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Kein weichgespülter Konsens

Von Silvia Grünberger

Gastkommentare
Silvia Grünberger ist Managing Partner von Rosam Grünberger Change Communications und berät ihre Kunden bei der strategischen Positionierung in Wirtschaft, Politik und Medien. Von 2002 bis 2013 war sie Nationalratsabgeordnete der ÖVP.
© Ian Ehm

Asymmetrische Profilierung als Dauerbaustelle in der Kommunikation von Türkis-Grün.


Vor einem Monat wurde die türkis-grüne Bundesregierung in der Wiener Hofburg angelobt. In der Koalition, die für Österreich auf Bundesebene eine Premiere darstellt, haben sich beide Parteien ambitionierte Ziele gesetzt, der Umfang des Regierungsprogramms zeigt dies buchstäblich. Unabhängig von den umfangreichen Vorhaben und möglichen inhaltlichen Konflikten in der türkis-grünen Koalition steht die neue Bundesregierung auch vor großen Herausforderungen in der Kommunikation der gemeinsamen Regierungspolitik.

Denn beide Parteien wagen bei der inhaltlichen Agenda die asymmetrische Profilierung und erlauben dem anderen Partner, die Initiative in den jeweiligen Kernthemen zu ergreifen, anstatt den weichgespülten Konsens zu suchen. Dieses Selbstverständnis drückt beispielsweise der Satz "Grenzen und Klima schützen" anschaulich aus. In der kommunikativen Darstellung des Regierungsgeschäfts bedeutet dies für Volkspartei und Grüne, jeweils unliebsame Positionen glaubhaft als gemeinsame Entscheidungen zu präsentieren und in der eigenen Anhängerschaft zu verteidigen. Grüne Mandatare werden also konsequentere Grenzschutzmaßnahmen im Wiener Spittelberg ebenso vertreten müssen wie ÖVP-Abgeordnete höhere Dieselpreise im Waldviertel. Allerdings besteht für beide Koalitionspartner auch die Chance, den eigenen Anhängern die umgesetzten Punkte der eigenen Agenda als Erfolge zu präsentieren.

Schließlich können auch türkis-blaue Altlasten von BVT-Affäre bis Causa Casinos beiden Regierungsparteien zusetzen. Denn die ÖVP wird im Parlament von ihrem Koalitionspartner Loyalität einfordern beim Abstimmungsverhalten im Nationalrat und in den Ausschüssen sowie ganz besonders in der Kommentierung möglicher Kritikpunkte. Für die Grünen wird das eine schwere Prüfung werden, denn gerade sie haben sich ja traditionell als Aufdeckerpartei profiliert. Sie könnten nun künftig von der Volkspartei in die Pflicht genommen werden, den Koalitionspartner zu verteidigen.

Es wird noch spannend werden, zu beobachten, wie die erfahrene Regierungspartei ÖVP und die frisch aus der außerparlamentarischen Opposition zurückgekehrten Grünen künftig gemeinsam regieren und vor allem kommunizieren werden. Den beiden Parteichefs, Kanzler Sebastian Kurz und Vizekanzler Werner Kogler, werden dabei Schlüsselrollen zukommen, wenn es darum geht, den eigenen Anhängern zu erklären, warum das bisher kritisch betrachtete Lieblingsprojekt der jeweils anderen Partei nun gemeinsam umgesetzt werden soll. In der überzeugenden Ansprache der Öffentlichkeit gilt es für beide Parteichefs, die inhaltlich unterschiedlichen Schwerpunkte glaubhaft als gemeinsames Handeln zu kommunizieren und ein gemeinsames Narrativ zu vertreten.

Nach dem gefühlten Stillstand der rot-schwarzen Koalitionen der vergangenen Jahre einerseits und Message Control unter Türkis-Blau andererseits, ist das Verfahren der asymmetrischen Profilierung ein inhaltlich interessanter Ansatz und eine kommunikative Dauerbaustelle.

Der vorliegende Text ist auch auf www.leadersnet.at erschienen.