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Welche Zukunft wollen wir?

Von Ulrike Bechtold

Gastkommentare

Forschung zwischen Mission und Vision.


Es gibt Forschung, die ausschließlich dem Erkenntnisgewinn dient. Und es gibt Forschung, die bestimmte gesellschaftliche Ziele im Blick hat. Eine solche Missionsorientierung von Forschung ist nicht neu. Seit einigen Jahren geht es in der Forschung und der Forschungsfinanzierung allerdings zunehmend darum, gesellschaftsrelevante Themen gezielt in klar definierten Forschungsagenden zu bearbeiten. So sollen Lösungen für die großen Herausforderungen unserer Zeit - wie etwa Klimawandel, Ernährungssicherheit oder eine sich wandelnde demografische Struktur in Europa - gelingen.

Dessen ungeachtet lässt sich eine andere europäische Mission - eigentlich "die Übermission" - ausmachen, wonach es primär darum geht, den europäischen Markt zu entwickeln und den Industriestandort Europa zu stärken. Die Erwartungen, die an die Erfüllung der Missionen geknüpft sind, sind somit zweifach: gesunde Menschen in einer intakten Umwelt, in der die großen Probleme gelöst sind, während (oder gerade weil) die Wirtschaft wächst.

Komplexe Fragenfür die Forschung

Auf den ersten Blick scheinen all diese Missionen wünschenswert, und ein Beitrag der Forschung zu ihrer Lösung beziehungsweise Erfüllung ist ebenso logisch wie lobenswert. Missionen sind auch nichts grundsätzlich Neues für die Wissenschaft. Aber die Vorgabe von Missionen und deren Wirkung für die Forschungsförderung bedarf einer Bewusstseinsbildung, weil es um komplexe Fragen für die Forschung geht: Inwieweit ist eine ergebnisoffene Grundlagenforschung mit einer missionsorientierten Forschung überhaupt vereinbar? Wo lässt sich die Grenze zwischen missionsorientierter Forschung und konkreter Produktentwicklung ziehen? Und damit verbunden vielleicht sogar die Frage: Wer rettet dann wirklich die Welt?

Missionen sollten aber auch dahingehend überprüft werden, welche Werte und Wertungen sie enthalten. Viele Missionen sind sehr voraussetzungsvoll, und unhinterfragt und alternativlos dargestellt, werden solche Voraussetzungen zu selbsterfüllenden Prophezeiungen. Betrachten wir etwa den ersten Satz einer Beispielmission, die von Mariana Mazzuccato 2018 formuliert wurde: "Im Jahr 2030 werden 80 Prozent aller europäischen Bürgerinnen und Bürger in Städten leben." So hingeschrieben müssen Leserinnen und Leser davon ausgehen, dass diese prozentuelle Verteilung die Basis sei, auf der Städte und das Land 2030 funktionieren müssen.

Aber ist das so? Welche 20 Prozent sind es, die dann noch auf dem Land leben? Wie leben sie? Welche Folgen hätte eine derartige Verteilung für ländliche Infrastruktur, Landwirtschaft und Kulturlandschaft? Könnte eine andere Verteilung nicht ganz andere Fragen aufwerfen und daher eine ganz andere wissenschaftliche Bearbeitung erfordern? Anders wäre es, wenn über solche Zielsetzungen von Missionen öffentlich diskutiert und gesellschaftlich ausgehandelt würde, welche Entwicklung (aus welcher Perspektive in welchem lokalen, regionalen und nationalen Kontext) denn überhaupt erstrebenswert ist. Dabei kommt es darauf an, wie diese begründet sind und welche Werte ihnen zugrunde liegen.

Widersprüchliche Annahmen und Zielsetzungen

Ein anderer kritischer Aspekt ist, dass Annahmen und Zielsetzungen verschiedener Missionen in ihrer jeweiligen Umsetzung einander widersprechen. So könnte zum Beispiel an Innovationen geforscht werden, die eine möglichst automatisierte Bewirtschaftung von Agrarflächen durch schweres Gerät erlauben. Gleichzeitig könnten Innovationen vorangetrieben werden, um die zunehmende Erosion - oft durch schweres Gerät verstärkt - und den damit verbundenen Nähstoff- und Bodenverlust zu bekämpfen. Dieser Widerspruch kann die gutgemeinten Forschungsinvestitionen in beiden Fällen verpuffen lassen.

Letztlich bleibt die Frage, inwieweit Forschung vorgegebenen Missionen folgen kann, ohne den Anspruch zu verlieren, möglichst vielfältige Lösungen unter Beteiligung unterschiedlicher Akteure zu entwickeln. Kann überhaupt ein kreativer Funke überspringen, wenn alle Ziele immer schon ausbuchstabiert sind? Kann es ein "Heureka!" geben, lassen sich neue Ideen in neue Anwendungskontexte stellen, wenn das Ergebnis zumindest im Groben bereits feststeht?

Diskurse und Reflexionen über das Verhältnis von Missionsorientierung und Technikfolgenabschätzung aus theoretischer und praktischer Sicht stehen im Zentrum der heurigen ITA-Konferenz am 27. Mai an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Fallbeispiele zu Themen wie Energie und Klimawandel, demografischer Wandel oder Entwicklungen im Gesundheitssektor stellen verschiedene Folgen von Missionsorientierung dar und werden aus dem Blickpunkt der Forschung kritisch hinterfragt.

Veranstaltungstipp:

19. Jahreskonferenz des Instituts
für Technikfolgenabschätzung (ITA)
der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖWA) zum Thema: "Mission Control? Missionsorientierte Innovation als Herausforderung für
die Technikfolgenabschätzung"

27. Mai 2019

Hauptgebäude der Österreichischen Akademie der Wissenschaften,

Dr.-Ignaz-Seipel-Platz 2, 1010 Wien

Mehr Info: www.oeaw.ac.at/ita/ta19