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Das Leben lebenswerter machen

Von Marianne Karner

Gastkommentare

In Österreich gibt es eine Reihe von Instrumentarien, die eine Öffnung hin zur assistierten Suizidbeihilfe oder gar zur aktiven Sterbehilfe obsolet machen.


Das aktuelle Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe zur sogenannten Sterbehilfe war leider keine Überraschung. Vorausgegangen war ein in Wellen immer wieder aufgeflackerter öffentlicher Diskurs, der sich in jüngster Zeit zu einem wahren Dauerbombardement wandelte.

Die Hauptakteure waren die üblichen Verdächtigen: Sterbehilfevereine, die sich weltweit vernetzt und fleißig Lobbyarbeit betrieben haben; die Kirchen und Religionsgemeinschaften, die sich meist sehr kritisch gegen Sterbehilfe ausgesprochen haben; und die Medien, die als Katalysator wirkten und das Thema medienethisch gesehen bis zum Letzten ausreizten. Sterbenskranke Patienten kamen nur dann zu Wort, wenn Sie ins Konzept passten und den Trend zur vorzeitigen Lebensbeendigung unterstützten. So zum Beispiel ein Schweizer Ehepaar, das filmisch in den Tod begleitet wurde. Gehypt und zu einer wahren Ikone beziehungsweise Heldin stylisiert wurde eine belgische Behindertensportlerin: Das Glas Sekt in der Hand, bevor der Vorhang fällt.

Solche Bilder passen gut in unsere Zeit und unser System. Die gesellschaftlichen Ideale werden uns von Politik, Wirtschaft und Medien immer wieder eingehämmert: "Jung, gesund, schön, erfolgreich"; Arbeits- beziehungsweise Leistungsfähigkeit gehört zur Minimalanforderung; Prävention und gesunde Lebensweise werden vorausgesetzt; Anti-Aging steht hoch im Kurs, aktives und gesundes Altern muss jeder hinkriegen.

Abnehmende Leistungsfähigkeit, eine Diagnose, eine Krankheit, die sich als chronisch herausstellt und eventuell sogar in eine Behinderung münden könnte, wird mittlerweile als persönlicher Weltuntergang gesehen. "Ein Leben im Rollstuhl? Kann ich mir nicht vorstellen, will ich mir nicht geben."

Säumigkeit bei Umsetzung der UN-Konvention

Es ist bitter, solche Phrasen zu hören; es ist bitter, täglich mit baulichen Barrieren, Diskriminierung und Ablehnung konfrontiert zu werden. Es ist eine regelrechte Schande, dass sehr viele alte und behinderte Menschen in sogenannten Totalen Institutionen fremdbestimmt leben müssen. Und es kommt auch heute noch immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen trotz Engagement von Pflegepersonal, das jedoch auch unter der Ressourcenknappheit leidet. Die Berichte der Volksanwaltschaft geben einen kleinen Einblick. Bei einem betroffenen Familienmitglied ist es dann umso schlimmer zu sehen, was das in der Praxis heißt. Nicht trinken zu können, wann man möchte, ist da nur die Spitze des Eisberges. Es ist traurig, wie unsere kurzlebige Konsum- und Leistungsgesellschaft mit ihren alten Menschen umgeht.

Es ist unverständlich, dass Österreich sich zwar im Jahr 2008 mit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention verpflichtet hat, umfassende Inklusion von Anfang an, Barrierefreiheit, gleichberechtigter Zugang und Chancengleichheit in allen Lebensbereichen rasch umzusehen, aber nach wie vor mehr als säumig, ja sogar rückschrittlich ist. Die noch nachwirkende schwarz-blaue "Neue Gerechtigkeit" wirkt weiter. Es zählt wieder das Recht des Stärkeren beziehungsweise derjenigen, die das Glück haben, auf dem längeren Ast zu sitzen. Neid, Missgunst und Entsolidarisierung prägen unsere Gesellschaft.

In Österreich gibt es eine Reihe von Instrumentarien, die eine Öffnung hin zur assistierten Suizidbeihilfe oder gar zur aktiven Sterbehilfe obsolet machen: das Recht des Patienten, Therapien abzulehnen, Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht, Inanspruchnahme von Hospiz- und Palliativversorgung, Möglichkeiten im Rahmen des Ärztegesetzes.

Unabhängig von der weiteren Entwicklung der Sterbehilfe-Gesetzgebung in den jeweiligen Ländern steht eines fest: Alte, chronisch kranke und behinderte Menschen werden es in Zukunft noch schwerer haben, ein vor allem selbstbestimmtes würdiges Leben zu haben.

Ängste und Missstände müssen angesprochen werden. Sterben und Tod dürfen nicht tabuisiert werden. Das heißt aber nicht, der Mär vom selbstbestimmten Sterben anheimzufallen (Regelungen und Praxis in anderen Ländern wie Belgien und den Niederlanden zeigen die fatalen Folgen). Ein demokratischer moderner Staat mit entsprechender Vergangenheit und Kontinuitäten (auch wir selbst haben damalige Werte verinnerlicht) ist nicht dafür da, Suizide, die fast immer Verzweiflungstaten sind, zu unterstützen.

Zum Schluss eine gute Nachricht: Ein Leben im Rollstuhl und/oder mit einer chronischen, unheilbaren Erkrankung ist noch lange kein Ende. Es ist eine von vielen möglichen Herausforderungen im Leben. Schmerzen und Symptome können und müssen therapiert werde. Über Zukunftsängste und Verzweiflung zu reden und Hilfe zu bekommen, muss gewährleistet sein. Mit Einschränkungen ist zu rechnen, und trotzdem finden die allermeisten dennoch immer wieder genug Lebenssinn. Unwürdig sind allein Zustände, die wir gemeinsam verbessern können.