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Die gescheiterten ÖVP-Spaltungsversuche

Von Gerhard Poschacher

Gastkommentare

Kanzler Kreisky strebte in den 1970ern eine Allianz von Arbeitern und Bauern an, um die Volkspartei zu schwächen.


Am 7. März 1970 fragte der "Österreichische Bauernbündler" besorgt: "Was wird aus den Bauern?" Er appellierte, die Einigkeit des Berufsstands nicht zu gefährden. Vor 50 Jahren, am 1. März 1970, konnte sich die Sozialdemokratie mit SPÖ-Ikone Bruno Kreisky, 1967 zum Parteivorsitzenden gewählt, über einen großen Triumph freuen. Bei der Nationalratswahl überholten die Roten mit 48,4 Prozent die Volkspartei und erreichten mit 81 Mandaten die relative Mehrheit. Die ÖVP mit Bundeskanzler Josef Klaus, der 1966 eine Alleinregierung gebildet hatte, kam auf 44,7 Prozent (79 Mandaten). Die FPÖ stagnierte bei 5,5 Prozent (5 Mandaten). Rund 4,7 Millionen Wähler (92,7 Prozent) stimmten ab - eine Wahlbeteiligung, die in der 75-jährigen Geschichte der Zweiten Republik nicht mehr erreicht wurde.

Die Wahlniederlage der ÖVP 1970 war auch auf agrarpolitische Maßnahmen zurückzuführen, die heftige Bauernproteste auslösten. Finanzminister Stephan Koren (ÖVP) verordnete mit dem nach ihm benannten Budget- und Wirtschaftsplan der Regierung einen Sparkurs. Die Einführung einer Weinsondersteuer, Preissenkungen bei Weizen und Milch sowie das Einfrieren der Fördermittel für die Land- und Forstwirtschaft im "Grünen Plan" waren im Bauernbund umstritten. Der Unabhängige Bauernverband organisierte Großdemonstrationen. Der langjährige Präsident der Salzburger Landwirtschaftskammer und Vorsitzende der Präsidentenkonferenz der Landwirtschaftskammern, Isidor Grießner, musste 1968 unter Polizeischutz das Kammergebäude in Salzburg verlassen. Josef Wallner, Präsident des Österreichischen Bauernbundes, verzichtete 1970 auf eine weitere Kandidatur.

Kanzler Klaus, der nur einer Alleinregierung vorstehen wollte, trat noch in der Wahlnacht zurück, in der Kreisky der FPÖ die Duldung einer Minderheitsregierung anbot. Deren Obmann Friedrich Peter, dessen Wahlkampfmotto "Keine ÖVP-Alleinregierung, kein roter Kanzler" Gespräche der FPÖ mit der SPÖ schwierig gestaltete, erhielt die Zusage für ein Wahlrecht zugunsten kleinerer Parteien und die Abhaltung von Neuwahlen 1971. Kreisky überließ der FPÖ zudem das Amt des Rechnungshofpräsidenten (Jörg Kandutsch) und den Posten des Botschafters in Deutschland (Wilfried Gredler).

SPÖ-Minderheitsregierung überrumpelte ÖVP-Spitze

Nach gescheiterten Verhandlungen mit der ÖVP, geführt von deren neuem Obmann Hermann Withalm, gelobte Franz Jonas, sozialistischer Bundespräsident und überzeugter Großkoalitionär, am 21. April 1970, nicht mit Freude die erste und bisher einzige Minderheitsregierung seit 1945 an. Als Landwirtschaftsminister wurde überraschend der bis dahin unbekannte Beamte in der Kärntner Landesregierung, Hans Öllinger, berufen, der nur wenige Wochen später wegen seiner NS-Vergangenheit zurücktreten musste. Als Zeitzeuge ist festzustellen, dass die überraschende Bildung der Minderheitsregierung, mit der die ÖVP-Spitze überrumpelt wurde, keine feierliche Amtsübergabe im Ressort ermöglichte. Karl Schleinzer, Landwirtschaftsminister von 1964 bis 1970, übersiedelte als ÖVP-Generalsekretär ins damalige Parteihaus auf der Wiener Kärntner Straße.

