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Jugend ohne Job

Von Michael Schmölzer

Europaarchiv

Ein fixer Job bleibt für viele Utopie.|Hass auf die Politik wächst.


Wien/Madrid/Athen. In Europa tickt eine Zeitbombe, die jederzeit hochgehen kann. Seit dem Ausbruch der Wirtschaftskrise 2008 ist die Jugendarbeitslosigkeit dramatisch gestiegen, Millionen junger Menschen suchen mit wachsender Verzweiflung einen Job - ihre Aussichten sind schlecht. Die Internationale Arbeitsorganisation ILO hat errechnet, dass die Arbeitslosenquote bei den 15- bis 24-Jährigen zwischen 2008 und 2011 um 26,5 Prozent gestiegen ist. Die Statistiken sprechen davon, dass mehr als 50 Prozent der Jugendlichen in Spanien und Griechenland erfolglos auf der Suche nach Arbeit sind. Diese Zahlen werden von manchen Soziologen als übertrieben kritisiert, auch Studenten und Schüler würden einbezogen. Andere kontern, dass viele Jugendliche nur wegen der verheerenden Aussichten auf dem Arbeitsmarkt im Bildungssystem wären. In den USA etwa sind die Bewerbungen für einen Studienplatz seit Ausbruch der Wirtschaftskrise 2008 um 20 Prozent gestiegen.

Selbst konservative Berechnungen gehen davon aus, dass in Spanien und Griechenland jeder dritte Jugendliche keinen Job findet. Die Arbeitslosenrate bei den 16- bis 24-Jährigen hat sich dort fast verdreifacht. Die Rede ist von einer "Verlorenen Generation"; von Millionen Jugendlichen ohne Illusionen, die die Hoffnung, Arbeit zu finden, aufgegeben haben. Den Beteuerungen der Politiker, die rasche Abhilfe versprechen, glauben sie längst nicht mehr.

Was Jobs brächte, wäre eine Erholung der Wirtschaft, doch die ist für lange Jahre nicht in Sicht. "Ich wache auf", teilt ein 18-jähriger Arbeitsloser aus dem englischen Leeds via Internet-Plattform Youtube mit, "und bin bereits mies drauf." "Ich will in die Arbeit gehen, ich kann auch 13 Stunden schuften, wenn es sein muss. Wenn ich meine Bankomatkarte einschiebe und auf ,Kontostand‘ drücke, dann will ich verdammt noch mal mein selbst verdientes Geld sehen." "Die sagen, ich bin überqualifiziert", beklagt sich ein anderer Jugendlicher im breiten nordenglischen Slang, "wie kann das sein?", flucht er. "Die vom Arbeitsamt haben mich doch extra in die Schulungen geschickt."

Keine Hoffnung

Die junge Generation sei "die am besten ausgebildete und gleichzeitig die mit den wenigsten Hoffnungen", schreibt der Spanier Ignacio Escolar, ehemaliger Herausgeber der Zeitung "Publico" und einer der populärsten Blogger des Landes. Die immer wieder erfolglose Jobsuche erzeuge bei vielen jungen Menschen ein Gefühl von "sozialer Ausgrenzung, Nutzlosigkeit und Nichtstun", formuliert es die UNO in ihrem neuesten Bericht. Zahlreiche Studien belegen, dass Arbeitslosigkeit bei Jugendlichen besonders gravierende Auswirkungen hat. Sie rutschen überdurchschnittlich oft in die Kriminalität ab, an erster Stelle stehen Eigentumsdelikte, wie Autodiebstahl. Dazu kommt Alkohol- und Drogenmissbrauch. Spaniens Jugend ist nicht zufällig auch in diesem Bereich europaweit auf Platz Nummer eins. Jugendliche, die in Familien aufwachsen, in den Arbeitslosigkeit die Norm ist, haben ganz schlechte Karten. Sie brauchen einen eigenen Betreuer, der sich über längere Zeit mit dem Problem auseinandersetzt und dem Jugendlichen die Kultur der Arbeit von der Pike auf beibringt. Derartige Sozialarbeiter-Programme gibt es vor allem in Deutschland, in dem meisten anderen europäischen Ländern fehlt dafür längst das Geld.

