Zum Hauptinhalt springen

Hochqualifiziert, aber unterbezahlt

Von Alexandra Prinz

Gastkommentare

Freiberufliche Diplompflegekräfte bekommen Stundensätze, für die kein Handwerker arbeiten würde.


Man hat sich daran gewöhnt, dass die Hilfskräfte der Ärzte in den Spitälern Pflegekräfte sind. Jahrzehntelang war dies so, doch nun werden Pflegekräfte seit 2008 an Fachhochschulen ausgebildet, damit wächst auch das Selbstbewusstsein über die eigenen Fähigkeiten in der Pflege. Schon seit der Novellierung des Gesundheits- und Krankenpflegegesetzes 1997 wurden den Pflegekräften deutlich mehr Kompetenzen zugestanden, als diese im sklerotisierten stationären und mobilen Bereich letztendlich ausüben durften. Nur langsam setzt sich die Erkenntnis durch, dass diplomierte Pflegekräfte längst alle jene Kompetenzen übernehmen dürfen, die unlängst gerade noch Turnusärzte ausgeübt haben. Diese wiederum wittern Morgenluft und gehen wegen besserer Arbeitsbedingungen und Verdienstmöglichkeiten nach Deutschland, in die Schweiz oder nach Skandinavien.

In Österreich zeichnet sich hingegen nicht nur ein Engpass bei Ärzten, sondern vor allem bei diplomierten Pflegekräften ab. Zwar glaubte bereits die Vorgängerregierung, genügend Personal aus dem Osten lukrieren zu können, weil ein österreichisches Gehalt in der Pflege für Slowaken, Rumänen und Ungarn immer noch erstrebenswert sei. Für die Qualität in der Pflege und die langfristigen Herausforderungen im Pflegebereich sind jedoch zu viele Zuwandererarbeitskräfte laut der internationalen Empfehlungen des International Council of Nurses nicht von Vorteil. Überhaupt sind nationale Regierungen aufgerufen, eine nachhaltige Entwicklung bezüglich ausreichend inländischem Personal sicherzustellen, um Qualität und Professionalität langfristig zu gewährleisten.

Pflege unter dem Durchschnitt

Der OECD-Bericht 2017 stellt Österreich bezüglich der Ärztedichte ein außergewöhnlich gutes Zeugnis aus. So liegt Österreich mit 5,1 Ärzten pro 1000 Einwohner an zweiter Stelle hinter Griechenland (6,3), weit über dem Durchschnitt (3,4). Bei der Stellung von Pflegepersonal in der Gesundheitsversorgung sieht das Bild hingegen ganz anders aus. Hier liegt Österreich unter dem Durchschnitt von 9 pro 1000, hinter Russland und Slowenien. In einem Bericht des Hauptverbandes der Österreichischen Sozialversicherungsträger wird deutlich von Organisations- und Strukturschwächen gesprochen.

Eine dieser Schwächen ist bestimmt die unzureichende Gesetzeslage, in der zum Beispiel dem Pflegepersonal die Freiberuflichkeit zugesichert wird. Es gibt klar definierte Bereiche, die das Pflegepersonal zur Entlastung der Ärzte und auch der Spitalambulanzen freiberuflich übernehmen könnte. Allerdings wird im ASVG (Paragraf 135) die Pflege als eigenständige Berufsgruppe unter den Gesundheitsberufen nicht erwähnt, obwohl Physio- und Ergotherapeuten sowie Logopäden mit genauso langer Ausbildung (auf einer Fachhochschule) durchaus freiberuflich tätig sein dürfen.

Wie wird die Regierung die zukünftig anfallenden Pflegekosten stemmen? Aus welchem Topf wird die Pflege finanziert werden? Um welchen Betrag geht es dabei? Was bedeutet das für die Gehaltsforderungen der topqualifizierten österreichischen Pflegekräfte? Warum müssen ausländische Pflegekräfte in Österreich kein Sprachdiplom auf Level C1 vorweisen, wie in allen angloamerikanischen Ländern auch?

