Zum Hauptinhalt springen

Kampf um den Fisch

Von Christina Mondolfo

Artenschutz

Sie sind im wahrsten Sinne des Wortes die Wiege des Lebens: Aus den Ozeanen heraus entwickelten sich die Lebensformen, die unseren Planeten bewohnen, und sie sind eine scheinbar unerschöpfliche Nahrungsquelle für die Menschen. Doch diese droht nun zu versiegen.


-
© © Natalie Fobes/Science Faction/Corbis

Als im Juli 2012 die Welternährungsorganisation FAO (Food and Agriculture Organisation) ihren Bericht zum Zustand der Weltmeere veröffentlichte, schrieb dieser leider die seit Jahren bekannte Situation in den meisten Fanggebieten fort: 88 Prozent der weltweiten Fischbestände sind überfischt. An dieser Situation hat auch die Europäische Union (EU) einen erheblichen Anteil: Als Anfang der 1980er Jahre unter anderem die Kabeljau-Bestände zusammenbrachen, suchten die großen Fangflotten ihre Beute außerhalb der EU-Gewässer, etwa vor der Küste Westafrikas oder im Pazifik. Da die nationalen Wirtschaftszonen damals bereits jedoch auf 200 Seemeilen ausgedehnt worden waren, schloss die EU mit einigen westafrikanischen Staaten Verträge über Fangrechte ab. Was dazu führte, dass auch diese ehemals äußerst fischreichen Gewässer heute nahezu leergefischt sind. Die Leidtragenden sind die kleinen einheimischen Fischer, deren Fangmethoden nachhaltig und schonend waren und sind. Die großen Trawler-Flotten, die mit riesigen Summen von der EU subventioniert werden, kümmern sich dagegen weder um die Meeresökologie noch um Nachhaltigkeit: Mit riesigen Netzen wird alles aus dem Meer gezogen, was sich darin verfangen hat – was nicht unter die Fanglizenz fällt oder nicht verwertbar ist, wird einfach über Bord geworfen. "Dieser sogenannte Beifang ist jedoch schon tot oder zumindest schwer verletzt und so werden jährlich Millionen Tonnen Fisch verschwendet und andere Arten massiv in deren Existenz bedroht", bedauert Antje Helms, studierte Meeresbiologin und Meeresexpertin bei Greenpeace, im Gespräch mit dem "Wiener Journal".

Dabei gibt es einen wissenschaftlichen Beirat, den ICES (International Council for the Exploration of the Sea), der aufgrund seiner Studien und Untersuchungen Empfehlungen bezüglich der Fischbestände abgibt. Doch an die haben sich bislang weder die EU-Kommission noch die Fischerei- beziehungsweise Agrarminister gehalten, standen doch die Interessen der Fischereiindustrie stets im Vordergrund: "Die Fangquoten wurden und werden leider nicht an die kleinen Fischer vergeben, sondern an die Flotten. Und die EU-Flotte ist um das Dreifache zu groß, um nachhaltig Fischfang zu betreiben", weiß Helms.

Die stetig steigende Nachfrage nach Fisch und die übermäßige Exploration der Bestände – der weltweite Wildfang stagniert laut FAO bei 90 Millionen Tonnen pro Jahr – hat nun auch die EU zum Umdenken bewogen. "Die jüngste Reform der Gemeinsamen EU-Fischereipolitik ist ein guter Anfang, wenn auch nur ein Kompromiss", erklärt Helms. "Die EU will sich künftig an die Empfehlungen der Wissenschaft und deren Vorgaben halten. Der Fang wird in den Häfen kontrolliert, zuständig sind eigene Inspektoren, die von den Hafenbehörden gestellt werden. In Sachen Beifang und Rückwurf sind wir allerdings nicht ganz zufrieden, wir konnten leider kein komplettes Verbot des Rückwurfes durchsetzen. Immerhin wird es Beobachter an Bord der großen Fischtrawler geben und es muss der gesamte Fang angelandet, das heißt in den Hafen gebracht werden. Außerdem soll die Fangquotenvergabe transparenter und sollen mehr Lizenzen an kleine Fischer mit Booten unter zwölf Metern Länge vergeben werden." Hehre Ziele, deren Umsetzung in Anbetracht von rund 1200 unter EU-Flagge fahrenden Industrieschiffen wohl nicht einfach werden wird …

