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Eine Handvoll Fragen

Von Walter Hämmerle

Analysen

Mitterlehner ist Vergangenheit, wie es mit der ÖVP weiter geht, wird Sebastian Kurz zu beantworten haben.


Wien. Als es schließlich geschehen war, herrschte Betrübnis und Bedauern. Das Drehbuch hätte ja einen anderen Verlauf der Ereignisse vorgesehen; falls es überhaupt eines gegeben haben sollte. Denn das ist auch klar: In der Politik entwickeln alle ihre Strategien, nur hält sich die Wirklichkeit nie daran.

Wolfgang Schüssel ging als haushoher Favorit in die Wahlen 2006 und kam als Verlierer heraus. Wilhelm Molterer sollte dessen Erbe weiterführen, das Debakel bei den vorgezogenen Neuwahlen machte ihm jedoch einen Strich durch die Rechnung. Nun sollte Josef Pröll die ÖVP ins 21. Jahrhundert führen, nur fühlten sich weite Teile der Volkspartei im zu Ende gehenden 20. Jahrhundert ganz wohl. Zur allgemeinen Überraschung - und wohl auch zu seiner eigenen - war dann im April 2011 Michael Spindelegger an der Reihe. Sein Ansinnen, die ÖVP zu entfesseln, gab er entnervt von internen Querschüssen im August 2014 schon wieder auf. Mit Reinhold Mitterlehner sollte dann alles ganz anders werden. Wurde es nur nicht. Am Mittwoch, keine drei Jahre nach seinem Amtsantritt, sagte "Django"‚ habt‘s mich gern‘. Sinngemäß jedenfalls.

Dass eine solche Kette an fortgesetzter Selbstbeschädigung nicht allein mit der Qualität der reihum scheiternden Obleute, sondern womöglich schon auch mit der Struktur der Volkspartei zu tun hat, schrieb ein erlöst wirkender Mitterlehner seiner Partei beim Abschied ins Stammbuch.

Die große Frage lautet nun: Was jetzt, ÖVP?

Bei der Suche nach einer Antwort wenden sich alle Augen auf Sebastian Kurz, das "Ass im Ärmel der Volkspartei", wie es der steirische Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer einmal formulierte.

Kurz hat allerdings nicht das Zeug zum Opferlamm auf dem Altar der Partei. Er weiß, dass die ihn dringender braucht als er sie. Und er wird sich eine Übernahme der Obmannschaft mit einem innerparteilichen Durchgriffsrecht abkaufen lassen. Dass Länder und Bünde weitermachen wie bisher, wird er mit allen Mitteln zu verhindern versuchen.

Dazu passt, dass Kurz erst am Montagabend intern, und dann am Dienstag öffentlich klargestellt hat, dass er derzeit kein Interesse an der Übernahme der Parteiführung habe. Die Betonung lag auf dem Wörtchen "derzeit".

Anzunehmen ist zudem, dass Kurz genau diese Situation - ein Obmann, der hinwirft, kein Wahltermin in Sicht, und er selbst der einzige Kandidat weit und breit - eigentlich vermeiden wollte: Jetzt steckt er genau in diesem Salat.

ÖVP-Kenner sind überzeugt, dass der populäre Außenminister keine Lust hat, auch nur einen einzigen Tag als Vizekanzler unter einem Bundeskanzler Christian Kern zu dienen. Das klingt glaubwürdig.

Somit ergeben sich, nachdem die SPÖ erneut betont, keine Neuwahlen anzustreben, zwei Optionen: Entweder die ÖVP findet eine Übergangslösung für Obmann und Vizekanzler, um die Zeit bis zum regulären Wahltermin im Herbst 2018 zu überbrücken; damit würde sie Kurz vor den mit der Führungsübernahme unvermeidbar einhergehenden politischen Verschleißerscheinungen schützen. Oder aber der Entschluss fällt für schnelle Neuwahlen unmittelbar nach dem Sommer (vorher geht sich aufgrund des Fristenlaufs nicht mehr aus). An einer Mehrheit im Nationalrat würde dies kaum scheitern, selbst wenn die SPÖ nicht mitgehen sollte. Sowohl FPÖ wie Neos signalisieren dafür grünes Licht.

Welche Option am Ende kommt, ist im Moment wohl völlig offen. Möglich, dass sich nicht einmal Kurz selbst sicher ist, was er denn nun wollen soll.

Der 30-jährige Außenminister, der mit gerade 24 Jahren zum Integrationsstaatssekretär aufstieg, gilt in bürgerlichen Kreisen weit über das engere ÖVP-Potenzial hinaus als politisches Ausnahmetalent. Mit seinen Umfragewerten (die so gut sein sollen, dass sie von der eigenen Partei unter Verschluss gehalten werden) geriet er aber zusehends ins Visier der Konkurrenz. Sozialdemokraten, Grünen und der FPÖ gilt er längst als undurchsichtige graue Eminenz, die im Hintergrund die Fäden zieht. Wobei die Entwicklung der Ereignisse in den letzten 24 Stunden wohl auch Kurz überrollt haben dürfte. Ein Plan zur Kanzlerschaft schaut anders aus.

Gesetzt den Fall, Kurz und die ÖVP - und genau in dieser Reihenfolge - entscheiden sich gegen Neuwahlen und wollen auch das einzige "Ass im Ärmel" nicht vor der Zeit einsetzen: Wie könnte dann eine mögliche Übergangskonstellation aussehen?

Als Vizekanzler wäre Finanzminister Hans Jörg Schelling eine Möglichkeit. Kaum anzunehmen, dass die SPÖ gegen den 63-jährigen Wirtschaftsbündler Grundsätzlicheres einzuwenden hätte. Zudem würde er wirtschafts- und finanzpolitische Kompetenz einbringen. Der ÖVP droht hier nach dem Abgang Mitterlehners ein auch für die Wahlen gefährliches Vakuum. Offen ist nur, ob Schelling auch wollen würde.

Eine theoretische Alternative für den Vizekanzler-Posten ist Innenminister Wolfgang Sobotka. Der hat zwar die niederösterreichische ÖVP im Rücken, allerdings soeben erst auch den Kanzler als Versager abgestempelt. Abgesehen davon, dass die SPÖ hier ein Veto einlegen dürfte, könnte der stets streitlustige Sobotka auch die eine oder andere Kante zuviel aufweisen, um als Sympathieträger durchzugehen. Ob Staatssekretär Harald Mahrer, der Chancen hat, das Wirtschafts- und Wissenschaftsministerium Mitterlehners zu übernehmen, auch gleich den Vizekanzler übertragen bekommt, ist eher schwer vorstellbar.

Fehlt ein Übergangsobmann an der Parteispitze. Der Steirer Schützenhöfer (65), der in Wien als Kandidat für diese Rolle genannt wurde, ließ überdeutlich dementieren: "Kein Wort wahr." Salzburgs Wilfried Haslauer 61) hat im Frühjahr Landtagswahlen zu schlagen, die Oberösterreicher stellen sich gerade selbst neu auf, was auch für Niederösterreich und Johanna Mikl-Leitner gilt, die im Übrigen selbst im Wahlkampf steckt. Womöglich bleibt dann sogar Sobotka als letzte Option übrig, als ÖAAB-Bundeschef hätte er zumindest zahlenmäßig die größte Funktionskohorte hinter sich.

Die ÖVP - und mit ihr und dank ihr die gesamte Innenpolitik - bietet derzeit mehr Fragen als Antworten.