Keine Direktverrechnung

Obwohl es aus gesundheitsökonomischer Sicht durchaus zu begrüßen wäre, dass freiberuflich tätige Pflegekräfte ihre Leistungen (sämtliche Leistungen der medizinischen Hauskrankenpflege sowie der Erstaufnahme, Beratung, Prävention und Gesundheitsförderung) zu einem annehmbaren Kassentarif (circa 100 Euro pro Stunde) verrechnen könnten, ist die Berufsgruppe der Diplomierten Gesundheits- und Krankenpfleger von der Möglichkeit der Direktverrechnung mit den Sozialversicherungsträgern ausgenommen. Bei der Verrechnung wird immer nur der geringer bewertete Hauskrankenpflege-Tarif angegeben, die Leistungen der medizinischen Hauskrankenpflege sind höher bewertet, werden aber nirgends offiziell ausgezeichnet. Infusionstherapien werden oft in Arztpraxen beziehungsweise Gesundheitszentren durchgeführt, weil sie dort Geld bringen.

Bei der zunehmenden Immobilität und dem gleichzeitigen Wunsch der Betroffenen wäre es durchaus zielführend, Infusionstherapien oder Wundversorgung dem hochqualifizierten Personal der extramuralen Pflege zu überlassen und entsprechend zu honorieren. Voraussetzung dafür sind allerdings Hausbesuche der Hausärzte, die nur rudimentär stattfinden, weil sie zu gering dotiert sind. Doch regelmäßige Hausbesuche eines Hausarztes sind die Voraussetzung für hochqualifizierte ambulante Pflege.

Warum können Diplompflegekräfte die Leistungen der medizinischen Hauskrankenpflege nicht direkt - und zwar in Kooperation mit den Ärzten - freiberuflich verrechnen? Warum müssen dabei verwaltungsaufwendige Institutionen wie die Sozialversicherungsträger oder auch die operativen Tätigkeiten einschlägiger gemeinnütziger Einrichtungen finanziert werden, wo doch die Flexibilität und die individuelle pflegerische Leistung von diplomiertem Fachpersonal direkt an der betroffenen Person erbracht letztlich viel günstiger käme?

Länder wie Schweden, Frankreich, die Niederlande oder die Schweiz haben damit durchaus ihre Erfahrung, und sogar aus der Wiener Gebietskrankenkasse ist bekannt, dass der ökonomische Nutzen einer Direktverrechnung mit freiberuflich tätigen Pflegekräften weitaus sinnvoller wäre. Obendrein würde dies die ökonomische Ausrichtung von Gesundheitsdienstleistungen erhöhen, und die in der Gesundheitsreform 2015 angestrebte Aufwertung der ambulanten Pflege würde endlich stattfinden, ohne damit den noch viel teureren institutionellen Sektor (Krankenhäuser, stationäre Langzeitpflege) zu belasten.

Damit dem Gesetz Genüge getan wird, sind zuallererst die Hausärzte in die Pflicht zu nehmen, sowohl was ihre Bereitschaft zur Kooperation mit diplomiertem Pflegepersonal als auch die entsprechende Bürokratie betrifft. Bis heute ist es so, dass das Pflegepersonal die Verordnungsscheine für die Therapien selbst ausfüllt und der Arzt in der Regel Stempel und Unterschrift setzt. Bei den neuen Anforderungen der Sozialversicherungsträger, was auf einem korrekt ausgefüllten Verordnungsschein für medizinische Hauskrankenpflege stehen muss, damit die Leistung abgerechnet und erbracht werden kann, sind sowohl die Spitals- als auch die Hausärzte nachzuschulen, denn mit der Bezeichnung "Verbandswechsel 3x wöchentlich" kann keine Leistung erbracht werden.

11 Euro netto pro Stunde

Immer wird davon gesprochen, das Gut "Gesundheit" solle effizient und effektiv erbracht werden. Gesundheitsökonomen auf Fachhochschulen unterrichten genau diesen Wortlaut - ohne fundierte Kenntnis von den praktischen Verhältnissen in der mobilen Pflege in Österreich. Im selben Atemzug spricht man den topqualifizierten heimischen Pflegekräften genau jenen ökonomischen Verstand ab, der ihnen in der Selbständigkeit vielleicht zu höheren Einkommen verhälfe als in den sklavenartigen Anstellungsbedingungen durch den miserabel ausgehandelten SWÖ-Kollektivvertrag. Dieser sieht für Diplompflegekräfte nach zehn Dienstjahren einen Stundenlohn von 11 Euro netto vor - und zwar unabhängig von Vordienstzeiten und/oder Master-Abschlüssen, über die viele Pflegekräfte häufig verfügen. Kein Handwerker oder Außendienstmitarbeiter lässt sich Wegzeiten so honorieren, wie es bei diplomiertem Fachpersonal im Angestelltenverhältnis der mobilen Hauskrankenpflege der Fall ist. Machen die Hausärzte genau deshalb keine Hausbesuche, weil sie aus professioneller Sicht vollkommen unterbezahlt sind?

