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"Breivik wollte berühmt werden"

Von Alexander U. Mathé

Europaarchiv

Attentäter kannte nur Schwarz-Weiß. | Narzisstischer als Franz Fuchs.


"Wiener Zeitung":Der norwegische Attentäter hat über Jahre hinweg seine Tat geplant, war aber gleichzeitig stets verhaltensunauffällig. Kann man da noch von einer psychischen Störung sprechen? War er verrückt?

Jens Hoffmann: Das kann sein, das muss aber nicht sein. In der Vergangenheit haben hoch psychisch kranke Attentäter gezeigt, dass sie in der Lage sind, eine längere Planung über Wochen und Monate hinweg vorzunehmen. Beispielsweise, wenn sie einen leichten Wahn haben. Das kommt vereinzelt vor.

Hat Anders Behring Breivik einen Wahn, durch was ist ein Wahn überhaupt gekennzeichnet?

Ob er einen Wahn hat oder nicht, lässt sich nicht so einfach beantworten. Der bekannteste Wahn ist der Verfolgungswahn. Da glaubt einer etwa, dass der Nachbar sich mit anderen gegen ihn verschworen hat, oder, dass es irgendwelche Kräfte in der Regierung gibt, die etwas Bestimmtes anstreben. Wahnhafte Personen sind fest von ihren Ideen überzeugt, obwohl es in der Wirklichkeit keine festen Anhaltspunkte dafür gibt.

Ist Breivik ein Psychopath?

Psychopathen zeichnen sich von ihrer Charakterstruktur durch Kaltblütigkeit aus. Sie bauen keine enge Bindung zu anderen Personen auf und sie sind hoch manipulativ. Wenn man Breiviks Muster sieht, wie er diese Jugendlichen über einen langen Zeitraum exekutiert hat, könnte man vermuten, dass er ein Psychopath ist. Das muss aber nicht zwangsläufig so sein. Der Täter ist in einem Zustand des Jagdmodus der Gewalt, den wir alle haben. Wir können unsere Emotionen abschalten und töten. Das haben unsere Vorfahren benötigt, um gewissermaßen durch die Jagd ihre Nahrung zu erhalten.

War für die Tat das politische Umfeld ausschlaggebend?

Das glaube ich nicht. Man kann häufig beobachten, dass Täter Ideologien für sich benutzen, beispielsweise, um berühmt zu werden. Das, was Breivik da geschrieben hat, war ja recht krude zusammengeschustert. Das sehen wir auch bei islamistischen Terroristen, dass sie eine Ideologie nutzen, um eine Tat zu rechtfertigen, eine Grundlage zu schaffen, die sie weltberühmt macht. Das scheint mir auch das Kernmotiv des Täters in Norwegen zu sein.

Der Antrieb für seine Tat war Berühmtheit zu erlangen?

Ja.

Ein Mann legt eine Bombe und fährt dann seelenruhig auf eine Insel um dort 100 Menschen zu töten. Ist da nicht noch mehr im Spiel? Wie tickt so ein Mensch?

Er hat schon auch einen Hass, den er projiziert; etwa auf eine politische Kaste. Er hat das Schwarz-Weiß-Denken, das diese Täter häufig haben. Das ist ein sehr rigides Denken: Da gibt es nur entweder gut oder böse. Es geht auch um das Gefühl von Macht und Kontrolle. Das beziehen die Täter schon durch die Planung oder die Vorbereitung, in diesem Fall etwa durch die Besorgung von Sprengstoff. Dieses Gefühl wirkt dann verstärkend. In seinem Manifest steht ja auch, dass man umso berühmter wird, je mehr Menschen man umbringt, oder, dass die Idee umso größer wird. Er hat auf den Unabomber Bezug genommen, einen amerikanischen Täter vor ihm. Dieser Hinweis zeigt, dass er berühmt werden wollte und seinen "Vorgänger" noch übertrumpfen wollte. Das kann ein Moment bei der Auswahl von zwei Tatorten gewesen sein, denn der Bombenanschlag an sich war ja schon außergewöhnlich. Ein weiterer könnte gewesen sein, dass er mehr Leid verursacht, indem er, wenn es ihm nicht gelingt, die Politiker selbst umzubringen, sagt: "Dafür bringen wir von Eurer Gruppe die Nachfolger und die Kinder um." Er trifft die Menschen also dort, wo sie am empfindlichsten sind, bei ihrem Nachwuchs. Auch das geschah, um mehr Eindruck zu hinterlassen. Eine negative Identität kann eine sehr wirkungsvolle sein und für jemanden wie ihn besser, als niemand zu sein.

