Wien. Dass junge Frauen, ja eine ganze Gesellschaft sich aktuell so versöhnlich zeigen in Sachen Gleichstellung, wundert Lisz Hirn nicht nur am Frauentag. "Es ist wieder schick, konservativ zu sein", meint die Philosophin. Ein Gespräch über Orchideenfrauen und Biedermänner, den Gewinn von gemeinsamem Machtverlust und gleichberechtigte Elternschaft.
"Wiener Zeitung": Frauen haben sich nur an der formalen Oberfläche emanzipiert, lautet Ihre These. Wie ist das zu verstehen?
Lisz Hirn: "Emanzipation ist gelungen und Frauen sind völlig gleichgestellt": Dieses Urteil haben wir als Gesellschaft zu früh gefällt. Eine gewisse Zahl an privilegierten Frauen mit höherer Ausbildung hat profitiert. Aber etwa für Frauen aus schwächeren sozialen Verhältnissen hat sich durch die rechtliche Gleichstellung wenig geändert.
Eine kleine Gruppe emanzipiert sich also auf Kosten einer größeren?
In gewisser Hinsicht. Doch das wäre zu kurz gegriffen. Mich interessiert, warum es diese Quotenfrauen gibt, die als Symbol für alle genommen werden. Für mich sind das Orchideenfrauen. Selbst konservative Regierungen brüsten sich mit ihnen. Aber es sind privilegierte Frauen, die diese Wege gehen können - unter patriarchalen Bedingungen. Die deutsche Bundeskanzlerin Merkel hat deutlich gesagt: Mit Kindern wäre ihr Weg nicht möglich gewesen.
Also schaden Quoten mehr?
Nein. Aber Frauen, die so tun, als hätten sie es ohne Quote geschafft. Frauen, die ohne Solidarität und vielleicht ohne Kinder an die Spitze gekommen sind, haben ja nicht unbedingt ein Interesse daran, Frauen mit Kindern zu fördern. Sie haben vieles aufgegeben für ihren Weg. Es wäre emotional grausam, das zu fordern.
Ist die Diskriminierung also an Mutterschaft geknüpft?
Sie trifft alle Frauen. Die einen, weil sie keine Kinder kriegen, die anderen, weil sie welche haben. Eine funktionierende Demokratie sollte auf Schwächere Rücksicht nehmen. Mutterschaft an sich ist natürlich keine Schwäche. Aber eine Frau, die Mutter wird, schwächt sich sozial. Sie kümmert sich um jemanden und muss daher gewisse Dinge vorübergehend zurückstellen. Das ist eine notwendige Schwäche, schließlich braucht eine Gesellschaft Kinder. Was Mütter hier leisten, fair auszugleichen, um sie vor Abhängigkeiten und Altersarmut zu schützen, sollte selbstverständlich sein.
Sie fordern dazu das Ethos gleichberechtigter Elternschaft - wie lässt sich dies herstellen?
Das ist weniger eine Frage individueller Emanzipation als Ergebnis politischer und ökonomischer Maßnahmen. Auch die gleichberechtigten Partnerschaften sind nach der Geburt des ersten Kindes plötzlich gar nicht mehr so gleichberechtigt. Aus finanziellen Gründen, aber auch, weil es bequem ist, sich nicht um ein kleines Kind kümmern zu müssen - was in unserer Gesellschaft ein sehr niedrig bewerteter Job ist. Und einer, den wir Frauen eher zutrauen - das erfahren alle Kindergartenpädagogen in Form von Vorurteilen.