Vereine, die Hauskrankenpflege anbieten, verrechnen genau
15 Minuten Wegzeit - sollte es länger dauern, was im Großraum Wien durchaus üblich ist, geht dies zu Lasten der Angestellten beziehungsweise der Betriebe. Jeder Installateur oder Monteur verrechnet anständige Wegzeiten und erhält eine Stundenpauschale von mindestens 100 Euro. Aber in der Gesundheit spart man genau an denen, die alles Wissen über die Rundumversorgung von Gesundheitsförderung und Prävention haben und dies auch weitergeben könnten, wenn man sie denn nur ließe und dafür auch rechtmäßig bezahlte.

Für angestellte Arbeitskräfte gilt in Österreich so etwas wie ein Arbeitnehmerschutzgesetz. Doch in den privaten Wohnungen, die ja die Arbeitsplätze der Beschäftigten in der mobilen Pflege sind, gilt es nicht im herkömmlichen Sinn. Geschweige denn, dass ein Arbeitsinspektorat Zutritt hätte. Und es gibt auch in Wien Wohnungen in Häusern, in denen Ratten, Schimmel und sonstige Gefahrenquellen wie Nadeln oder auch infizierte Spritzen drohen. Doch darüber darf nicht gesprochen werden. Pflegedienstleitungen und Geschäftsführung sehen diese Missstände nicht, und die vielen nicht gut Deutsch sprechenden Mitarbeiterinnen wissen nicht, dass es Gesetze gibt, die eingehalten werden sollten.

Unbezahlte Tätigkeiten

Das Berufsprofil von diplomierten Pflegepersonen umfasst auch multiprofessionelle Kompetenzen wie Gesundheitsberatung, Gesundheitsförderung, Informations- und Wissenstransfer, interprofessionelle Vernetzung sowie das Aufnahme- und Entlassungsmanagement, um nur einige zu nennen. Für all die im Gesetz festgeschriebenen Tätigkeiten sowie für die gesamte Durchführung des Pflegeprozesses gibt es keine finanzielle Dotierung, da nur direkt am Patienten erbrachte körpernahe Leistungen verrechnet werden. Unnötig zu erwähnen, dass die genannten Bereiche in den meisten Krankenhäusern nicht von diplomierten Pflegepersonen ausgeübt werden, weil ein international zu hoch angesetzter Stab an Ärzten immer noch den Ton angibt und Pflegepersonen als Hilfspersonal erachtet werden.

Es scheint so, dass nur Ökonomen über Kosten und Nutzen von Strukturen, Prozessen und Ergebnissen sprechen dürften, ohne die eigentlichen Experten zu Rate zu ziehen, die die Inhalte liefern. Das gesamtgesellschaftliche Gefüge ist kurz vor dem Kollaps, weil man sich immer noch auf ökonomische Zahlen verlässt, ohne ethische Aspekte und Inhalte zu berücksichtigen und die Beziehungen zwischen den Zahlen interdisziplinär zu betrachten.

Wer übernimmt in Zukunft die Verantwortung für die nicht adäquate Versorgung der alternden Bevölkerung in ganz Europa, die sich jetzt bereits abzeichnet, weil allerorts Pflegepersonal fehlt? Entscheidungsträger sind dringendst aufgerufen, Maßnahmen zu ergreifen, um das hochqualifizierte Pflegepersonal in allen EU-Ländern zu stärken und entsprechend zu dotieren, um Wirtschaftsmigration einzudämmen und drohenden nationalen Versorgungsmängeln - nicht zuletzt im Pflegebereich - entgegenzuwirken.

Alexandra Prinz ist Pflegefachaufsicht und hat ein abgeschlossenes Studium der Philosophie, Kultur- und Sozialanthropologie sowie einen Master-Abschluss in Advanced Nursing Practice. Sie war Direktorin einer Pflegeeinrichtung in der Schweiz. Sie hat ihre Master-Arbeit zur Freiberuflichkeit in der mobilen Pflege und zur Professionalisierung dieser Dienste verfasst.