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Die einsamen Kurden im Nahen Osten

Von Hülya Tektas

Gastkommentare

Als der bekannte türkische Soziologe Ismail Besikci einst sagte, dass das "21. Jahrhundert das Jahrhundert der Kurden sein" würde, schwebte viele Kurden sicher ein anderes Bild vor Augen als jenes der momentanen Lage in Nahost. Die rasanten Entwicklungen seit Beginn des syrischen Bürgerkriegs lassen sich für Kurden mit einer emotionalen Achterbahnfahrt beschreiben.

Mit einer zweiten Welle der Zwangsverwaltungen wurden in der Türkei auch neu gewählte kurdische Bürgermeister abgesetzt, und die Namen der neuen Generation kurdischer Politiker sind im Ausland so gut wie nicht bekannt, weil man sie festnahm, kaum hatten sie ihre politische Stellung eingenommen. Seinen Masterplan, die kurdische Bewegung innerhalb der Türkei zu zerschlagen, weitet Präsident Recep Tayyip Erdogan nun über die Grenzen hinaus aus. Was seit der Ankündigung des Rückzugs der US-Truppen aus dem östlichen Euphrat passierte, ist der Schnellgang eines Kriegs. Die Geschehnisse einer einzigen Woche liefern genug Stoff für einen Hollywood-Film, der den Titel "Der einsame Tanz der Kurden unter Wölfen" haben könnte. Mit Verrat, Hass, Propaganda, Hintergrundverhandlungen, Intrigen, Bomben, Kriegsverbrechen und dazu den wahren Verlierern eines jeden Kriegs: unzählige Flüchtlinge, viele Tote und leidende Zivilisten. Fatal ist bei diesem Krieg, dass auf beiden Seiten der Grenze überwiegend Kurden leben.

Im Gegensatz zur Annahme, ein Großteil der Türken stünde hinter der "Operation Friedensquelle", berichten Menschen vor Ort, dass Erdogans Krieg gegen die Kurden vielen Türken tatsächlich relativ gleichgültig sei. Infolge der geschwächten Wirtschaft hätten sie nicht mehr viel Vertrauen in seine Politik, und ihre Aufmerksamkeit gelte eher der Sicherung des finanziellen Auskommens im Alltag. Die seitens der USA angedrohten Sanktionen schüren die Ängste der Türken vor einem wirtschaftlichen Untergang zusätzlich. Damit ließe sich auch die ungeheure Kriegspropaganda der Türkei erklären.

Vor etwas mehr als 100 Jahren gingen die Kurden beim Sykes-
Picot-Abkommen der Engländer und Franzosen leer aus. Im Zeitalter, in dem sich aus den Resten des Osmanischen Reichs neue Nationalstaaten bildeten, wurden die Kurden innerhalb der Grenzen der Türkei, des Iraks, des Irans und Syriens aufgeteilt. Heute sind es die USA und Russland, die die Kurden im Stich lassen.

Nun, in der globalen Zeit, in der Nationalstaaten bereits obsolet geworden sind und vor allem mit Fremdenfeindlichkeit und einem Rechtsruck kämpfen, wird in Nordsyrien versucht, der Vielfalt des Nahen Ostens durch eine auf Basisdemokratie basierende Regierungsform mit demokratischen Konföderalismus gerecht zu werden. Ein System, das Zukunft hat, ist der Türkei jedoch ein Dorn im Auge. Auch wenn Erdogans Masterplan im Moment noch einmal so vielversprechend aussehen mag, ist das 21. Jahrhundert das Jahrhundert der Kurden. Sie sind ein wichtiger Akteur im Nahen Osten und werden weiterhin danach streben, ihren politischen Status zu bekommen.