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Ein fragwürdiges Polit-Comeback

Von Maya Janik

Gastkommentare

Die Motive für die Ernennung von Georgiens Ex-Präsident Micheil Saakaschwili als Reformberater in der Ukraine scheinen taktischer Natur. Präsident Wolodymyr Selenski spielt mit dem Feuer.


Der fast in Vergessenheit geratene georgische Ex-Präsident Micheil "Mischa" Saakaschwili ist zurück auf der politischen Bühne. Am 8. Mai übernahm er offiziell die Leitung des Exekutivkomitees für Reformen, wie das Büro von Präsident Wolodymyr Selenski offiziell verkündete. Das Organ ist Teil des ukrainischen Nationalen Rats für Reformen - eines beim Präsidenten angesiedelten Beratungsgremiums. Noch im April hatte Saakaschwili erklärt, Selenski habe ihn als Vizepremier der Ukraine vorgesehen. Der Plan Selenskis scheiterte allerdings an der Mehrheit im Parlament (Verchovna Rada). Der Posten im Nationalen Rat für Reformen erfordert eine solche nicht.

Saakaschwilis Rückkehr in das politische Geschäft mag für viele überraschend kommen; Anzeichen dafür gab es jedoch schon seit einiger Zeit. Die Gerüchteküche um sein mögliches Comeback begann zu brodeln, als der Georgier den neu gewählten Präsidenten Selenski und dessen Partei "Diener des Volkes" vor den Parlamentswahlen im Sommer 2019 seine Unterstützung in Aussicht stellte und seine Anhänger in der Ukraine dazu aufrief, für Selenskis Partei zu stimmen. Einen offiziellen Posten selbst anzustreben, stellte Saakaschwili damals in Abrede. Spekulationen um seine politischen Ambitionen ließen nach, als nach dem Sieg der Selenski-Partei eine neue Regierung ohne Saakaschwilis Beteiligung gebildet wurde. Doch dass Saakaschwili unberechenbar ist, stellt er nun erneut unter Beweis. Kaum hielt man die Rolle seiner Figur in dem ukrainischen Drama für beendet, schon nimmt das Theaterstück eine Wendung und lässt den für tot erklärten "Sonnenkönig" im neuen Akt wiederauferstehen.

Viel Lärm um Mischa

So extravagant und dynamisch Saakaschwilis Wesen, so turbulent ist auch seine politische Karriere. Ruhm erlangte er als Anführer der georgischen "Rosenrevolution" im Jahr 2003, die zum Sturz des damaligen Präsidenten Eduard Schewarnadse führte und ihm zum Wahlsieg in der Präsidentschaftswahl 2004 verhalf. Während seiner neunjährigen Amtszeit als Präsident Georgiens präsentierte sich Saakaschwili als hartnäckiger Reformer, entschiedener Nato- und EU-Freund und Kreml-Gegner. Nach seinem Ausscheiden aus dem Präsidentenamt im Jahr 2013 in Folge von Protesten wurde er von der georgischen Justiz zu einer mehrjährigen Haftstrafe wegen Amtsmissbrauchs und Korruption verurteilt. Die Vorwürfe gegen ihn wies Saakaschwili als politisch motiviert zurück.

Als ihm 2015 seine georgische Staatsbürgerschaft entzogen wurde und seine politische Karriere beendet schien, kam Petro Poroschenko als Retter in der Not herbeigeeilt. Der damalige ukrainische Präsident holte seinen langjährigen Freund Mischa in die Ukraine, verlieh ihm die ukrainische Staatsbürgerschaft, machte ihn zu seinem Berater und anschließend zum Gouverneur von Odessa am Schwarzen Meer. Doch es dauerte nicht lange, bis Poroschenko in dem furchtlosen Kämpfer gegen die ukrainische Vetternwirtschaft einen gefährlichen Unruhestifter zu erkennen glaubte. Nach nur eineinhalb Jahren gab Saakaschwili sein Amt als Gouverneur auf, beschuldigte die Regierung, die Korruptionsbekämpfung zu bremsen, und gründete eine neue Partei, mit der er seine Mission fortsetzen wollte. 2018 entzog ihm Poroschenko die ukrainische Staatsbürgerschaft und ließ ihn aus der Ukraine abschieben.

Ein taktisches Manöver

Das Timing der jetzigen Ernennung Saakaschwilis durch Selenski ist kaum ein Zufall. Ein Jahr nach seiner Wahl zum Präsidenten fällt Selenskis Bilanz ernüchternd aus: Die Versprechen, deretwegen er gewählt worden war, hat er nicht halten können. Ein Ende des Krieges in der Ostukraine ist nicht in Sicht, eine Verbesserung der Lebensbedingungen der Bevölkerung bleibt aus. Die Ukraine kämpft mit gewaltigen wirtschaftlichen Problemen. Laut Daten der Weltbank ist die Ukraine eines der ärmsten Länder Europas. Zudem stürzt die Corona-Krise das wirtschaftlich ohnehin angeschlagene Land noch tiefer in die Rezession.