Er hat sich hingesetzt und dieses 1500 Seiten lange Manifest geschrieben. Hat er das nur geschrieben, um berühmt zu werden, oder spiegelt das seine politische Überzeugung wider?

Das spiegelt schon seine politische Überzeugung wider. Solche Leute sagen nicht bewusst: "Ich werde rechtsradikal, um das zu machen." Es gibt aber schon eine innere Notwendigkeit, dass sie eine politisch radikale Position erreichen. Das haben wir ja auch in den Schriftsätzen von Franz Fuchs gesehen. Sie mögen daran, dass man Leute entwerten und entmenschlichen kann, was es nachher einfacher macht, sie umzubringen. Sie mögen dieses Radikale. Das zieht sie an und da ist dann am Ende egal oder austauschbar, ob das linksradikal oder rechtsradikal ist.

Sind Fuchs und Breivik vom Typus her vergleichbar?

Fuchs war mehr ein Einzelgänger und er hatte nicht diese ins Narzisstische gehende Grandiosität. Aber dieses Verfassen von Manifesten gibt, beziehungsweise gab, beiden ein Gefühl von Überlegenheit: Sie erklären die Welt. Breivik hat sein Manifest erst kurz vor der Tat verschickt, sodass keine Zeit mehr da war, um sein Vorhaben zu erkennen und gegenzusteuern. Das zeigt, dass er sich schon in der Vorbereitung ausgemalt hat, wie das alles gelingen wird, wie alle sich darauf stürzen werden, wie sie jede seiner Zeilen ausdeuten werden. Er hat ja auch detailliert seine Vorbereitungen geschildert. Diese Inszenierung von Überlegenheit ist sicher stärker ausgeprägt als bei Franz Fuchs.

Man hört auch von der Möglichkeit einer tiefen Kränkung. Könnte das ein zusätzlicher Impuls gewesen sein?

Das ist möglich, dass es bei ihm in der Biografie eine Kränkung gab, ein Erlebnis mit einem Ausländer vielleicht, oder jemandem, der dem links-liberalen Spektrum angehört. Es ist denkbar, dass das für ihn ein Startpunkt war.

Hätte man bei diesem Menschen, der sich seit Jahren auf diese Tat vorbereitet hat, an irgendeinem Punkt erkennen können, was er vorhat?

Das lässt sich in diesem Fall und mit den vorliegenden Informationen nicht sagen. Aber es ist oft so, dass solche Täter Warnsignale setzen. In seinem Fall wäre das, wenn die Firma, die ihm das Düngemittel verkauft hat, die Behörden informiert hätte, oder dass er im Internet auffällig war. Aber jede einzelne dieser Informationen ist für sich nicht beunruhigend. Die Frage ist, ob es dann eine Stelle gibt, die genauer hinschaut und versucht, das Ganze stärker zu analysieren. In Wien gibt es da beispielsweise diese Bedrohungsmanagementstelle bei der Polizei, die diese Prävention für Schulen und bei Stalking-Fällen macht und auch für Behörden wie beispielsweise Gerichte. Die spielen in Europa eine Vorreiterrolle.

Beim Durchlesen des Manifests fällt auf, dass er seine Forderungen " Nationalismus statt Multikulti" und "Christentum statt Islam" in einem Atemzug nennt mit "Patriarchat statt Matriarchat". Er beklagt auch, dass Kinder oftmals nicht mehr wie früher von beiden Elternteilen aufgezogen werden. Breivik ist ja als Scheidungskind bei seiner Mutter aufgewachsen. Könnte hier eine weitere Ursache für seine Störung zu suchen sein?

Das kann ich mir gut vorstellen. Es kann sein, dass da der Hass herkommt. Ich habe auch gelesen, dass er ein ambivalentes Verhältnis zu seinem Stiefvater hatte. Er hat ja auch noch bei seiner Mutter gelebt, wie man hört, scheint also sein Privatleben nicht richtig emanzipiert zu haben. Solche Faktoren können sicherlich eine Rolle spielen.

Dr. Jens Hoffmann ist Leiter des Instituts Psychologie und Bedrohungsmanagement in Darmstadt. Europol hat ihn 2002 in die Experten-Datenbank für europäische Polizeikräfte aufgenommen.