Als Kanzler verfolgte Kreisky in den 1970ern aufgrund seiner schwedischen Erfahrungen stets eine Allianz zwischen Arbeitern und Bauern. Hinter dieser Strategie stand auch die politische Überlegung, die ÖVP zu spalten und mit einer "Bauernpartei" die große Opposition zu schwächen. Der konsensbereite Landwirtschaftsminister Oskar Weihs von der SPÖ (1970 bis 1976) suchte als Nachfolger von Hans Öllinger das Gespräch mit den Landwirtschaftskammern und setzte im Wesentlichen die Bauernbund-Politik fort. Er fand dabei, sehr zum Ärger von Arbeiterkammer und Gewerkschaftsbundes, die Unterstützung Hans Lehners, des Vorsitzenden der Präsidentenkonferenz der Landwirtschaftskammern (1970 bis 1984). Kreisky hätte ihn gerne als "Kirchschläger für die Bauern" als Agrarminister in der Regierung gesehen.

Später machte der SPÖ-Parteichef dem langjährigen ÖVP-Abgeordneten und Obmann des Getreidewirtschaftsfonds, Karl Fachleutner, ein Regierungsangebot. Diese Spaltungsversuche und Kreiskys Vision einer "Arbeiter- und Bauernpartei" scheiterten an der Geschlossenheit des Bauernbundes mit Präsident Roland Minkowitsch, dessen Motto lautete: "Fortschritt durch Einigkeit". Die SPÖ-Agrarpolitik geriet in dieser Zeit auch zunehmend in die Defensive, weil Sixtus Lanner, Direktor des Bauernbundes (1969 bis 1976), viel beachtete Konzeptionen für den ländlichen Raum (Dorferneuerung, Leben in lebenswerter Umwelt) entwickelte.

Eine lange Ära roter Landwirtschaftsminister

Das Land- und Forstwirtschaftsministerium wurde von 1970 bis 1986 von SPÖ-Politikern geführt. Die Wahlsiege der Sozialdemokraten mit absoluten Mehrheiten im Parlament bis 1983 lösten beim Bauernbund einen Schock aus, wobei die Ära Günter Haidens (1976 bis 1986) von großen Auseinandersetzungen zwischen SPÖ und Bauernbund geprägt war. Die Politik des sozialdemokratischen Gewerkschaftsfunktionärs war von einer Schwächung und finanzielle Aushungerung der Landwirtschaftskammern sowie harter Kritik an den Geschäftspraktiken der Genossenschaften geprägt. Lehner als Vorsitzender der Präsidentenkonferenz der Landwirtschaftskammern und erfahrener Sozialpartner konnte mit ÖGB-Präsident Anton Benya immer wieder politische Wogen glätten. Haiden, der bisher längstdienende und umstrittenste Landwirtschaftsminister in der Zweiten Republik, musste nach dem Weinskandal 1986 zurücktreten und für ein halbes Jahr Erich Schmidt die Ressortleitung überlassen.

Kanzler Franz Vranitzky bildete 1987 dann wieder eine Koalition mit der ÖVP, in der Josef Riegler das Amt des Landwirtschaftsministers übernahm. Unbeschadet harter Auseinandersetzungen sind aber in der Ära der Landwirtschaftsminister aus den Reihen der SPÖ doch einige agrarpolitische Meilensteine hervorzuheben, die auch von den bäuerlichen Interessensvertretungen mitbestimmt wurden: Sonderprogramme für die Bergbauern ab 1972, das neue Forstgesetz mit Gefahrenzonenplänen 1975, die Besserstellung der Nebenerwerbslandwirtschaft im Fördersystem, die Richtmengenregelung für Milch 1978, das moderne Wasserrecht 1979, das Getreideprotokoll zur Qualitätsverbesserung und Exportsicherung 1979 oder die Einführung der Waldzustandsinventuren ab 1984.