Die, die keine Anstellung finden, versuchen im informellen Sektor mit Gelegenheitsjobs über die Runden zu kommen. In der spanischen Krisenregion Valencia schlagen sich Jugendliche mit Tätigkeiten durch, die früher Migranten ohne Arbeitserlaubnis vorbehalten waren: Sie verkaufen Bierdosen an Partygäste, Kostenpunkt ein Euro; andere jobben an der Ausschank, wieder andere verkaufen selbst gemalte Bilder als Postkarten im Internet. Jugendliche, denen der reguläre Arbeitsmarkt weggebrochen ist, müssen kreative Auswege finden. In Griechenland entgehen Zehntausende der Misere, indem sie aus den Städten abwandern und aufs Land ziehen - um dort, wie einst die Urahnen, das Feld zu bestellen. Es gibt von der Regierung in Athen unterstütze Programme, die den Landerwerb unterstützen. Für die symbolische Miete von 50 Euro im Jahr pro Hektar kann man Äcker mieten. Viele junge Griechen verlassen Athen oder Saloniki und kehren zu ihren Eltern zurück, denn das spart zumindest die teuere Miete. Am Land oder auf einer der zahlreichen Inseln sind die Lebenshaltungskosten billiger; viele Griechen sind außerdem zur Subsistenzwirtschaft zurückgekehrt. Sie bauen im Garten wieder ihr eigenes Gemüse an.

Billig-Jobs als Falle

Jugendliche in prekären Beschäftigungsverhältnissen leben unter Bedingungen, die nicht ihren Erwartungen entsprechen, sie nehmen Jobs ohne Aufstiegschancen an, die Perspektive auf reguläre Arbeit oder ausreichende Bezahlung fehlt. Eine Übergangszeit, in der Arbeit, Studium und Reisen ineinandergreifen, gilt für Studenten und Jungakademiker zwar als normal. Immer öfter wird der Nebenjob aber zur gehassten Dauerlösung. Wer lange keine Arbeit gefunden hat, ist immer versucht, irgendeinen Job anzunehmen. Oft unterstützt die Politik - wie zuletzt in Spanien - die Schaffung von Billiglohn-Bereichen, wo Verträge befristet und Aufstiegschancen gering sind. Kündigungsschutz gibt es dort nicht. Die Annahme eines solchen Jobs stellt sich für den Betroffenen als Sackgasse heraus, wie das Beispiel Japan lehrt. Dort wurden vor mehr als zehn Jahren Billig-Jobs in großer Menge geschaffen, um vor allem gut ausgebildeten Arbeitslosen eine Perspektive zu bieten. Kaum war die Wirtschaftskrise bewältigt, griffen die Firmen auf "frische" Universitätsabsolventen zurück. Die, die die schwierige Zeit in provisorischen Jobs aussitzen wollten, wurden einfach übergangen.

Viele junge Spanier und Griechen denken ans Auswandern. In Griechenland will mehr als jeder zweite Absolvent eines technischen Studiengangs sein Land verlassen. Vor allem in Deutschland sind die Chancen derzeit gut, 500.000 Facharbeiter fehlen. Zielland Nummer eins für die meisten Griechen ist aber Australien oder die USA.

Angesichts der frustrierenden Situation stellen sich Politik und Wissenschaft die Frage, wie lange Europas Jugend noch stillhält. Sit-ins und Demonstrationen gehören in spanischen Städten bereits zum Alltag, noch verlaufen die Proteste im Regelfall ruhig. Aber der "Arabische Frühling", die blutigen Aufstände in Tunesien, Ägypten und Libyen, haben gezeigt, wie schnell die Lage eskalieren kann. "Die Jugend hasst die Politik und die Politiker", meint eine junge Demonstrantin, Unterstützerin der "Indignados-Bewegung", die im Juli in Madrid gegen das Sparprogramm der Regierung auf die Straße gegangen ist. "Die Etablierten haben sich den Wohlstand auf direktem Weg geholt, ohne auf Grundwerte und Moral und uns zu achten", sagt sie. "Dagegen wehren wir uns."