Ökologische Kettenreaktion

Der übermäßige Fang von besonders begehrten Fischen wie Thunfisch, Barsch, Dorsch oder Alaska-Seelachs hat jedoch nicht nur verheerende Auswirkungen auf deren Bestände selbst, sondern löst eine ökologische Kettenreaktion aus. Denn der Rückgang einer Art kann zur Folge haben, dass sich deren Beutetiere übermäßig vermehren. Die üben dann wieder erhöhten Druck auf ihre eigenen Beutetiere aus. Das kann bis hinunter zum Zooplankton reichen, das das Phytoplankton in Schach hält, das wiederum Photosynthese betreibt und dadurch einen Großteil des atmosphärischen Sauerstoffs produziert. Landet jedoch zu wenig Phytoplankton in der Nahrungskette, bieten die abgestorbenen Kleinstlebewesen Bakterien, die dem Wasser Sauerstoff entziehen, einen idealen Nährboden. Doch auch der umgekehrte Ablauf ist mittlerweile traurige Tatsache: Besonders kleinere Fische wie Sardinen, Makrelen oder Heringe werden vermehrt für die Fütterung fleischfressender Fische in Aquakulturen wie Lachs, Barsch oder Dorsch gefangen und fehlen somit in der Nahrungskette für Fische, Meeressäuger und Seevögel.

Aquakulturen als Alternative?

Heute liegt die Fisch- und Meeresfrüchteproduktion in Aquakulturen bei knapp 64 Millionen Tonnen pro Jahr. Begonnen wurde sie in großem Umfang Anfang der 1980er Jahre, neben Schrimps war Lachs eine der ersten Arten, die gezüchtet wurden. Doch so positiv Aquakulturen auf den ersten Blick scheinen mögen, so viele Nachteile haben sie, weiß Antje Helms: "Im Grunde ist es nichts anderes als Massentierhaltung. Raubfische wie Lachse, die täglich große Strecken zurücklegen, werden auf engstem Raum zusammengepfercht – artgerecht ist das also nicht. Außerdem breiten sich Krankheiten durch den engen Besatz viel leichter und schneller aus. Die werden mit Antibiotika behandelt, die wiederum über den Fisch nicht nur auf unserem Teller landen, sondern durch die Ausscheidungen der Fische auch im Meer. Und das hält das Ökosystem auf Dauer nicht aus. Ein besonders schlechtes Beispiel ist die Garnelenzucht im Mekong-Delta, dafür wurden seit 1975 mehr als 70 Prozent der Mangrovenwälder gerodet, wodurch andere Arten bedroht oder komplett verschwunden sind. Und mit der Nachhaltigkeit ist das auch so eine Sache, wenn man bedenkt, dass man für ein Kilogramm Lachs 1,5 Kilogramm Futterfische, meist in Form von Fischmehl, benötigt. Noch schlimmer ist es bei Thunfisch, da braucht man 20 Kilogramm Futter für ein Kilogramm Thunfisch."

Fischzucht hat Tradition

In Österreich findet Fischzucht unter anderen Bedingungen statt, hier hat Aquakultur eine lange Tradition. Der Schwerpunkt liegt bei Karpfen und  Forelle, rund 3300 Tonnen dieser Fische werden jährlich produziert. Daneben werden aber auch Hecht, Saibling, Wels, Rotauge und Schleie gezüchtet. Ein besonderes Experiment hat Peter Brauchl vor etwa 20 Jahren gestartet: Er holte den Arktischen Saibling, einen Lachsfisch aus dem nördlichen Eismeer, nach Österreich, um ihn unter der Trademark "Alpenlachs" zu vermarkten. Er gilt heute als Delikatesse und wird gut nachgefragt.