Seine sinkenden Umfragewerte bringen den Präsidenten zunehmend in Bedrängnis. Der Internationale Währungsfonds hat der Ukraine bis zu 8 Milliarden US-Dollar Aussicht gestellt hat, verlangt im Gegenzug aber Reformen. Ein Mann mit dem Image eines Reformers und kompromisslosen Korruptionsjäger kommt da genau richtig. Saakaschwilis Erfahrung in der Durchführung von Reformen und seine internationalen Kontakte könnten dabei helfen, ausländische Finanzhilfen zu sichern und Selenskis Bekenntnis zu Reformen in der Bevölkerung aufzuwerten. Nichtsdestotrotz ist es fragwürdig, ob dies der einzige und vordergründige Beweggrund Selenskis war, den georgischen Ex-Präsidenten ins politische Geschäft zurückzuholen. Sein ursprüngliches Vorhaben, Saakaschwili als Vizepremier einzusetzen, deutet darauf hin, dass die Rolle, die er für ihn vorgesehen hat, eine faktisch größere sein könnte.

Retter oder Störenfried?

Der tatsächlichen Motive Selenskis ungeachtet, birgt die Entscheidung politischen Sprengstoff. Saakaschwilis Rückkehr in die ukrainische Politik sorgt jetzt schon für Unmut. Dass sein Heimatland Georgien sich über die Entscheidung empört zeigt und den eigenen Botschafter aus der Ukraine zu Konsultationen zurückruft, ist das kleinere Übel. Ein Abbruch der diplomatischen Beziehungen mit der Ukraine ist nicht zu erwarten.

Als weit schwieriger zu bewältigen könnten sich eventuelle politischen Spannungen in der Ukraine erweisen. Die Skepsis gegenüber dem Vorschlag kam aus den Reihen Selenskis bereits zum Ausdruck, als keine Mehrheit im ukrainischen Parlament für die Ernennung Saakaschwilis zum Vizepremier zustande kam.

Es ist naheliegend, dass der frühere Konflikt zwischen Saakaschwili und Innenminister Arsen Awakow womöglich erneut aufflammt. Zu Zeiten Poroschenkos kam es zwischen den beiden immer wieder zu heftigen Auseinandersetzungen. Während einer Regierungssitzung im Dezember 2015 beschimpfte Saakaschwili Awakow vor laufenden Kameras als "Dieb" von Staatsgeldern, woraufhin dieser ein Wasserglas nach Saakaschwili warf.

Awakow, seit 2014 Innenminister, hat als einziger Minister der Regierung Poroschenkos sein Amt in der Regierung Selenskis behalten. Er gilt als einer der einflussreichsten Politiker unter Selenski. Womöglich hat er Ambitionen, seine Macht weiter auszubauen. Bereits im September 2019 wollte Selenski Awakows Macht einschränken, indem er versuchte, die Nationalgarde der Ukraine der Macht des Innenministeriums zu entziehen und dem Präsidenten unterzuordnen. Die Nationalgarde ist ein 2014 von Awakow ins Leben gerufener Reserveverband der ukrainischen Streitkräfte. Eine solche Verlagerung der Verantwortlichkeit würde Awakow als Innenminister schwächen und Selenski als Präsident stärken.

Ein politisches Impro-Stück?

Vor diesem Hintergrund ist auch nicht auszuschließen, dass ein möglicher Konflikt zwischen Saakaschwili und Awakow von Selenski mit der Intention, Letzteren zu schwächen, geradezu bezweckt wird. Dies könnte zu mehreren personellen Machtkämpfen innerhalb der politischen Elite führen. Aber auch zwischen Saakaschwili und Selenski selbst ist ein Konflikt nicht auszuschließen, falls sich herausstellt, dass Saakaschwilis Vorstellung von seiner politischen Zukunft in der Ukraine mit den Plänen Selenskis nicht vereinbar ist.

Mit der Rückkehr Saakaschwilis beginnt ein neuer Akt im ukrainischen Drama. Doch statt ein Stück zu erleben, das nach einem Skript mit inszenierten Handlungen abläuft, werden wir uns womöglich als Zuschauer in einem Improvisationstheater wiederfinden, in dem der Verlauf der Szenen auch für die Beteiligten selbst überraschend kommt.