. Jeder darf ran, und wundert sich über den Kraftakt.

„Da spart man sich das Fitnesscenter“, lacht ein Teilnehmer, bevor er den Moment mit der halbierten Sau lächelnd in einem Selfie verewigt.

Nach wenigen Minuten blicken wir von oben hinein in den blutroten Querschnitt eines Schweinekörpers. Der entzweite Kiefer grinst einem wie eine Horrormaske entgegen, im noch nicht durchsägten Rüssel sammelt sich glänzendes Blut.

Das winzige Schweinehirn hält Wiesner in seiner großen Handfläche in die Runde. Das landet später, wie alle anderen Teile des Tieres auch, in der Pfanne, im Topf oder im Fleischwolf.

Als Blutwurst, Grammeln, Speck und Schmalz. Oder Crema di Lardo, für den der Mangalitza-Rückenspeck mehrere Monate gereift, danach faschiert und mit diversen Gewürzen versehen wird.

In der Blunzn mag Isabell – als Kärntnerin, wie sie sagt - kein Brot, sondern nimmt stattdessen Buchweizen. „I hau an Hadn eine, für den nussigen Geschmack.“

Ein Kilo Fett am Tag

Den Kohlenhydraten hat Christoph Wiesner selbst komplett abgeschworen und nimmt pro Tag schätzungsweise ein Kilo Fett zu sich. In verschiedenster Form; Vom Gröstl bis zum Schmalz.

Für einen Mann seiner Größe (etwa 1.90 Meter) und seiner täglichen körperlichen Tätigkeit klingt diese Menge gar nicht so unglaubwürdig. Alzheimerzunahme geht seiner Meinung nach mit der Abnahme der Menge an tierischen Fetten einher.

Während Fett noch vor 15 Jahren einen Problemfaktor in der Ernährung darstellte, stellen Bauern heute ihre Schweine nur noch in den Stall. Damit sie an Fett zulegen.

Wiesner bevorzugt natürliche Bewegung, die Tiere sollen auf ihrem Feld und in ihrem Wald frei herumlaufen.

Nach mehreren frostigen und sehr blutigen Stunden auf dem Bauernhof komme ich ins Grübeln. Über glückliche Mangalitza-Schweine, unglückliche Mastschweine und stelle mir Fragen über den letzten Billig-Hotdog, den ich unachtsam verspeist habe.

Bis ich wieder Fleisch essen kann, werden etwa zwei Wochen vergehen.

Wesentlich relevanter aber: Zu sehen, wie ein Tier starb, veranlasst mich dazu, darauf zu achten, wie es lebte.