Zum Hauptinhalt springen

Eine Europäische Revolution fürs Klima

Von Kurt Ruppi

Gastkommentare

Wo soll man beginnen? Was ist eigentlich das Klima? Die Definition ist zunächst einfach: Klima ist alles, was in der Gashülle eines Planeten geschieht. Die Erde ist angeblich rund 4,5 Milliarden Jahre alt, und sie hat sich unaufhörlich verändert; ihre Gashülle auch. Anfangs ausschließlich nach physikalischen Gesetzen: Abkühlung, Verdichtung, Wirbelströme durch die Planetenrotation, Feuchtigkeitsaufnahme, Wind und Wetter; irgendwann wurde auch der Einfluss des Mondes wirksam. Dann kam die Chemie dazu: Verwitterung, Aerosole, Lösungen entstanden, wurden verfrachtet, gemischt, erhitzt, gekühlt, gefroren, wieder aufgetaut, neuerlich gemischt - endlos. Atome verbanden sich zu immer größeren und komplizierteren Molekülen, einfaches Leben entstand. Einzeller, Pilze, Algen, die Reproduktion wurde entwickelt, dann Pflanzen, Photosynthese, Sauerstoff wurde angereichert, und die Atmosphäre wurde so, wie wir sie kennen - besser: wie wir sie kannten, bis vor ein paar hundert Jahren. Das ist das Klima, von dem die Rede ist: Zusammensetzung der Luft, Temperatur, Wetter, Treibhaus.

Heute ist es deutlich anders: Viele Stoffe schweben in der Luft, die es früher nicht gab, die erst wir gemacht haben. Auch die werden jetzt verteilt, in Wasser und Boden angereichert, genauso wie früher die natürlichen Stoffe. Sie werden von Pflanzen und Tieren aufgenommen, von uns gegessen, getrunken und eingeatmet - zum Teil schon seit Generationen. Jeder Arzt wird bestätigen, dass wir uns schon verändert haben. Neue Krankheiten entstehen, Fruchtbarkeit und Intelligenz schwächeln, die Empfindlichkeit steigt. Wir schwächen uns und unsere Gesundheit, weil wir das Klima verändern - aber so langsam, dass diese Veränderung noch keine Aufregung erzeugt.

Die Illusion von der Natur außen und uns innen

Bei der Temperatur ist das deutlich anders: Die erhöhen wir durch Heizen und halten sie fest durch den Treibhauseffekt, was sich auf das Wetter auswirkt, und das ist viel schneller merkbar als die Änderung unseres eigenen Zustands. Wetterkatastrophen, Kosten, höhere Versicherungsprämien - das spürt man rasch. Und die Ernten: Die Erdäpfelmissernte heuer war nur ein Vorgeschmack: Es gibt schon Landstriche, in denen alle drei Jahre neue Sorten angebaut werden müssen. Es gibt auch Staaten, die bereits vor dem Meer flüchten müssen: Kiribati ist schon dabei, einzelne Inseln zu räumen, und andere Staaten werden folgen und Teile ihres Territoriums aufgeben müssen.

Wir leben in der Illusion, dass die Natur außen ist und wir innen, in unserer eigenen technischen Zivilisationsblase. Der Hausverstand sagt aber: Es existiert keine Trennung zwischen Kultur und Natur. Mehr noch: Es gab nie eine. Unsere Blase hat keine undurchdringliche Membran, und wir können auch keine basteln, die groß genug wäre für acht oder zehn Milliarden Menschen. Wir sind selber Natur und trotz der Müllberge, die wir produzieren, nur ein winziger Teil davon; wir würden nicht sonderlich fehlen, wären wir weg.

Wie reagiert ein uns fremdes Biotop, wenn wir Dinge tun, die die Natur maßgeblich verändern - und dies in unserem rasenden Tempo? Anpassung ist unmöglich, wenn derartig viele Beschädigungen praktisch gleichzeitig passieren, wie dies seit Beginn der Neuzeit der Fall ist: Mit den Rodungen für Ackerbau und Viehzucht (angeblich sind 50 Prozent des ursprünglichen Waldbestandes bereits verschwunden), mit der "Regulierung" des Wildbestandes (in unseren Breiten gibt es Großtiere, die uns Menschen gefährlich werden könnten, praktisch nicht mehr), mit der Plünderung des Meereslebens, mit dem Fördern, Verbrennen und Freisetzen der Rückstände früheren (und andersartigen) Lebens, die die Natur vor vielen Jahrmillionen vergraben hat, mit dem langsamen Vergiften von Luft, Wasser und Boden - mit all diesen Belastungen kann die Natur nicht schnell genug fertig werden. So ist es auch zu verstehen, dass die Wissenschaft uns bereits sagt, dass wir eine Million Arten ausrotten werden.

Jetzt wäre wohl wirklich eine neue Aufklärung nötig. Oder eine Europäische Revolution. Bescheidenheit statt Freiheit, Geburtenkontrolle und Gleichheit, Wissen und rationales Denken samt globaler Zusammenarbeit in Brüderlichkeit. Und die Würde des Menschen oder das Ebenbild Gottes in den Rundordner der Geschichte - dann könnte Nachhaltigkeit hergestellt werden, anders werden wir unserer Heuschreckenähnlichkeit nicht Herr werden können. Forschung, Unterricht und Transparenz, Umdenken und gegenseitige Hilfe sind die Dinge, auf die es ankommen wird. Und Zeit - ein paar Generationen; dann könnte man damit eines Tages vielleicht sogar Wahlen gewinnen.

Es muss sich etwas ändern. Mit all den menschengemachten Belastungen kann die Natur nicht schnell genug fertig werden.