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Die Zukunft von Stadt und Land nach Corona

Von Daniel Dettling

Gastkommentare

Die Kommunen werden zu systemrelevanten Akteuren des Wandels.


Die globale Pandemie namens Corona beendet die Phase der hyperschnellen Globalisierung. Die bisherige globale Vernetzung hat uns anfälliger für Krisen gemacht. Nach der Krise spricht einiges für eine neue Epoche und ein neues Verhältnis zwischen Stadt und Land: die Ära der nachhaltigen Glokalisierung als Antwort auf eine steigende Nachfrage nach Heimat und Nachbarschaft.

Österreichs Kraft liegt in seiner Dezentralität. Drei Viertel der Österreicherinnen und Österreicher leben in den ländlichen Regionen. Auch die Mehrheit der Unternehmen ist nicht in den großen Städten und Ballungsgebieten zuhause. Während sich die großen Städte als Gewinner der Globalisierung sahen, fühlten sich die Einwohner in den ländlichen Regionen oft als die Verlierer des wirtschaftlichen Wandels - bis das Coronavirus kam. Seitdem hat sich auch das Verhältnis von Stadt und Land radikal verändert.

Die Krise der großen Städte

Die Corona-Pandemie wurde deshalb auch zur Krise der großen Städte und Ballungsgebiete, die anfälliger und nervöser sind als der ländliche Raum. Geschlossene Restaurants, Fitnessstudios, Kinos und Clubs - das Leben in den Metropolen war auf einmal gefährlich öde. Insbesondere Megacitys wie New York, Singapur und London waren mit der Corona-Welle schnell überfordert. Auf dem Dorf oder in der Kleinstadt ist das soziale Abstandhalten leichter als in der Großstadt. Nachbarschaftshilfen, die sich in den großen Städten erst digital und per Telefon bilden müssen, sind auf dem Land Alltag. Landluft macht virenfreier. Die Corona-Krise ist daher auch Treiber einer neuen Stadtflucht - zumal immer mehr Regionen schon vor der Krise auf einen lokalen Versorgungspatriotismus setzten.

Vor Corona galt folgendes Gesetz im Verhältnis zwischen Stadt und Land: Während Städte wie Wien, Graz, Innsbruck, Linz und Salzburg wuchsen, schrumpfte die ländliche Bevölkerung. Abwanderung, Alterung und das Gefühl des Abgehängtseins wurden mit dem Land in Verbindung gebracht, Fortschritt, Weltoffenheit und Innovation mit der Stadt. Der technologische Fortschritt, mit Digitalisierung und Automatisierung, kann die Kluft zwischen boomenden Städten und Regionen und schrumpfenden und abgehängten Gegenden beschleunigen, er kann sie aber auch reduzieren.

Die Corona-Pandemie hat gezeigt: Wenn sich alles auf die großen Städte konzentriert, brechen sie irgendwann zusammen. Zum Gewinner der Entwicklung wird die progressive Provinz, die beide Welten verbindet: die urbane, weltoffene und die lokale, verbundene Welt. In den Kommunen löst sich der Stadt-Land-Gegensatz auf. Die Corona-Krise wird zum Beschleuniger der Megatrends Globalisierung, Digitalisierung und Demografie und des mit ihnen verbundenen mentalen und sozialen Wandels.

Aus Globalisierung
wird Glokalisierung

Die Corona-Pandemie beschleunigt den Trend zur Glokalisierung: Globalität und Lokalität verbinden sich zu einem neuen Dritten. Nach der Krise wird das lokal und kommunal Überschaubare wieder gefragt sein. Viele Österreicher haben während der Corona-Zeit die heimische Landwirtschaft wieder schätzen gelernt. "Kauf lokal, das geht auch digital" hieß eine Kampagne der Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck. Das neue Leitbild "ökosoziale Marktwirtschaft" wird zum neuen Mainstream. Regionale Produktion ist gut für die Umwelt und schafft vor Ort sichere Jobs. Die großen Herausforderungen wie Klimawandel, Mobilität und gesellschaftlicher Zusammenhalt können nur vor Ort in den Kommunen gelöst werden. Es geht um Investitionen in Busse, Bahnen, Schienen und Radwege sowie neue Formen der Mobilität, der Landwirtschaft und des Tourismus. "Bio-Dörfer" ziehen gestresste Städter und ihre Familien an. Verbraucher und Konsumenten fragen zunehmend nach Qualität, Herkunft und Art der Produktion. Wertschöpfungsketten regionalisieren sich.

Aus Digitalisierung
wird Vernetzung

Vielen ländlichen Regionen mangelt es an einer schnellen Internetverbindung. Homeoffice und Unterricht daheim waren in der Corona-Zeit für viele auf dem Land nur schwer möglich. Bis 2025 muss die Schließung der digitalen Kluft zwischen Stadt und Land gelingen. Arbeit wird multi-mobil und multi-lokal. Während der Corona-Wochen haben viele Österreicher von Zuhause aus gearbeitet. Lange Wegzeiten und weites Pendeln werden zur Ausnahme, die Umwelt wird entlastet. Die zunehmende Digitalisierung ermöglicht dezentrale Strukturen von Arbeit, Wirtschaft und Verwaltung. Das schnelle Internet wird Start-ups auch auf dem Land in Zukunft möglich machen. Immobilien auf dem Land sind zunehmend gefragt.

Aus Demografie wird
Gesundheitsschutz

Corona hat uns allen den Gesundheitsschutz einer alternden Bevölkerung verdeutlicht. Telemedizin und "Mobile Health" haben den Kontakt zwischen Ärzten und Patienten aufrechterhalten. Patienten werden auch in Zukunft am Telefon oder online behandelt. Gesundheitsregionen entlasten die großen Städte und bedienen die Nachfrage der Städter nach ganzheitlicher Gesundheit.

Die neue Landlust

Die Gewinner nach Corona sind künftig jene Regionen, Kleinstädte und Dörfer, die den Wandel offensiv angehen und optimistisch gestalten. Lebensqualität, Bildung und bürgerschaftliches Engagement sind die neuen Standortfaktoren. Die Corona-Krise kann zu einer Aufwertung des Landes führen. Der ländliche Raum ist mehr als Landwirtschaft und "Restraum". Er ist auch Wirtschafts-, Kultur- und Industrieraum und damit Zukunftsraum für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Die Kluft zwischen Stadt und Land wird sich zunehmend auflösen.

Das Land wird wieder als gleichwertiger Lebensraum wahrgenommen. Stadt und Land ergänzen einander und brauchen einander wechselseitig. Nach der Krise werden Österreichs Gemeinden glokaler, bürgernäher und innovativer. Die Kommunen und ihre Bürgermeister werden zu den entscheidenden Akteuren für die Zeit nach Corona.

Der vorliegende Gastkommentar ist auch in der Mai-Ausgabe von "KOMMUNAL", dem offiziellen Organ des Österreichischen Gemeindebundes (www.kommunal.at), erschienen.