"Als verantwortungsvoller Konsument sollte man nicht nur weniger und bewusster Fisch essen, sondern auch zu heimischen, biologisch und nachhaltig gezüchteten Fischarten greifen. Fisch ist ein Lebensmittel mit hohem Wert, das viel zu billig zu kaufen ist", bedauert Helms. Zum MSC-Siegel, dem Siegel des Marine Stewardship Council, das Fische aus nachhaltigem Fang kennzeichnet, haben Helms und Greenpeace ein gespaltenes Verhältnis: "Grundsätzlich ist es ja eine gute Sache, doch die Kriterien zur Vergabe sind uns nicht streng genug. Dieses blaue Siegel erhält eine Fischerei bereits, wenn 80 Prozent der geforderten Kriterien zur Nachhaltigkeit erfüllt sind, doch Nachhaltigkeit muss immer 100 Prozent sein!"

Als Beispiel nennt die Expertin den Hoki: "Das ist ein sehr wertvoller Tiefseefisch, der massiv überfischt war und sich nur sehr langsam erholt, so wie auch der Granatbarsch, der Leng oder der St. Petersfisch. Diese Arten werden mit Grundschleppnetzen gefangen, die kilometerweit über den Meeresboden geschleift werden und dabei unter anderem die Kaltwasserkorallen komplett zerstören. Vom Beifang will ich gar nicht reden... Doch genau dieser Hoki trägt das MSC-Siegel und ist in den heimischen Supermarktregalen erhältlich – das passt einfach nicht zusammen."

Abgesehen von der strengen Auslegung und Einhaltung der Nachhaltigkeitskriterien plädiert Helms für die Einrichtung von Meeresschutzgebieten: "40 Prozent aller Ozeane sollten geschützt werden, um Jungfischen ein gefahrloses Aufwachsen zu ermöglichen. Die restlichen 60 Prozent sollten nachhaltiger Fischerei zur Verfügung stehen. Nur so kann garantiert werden, dass es in Zukunft gesunde Fischbestände in den Weltmeeren gibt." Bleibt zu hoffen, dass das auch die wichtigen Entscheidungsträger so sehen …

Nachlesen

Yann Arthus-Bertrand ist wohl der erfolgreichste Luftbildfotograf der Welt und außerdem ein äußerst engagierter Umweltschützer. Gemeinsam mit dem Unterwasserfotografen Brian Skerry porträtiert er in seinem jüngsten Werk in über 200 Fotografien die Weltmeere und ihre Bewohner. Engagierte Beiträge von Journalisten, Wissenschaftern und Umweltaktivisten weisen auf die großen Probleme von Überfischung, Artensterben und Verschmutzung der Meere hin und bieten Lösungswege an. So wird die Zerbrechlichkeit des Ökosystems Ozean erst deutlich durch das Nebeneinander von Ansichten graziler orangenfarbener Seefedern und dem überfüllten Strand der Copacabana oder von Siedlungen der Kuna-Indios auf den winzigen Inseln vor Panama und verrosteten Getränkedosen auf dem Meeresgrund. Dieses Buch dokumentiert die Faszination und Bedeutung der Meere für uns Menschen, zeigt aber zugleich auch die Notwendigkeit auf, zu handeln, um diesen Lebensraum, der die Grundlage für unser Leben ist, in Zukunft zu bewahren.

Yann Arthus-Bertrand & Brian Skerry: "Der Mensch und die Weltmeere", Knesebeck Verlag, 41,10 Euro

<*saveTag:0*>

Print-Artikel erschienen am 12. Juli 2013 in: "Wiener Zeitung", Beilage "Wiener Journal"

Fangquote: Unter Fangquote versteht man eine festgesetzte Menge an Fischen oder anderen Meerestieren, die in einem bestimmten Gebiet während eines festgesetzten Zeitraumes gefangen werden darf.
Festgelegt wird sie von der EU-Kommission respektive den Agrar- oder Fischereiministern der einzelnen Länder und sollte auf der Empfehlung des ICES, des International Council for the Exploration of the Sea, beruhen. Dessen wissenschaftliche Arbeit wurde bislang jedoch kaum berücksichtigt, die Fangquoten lagen stets weit über den Empfehlungen.
Kontrolliert werden die Fangquoten freiwillig per Kamera, per Logbuch oder mit Hilfe von Überwachungssystemen, über die größere Fischtrawler verfügen. In den Häfen wurden bis dato jedoch keine oder nur ganz wenige Kontrollen gemacht.