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Wohnpolitik ist Demokratiepolitik

Von Barbara Ruhsmann

Gastkommentare

Die Corona-Krise zwingt zur Auseinandersetzung mit Grund- und Freiheitsrechten. Das betrifft auch das Wohnrecht, dessen Reformierung im Regierungsprogramm angestrebt wird.


Das Kapitel "Wohnen" im Regierungsprogramm bleibt aktuell. Die Reform des Wohnrechts sollte genutzt werden, um erstmals breitere Beteiligungsmodelle auf Bundesebene durchzuführen. Vor einem Jahr begann der Wohnrechtskonvent des "Forum Wohn-Bau-Politik" - ein langfristig angelegter Beteiligungsprozess mit dem Ziel, ein wohnpolitisches Weißbuch zu erarbeiten. Der Konvent ist weit gediehen: Zuletzt wurde die umfassende "Agenda für ein neues Wohnrecht" publiziert. Auch im Regierungsprogramm findet sich das Vorhaben, das Wohnrecht mittels breiter Beteiligung zu reformieren. Das ist ein in zweifacher Hinsicht progressives Vorhaben: wohn- und demokratiepolitisch.

Die enge Verzahnung von Wohn- und Demokratiepolitik hat essenziell mit der Eigentumsfrage zu tun. Alle ungelösten Konflikte im Wohnrecht haben ihren Ursprung in verschiedenen Auffassungen, was die mit privatem Eigentum verbundenen Rechte und Pflichten angeht. Das Recht auf Eigentum und der garantierte Schutz desselben waren historisch gesehen wiederum Voraussetzung für die Entwicklung von Demokratien.

Schwarz-weiße Debattenmuster

Ende des 17. Jahrhunderts wurde Eigentum erstmals als Teil der bürgerlichen Freiheit jedes Einzelnen gedacht. Nach einem Jahrhundert der Revolutionen fand der Schutz des Eigentums Eingang in die Gesetzbücher, galt als Voraussetzung für die Überwindung des Feudalismus und den Beginn von Mitbestimmung und Demokratie. Dass von diesem neuen Recht nicht alle profitierten, war allerdings auch offenbar, und es wurden Theorien entwickelt, in denen zum Beispiel eine breitere Verteilung von Privateigentum und Maßnahmen gegen zu große Eigentumskonzentrationen vorgesehen waren - heute vielleicht zu einseitig subsummiert unter "sozialistische Utopien" und damit vorschnell diskreditiert. Hat doch der "real existierende Sozialismus" in seiner totalitären Praxis freies, differenziertes Nachdenken über mehrere mögliche Eigentumsmodelle bis heute fast unmöglich gemacht.

Dementsprechend schwarz-weiß waren auch die klassischen wohnpolitischen Debattenmuster in den vergangenen Jahren. Am Beispiel Mietrecht: A plädiert für Mietzinsobergrenzen. B ist empört über diesen staatlichen Eingriff in die Verfügungsfreiheit über sein Eigentum. A will befristete Mietverträge verbieten. B hält das für Enteignung. Seine Wohnung gehöre damit nicht mehr ihm, sondern unbefristet dem Mieter. Auf dieser Diskussionsbasis können keine Reformen im Wohnrecht gelingen.

Und nun fordert uns auch noch die Corona-Krise, zwingt zur Auseinandersetzung mit Grund- und Freiheitsrechten. Das grundsätzliche Recht auf Eigentum, auf materielle Selbstbestimmung werden wir alle behalten - aber wie viele werden es einlösen können? Initiativen fordern laut das Recht auf Wohnen und setzen es (Immobilienkonzerne vor Augen) in Opposition zum Recht auf Eigentum.

Die gesellschaftliche Frage der Verteilung von Eigentum

Der bekannteste Ökonom der Gegenwart, Thomas Piketty, will, dass jeder Mensch Zugang zu Privateigentum hat, und sagt: "Ich möchte eine Gesellschaft, in der nicht nur wenige, sondern jeder seine Vorhaben verwirklichen, ein Heim besitzen oder ein Unternehmen gründen kann." Die von linker Seite oft gescholtene Verwendung von Wohnbauförderungsgeldern für den Erwerb von Wohnungen müsste so gesehen eine Idee sein, die zumindest Piketty gefallen könnte, hierzulande ist sie vor allem ÖVP-Programm.

Der Bedarf an breitestmöglicher Debatte ist also hoch. Es geht um die Frage, welche Verteilung zwischen privatem, gemeinschaftlichem und öffentlichem Eigentum wir als Gesellschaft anstreben wollen; welche Verteilung uns angesichts der aktuellen und noch kommender Krisen als geeignet erscheint, um vor allem auch die Demokratie stark und resilient zu erhalten.

Der Wohnrechtskonvent des "Forum Wohn-Bau-Politik" hat einen Weg gewiesen, wie entlang neuer Beteiligungsformate selbst eine so komplexe Materie wie das Wohnrecht unter Einbezug vieler bearbeitet werden kann. Es wäre wichtig, dass die Regierung ihr eigenes Vorhaben in diesem Bereich so bald wie möglich angeht (und dabei auch auf die vorliegende Expertise zugreift). Die Verknüpfung von Wohn- und Demokratiepolitik ist historisch vorgegeben. Eine breite, interdisziplinäre Debatte über Eigentumsrechte, -pflichten und -beschränkungen unter gemeinsamer Beteiligung von Bürgern, Wissenschaftern, politisch Verantwortlichen, Experten und allen Interessenvertretungen ist kein Wagnis, sondern wohn- und demokratiepolitische Notwendigkeit.